Landtag

Einrichtungsgegenstände aus der Nachkriegszeit erleben ein Comeback. (Foto: ddp)

16.07.2010

Wirtschaftswunder reloaded

Haus der Bayerischen Geschichte zu Gast im Landtag

Restauration und Wirtschaftswunder: Bei diesen Wörtern handelt es sich um in das kollektive Bewusstsein eingegangene Chiffren. Mit ihnen umschreiben auch Historiker den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands in den 1950er und 1960er Jahren. Diese Nachkriegs-Ära ist ebenfalls Gegenstand der Landesausstellung „Wiederaufbau und Wirtschaftswunder“, die im Mai 2009 in der Würzburger Residenz eröffnet wurde. Rund 365 000 Besucher haben sie bislang angesehen. Damit ist sie die erfolgreichste Landesausstellung des Hauses der Bayerischen Geschichte (HdBG).
Momentan wird die Exposition in komprimierter Form im Landtag gezeigt. Anschließend soll sie als Wanderausstellung an verschiedenen Orten des Freistaats präsentiert werden. „Kaum eine Zeit war so geprägt von Gegensätzen wie die Zeit des Wiederaufbaus“, sagte Barbara Stamm (CSU), Präsidentin des bayerischen Landtags.
„Jetzt kommt das Wirtschaftswunder/Jetzt gibt’s im Laden Karbonaden/ schon und Räucherflunder/Jetzt kommt das Wirtschaftswunder/Der deutsche Bauch erholt sich auch und ist schon sehr viel runder/Jetzt schmeckt das Eisbein wieder in Aspik/Ist ja kein Wunder nach dem verlorenen Krieg.“ Mit diesem Zitat aus Wolfgang Neuss’ Spottlied „Wir Wunderkinder“ hat Richard Loibl, Direktor des HdGB, die Atmosphäre der sagenumwobenen Jahrzehnte heraufbeschworen.
„Getragen wurde der Aufschwung vom Export. Deutschland war damals Billiglohn-Land“, sagte Loibl. Und das, obwohl die Alliierten in Deutschland eigentlich einen Agrarstaat gesehen hatten. Stattdessen sei es gelungen, innerhalb von zehn Jahren zu wirtschaftlicher Stärke zu reifen. „Das war auch das Jahrzehnt der Kühlschränke, Staubsauger und Nylonstrümpfe“, nannte Loibl anschauliche Beispiele. Von Letzteren gibt es in der Schau mehrere zu sehen. Sämtliche sind materialisierte Träger eines neuen Lebensgefühls, das sich in den Nachkriegsjahren nicht zuletzt in Konsum äußerte: Geschirr, Einrichtungsgegenstände und die Originaleinrichtung eines Frisörsalons zählen genauso dazu wie ein taubenblaues Goggomobil.
Dieses Automodell verkörperte für viele nach den Entbehrungen und Repressionen des Kriegs ein Gefühl von Freiheit. Manche Besucher blieben denn auch länger an dem Oldtimer stehen. Einen Herrn fasziniert offenbar bis heute der überschaubare Stauraum des Gefährts: „Zu viert mit zwei Koffern nach Tirol – ein Wahnsinn, dass das alles da reingepasst hat“, sagte er.
An dem bunten Kolorit der Toilettenschränke eines zeitgenössischen Frisörsalons lässt sich nachvollziehen, dass während besagter Ära intensive Farben Trumpf gewesen sind.
Was Anfang der 1950er Jahre ein kapitaler Leinwand-Skandal war, gilt heute als harmloser Liebesfilm: Der Kinostreifen Die Sünderin mit Hildegard Knef und Gustav Fröhlich sorgte ehedem für Empörung und Proteste ob einer Nacktszene der Protagonistin. Dass diese kaum als solche zu erkennen ist, kann jeder heutige Ausstellungsbesucher auf einem kleinen Monitor nachvollziehen. Daneben sind Titelbilder von Illustrierten wie Filmrevue dargestellt.
Schlagersänger Ted Herold bekannte damals „Ich bin ein Mann“. Parallel forderten seine Kollegen Peter Kraus und Conny Froboess „Sag mir, wer du bist!“ Diese und andere Wirtschaftswunder-Hits kann man sich an einer Art Juke Box anhören: Das Gerät ist in eine Stellwand integriert, auf der unter anderem ein voller Kühlschrank abgebildet ist. Etwas weiter findet sich Ludwig Erhards Konterfei – damals Wirtschaftsminister – und seine Parole „Wohlstand für alle“. Das sind nur einige Symbole für die Aufbruchstimmung, die damals offenbar vorherrschte.
Eine andere Seite des Wiederaufbaus wird in einem verschlungenen Raum gezeigt: Fotoaufnahmen von Gebäuden, die im Krieg zerstört wurden. Dazu zählt ein Bild des zerstörten Alten Peters in München aus dem Jahr 1945. Eine Aufnahme zeigt die renovierte Fassade des Falkenhauses in Würzburg.
Nicht nur in Galerien und Designerläden haben Artikel von anno 1950 Konjunktur. Auch viele Privatpersonen horten Schätze aus dieser Zeit – die sie laut Loibl auch für die Ausstellung zur Verfügung stellen. Dazu zählen Chianti-Flaschen aus edlem Murano-Glas. Loibl: „Die haben die Leute aus ihren ersten Italien-Urlauben mitgebracht.“ Mancher Bundesbürger sei damals noch auf dem Fahrrad in den Süden gereist.
> alexandra kournioti

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