Leben in Bayern

Boris Nikolai Konrad stellt sein Können unter Beweis, ein „Vorführpüppchen“ aber will er nicht sein. (Foto: BSZ)

13.01.2017

Bayerisches Super-Hirn

Der Wahlmünchner Boris Nikolai Konrad ist mehrfacher Gedächtnisweltmeister: Der Staatszeitung verrät er seine Tricks – und eine kleine Schwäche

Bis zu seinem Abitur war Boris Konrad ein ganz normaler Jugendlicher. Doch dann entdeckte er ein außergewöhnliches Hobby: Gedächtnistechniken. Heute ist der 32-jährige Neurowissenschaftler mit seinem Team mehrfacher Gedächtnisweltmeister, Weltrekordhalter im Namen merken und Dauergast im Fernsehen. Egal ob Freunde von Freunden oder neue Arbeitskollegen im Büro: Kurz nach dem Händeschütteln haben wir die Namen der Menschen meist schon wieder vergessen. Nicht so bei Boris Nikolai Konrad – er kann sich 215 Namen und Gesichter in 15 Minuten merken. Der mehrfache Team-Weltmeister im Gedächtnissport steht als Weltrekordhalter in verschiedenen Disziplinen im Guinnessbuch der Rekorde, ist Gewinner von Deutschlands Superhirn und Stammgast in internationalen Fernsehsendungen – neben dem deutschen ist der 32-Jährige selbst schon im chinesischen Wetten dass... ? aufgetreten.

Die gute Nachricht für alle „Normalos“: Konrad war in der Schule selbst noch kein Überflieger. Und er hilft anderen Menschen, die Mnemotechnik – das ist der aus dem griechischen stammende Oberbegriff für alle Gedächtnistechniken – zu erlernen. Wenn man das nächste Mal einen Menschen vorgestellt bekommt, empfiehlt er als ersten Schritt: genau zuhören und den Namen laut wiederholen. Am besten wäre es, anschließend kurz in sich zu gehen. „Allerdings“, sagt er und lacht, „will man sich ja auf einer Veranstaltung mit dem Menschen unterhalten und nicht 30 Sekunden lang den Namen merken.“

Gemerkt, welches Talent in ihm schlummert, hat Konrad erst zum Ende seiner Schulzeit. Kurz vor seinem Physik- und Informatikstudium sah er im Fernsehen eine Sendung über Gedächtnistraining. Er probierte es selbst aus. Und weil ihm das alles leicht von der Hand ging, meldete er sich bei einer Gedächtnismeisterschaft an – und überholte prompt gleich beim ersten Versuch seinen TV-Lehrmeister in einigen Disziplinen. Seiner Meinung nach ist es eben ganz einfach, sich Namen zu merken: „Man kann es mit der phonetischen Methode probieren, zum Beispiel: Herr Müller ist wirklich der Knüller.“ Auch gut sei eine bildhafte Verknüpfung: Bei Ministerpräsident Horst Seehofer denke er beispielsweise an einen Hof am See.

Um ähnliche Namen nicht zu verwechseln, empfiehlt Konrad, ein Bild für die Endsilbe zu finden. Wer unsicher ist, ob es jetzt Brigitte, Britta oder Birgit heißt, kann sich etwa vorstellen, dass Brigitte Tee mag, Britta eine Tasse hat und Birgit Bier trinkt. Bei fremdländischen Namen rät er, sich die einzelnen Silben anzuschauen: Bei Unizyleck stellt er sich vor, wie ein Professor an der Universität an Zyankali leckt. Zusätzlich sollte man darauf achten, sich die Person vor seinem inneren Auge noch mal bewusst vorzustellen. „Allerdings“, räumt er ein, „haben ein bis zwei Prozent der Menschen eine echte Gesichtsblindheit – da wird das natürlich schwierig.“ Die Visualisierungsmethode verwendet der smarte Brillenträger auch für Zahlen: Eine Eins ist für ihn eine Kerze und eine Zwei ein Schwan. Eine 21 wäre somit ein Schwan mit einer Kerze auf dem Rücken.

Für Menschen, die sich oft Reihenfolgen merken müssen, ist die sogenannte Loci-Technik geeignet. Dabei soll man sich zum Beispiel einen Rundgang durch das Haus vorstellen. „Ein Jurastudent, der die einzelnen Paragrafen eines Gesetzes auswendig lernen muss, legt dann den ersten Paragrafen an der Haustür und den letzten im Keller ab.“ Der Vorteil: Dadurch lassen sich bessere Ergebnisse erzielen, Zeit sparen und selbst wenn einmal ein Punkt fehlt – durch die Routenmethode kann der rote Faden nie mehr komplett reißen. Studierende mahnt er allerdings, rechtzeitig mit der Methode anzufangen. „Die meisten E-Mails von Studenten erreichen mich zwei Wochen vor den Prüfungen“, sagt er und grinst. Die Technik sei aber kein Wunderwerkzeug, sondern müsse auch trainiert werden.

2014 wurde Konrad an der LMU zu den neuronalen Grundlagen außergewöhnlicher Gedächtnisleistungen promoviert. Seitdem tut er sich auch leichter, bei seinen vielen Vorträgen vor Firmenchefs, wie beispielsweise dem von der Unternehmensberatung McKinsey, zu sprechen. „Mit Mitte 20 kam ich mir noch vor wie eine Mischung aus Comedian und Vorführpüppchen“, sagt er und lacht. Durch das Alter, seinen Doktortitel und die Weltrekorde sei dann aber schnell auch auf höherer Führungsebene der Respekt ihm gegenüber gewachsen. Aktuell forscht er am Donders Centre for Cognitive Neuroimaging im niederländischen Nimwegen. Die Mischung aus wissenschaftlicher Arbeit, Meisterschaften, Fernsehauftritten und den vielen Seminaren gefällt ihm: So könne er Menschen von seiner Forschung berichten. „Und umgekehrt ist es gut zu wissen, was die Menschen außerhalb des Elfenbeinturms interessiert.“

Gedächtnistraining an Unis und Schulen – das wär’s!

Was Konrad nicht verstehen kann: Warum die Mnemotechnik in der Schule, bei der Lehrerausbildung und im Studium kaum eine Rolle spielt. Gerade Erwachsenen falle es häufig schwer, sich etwas bildhaft vorzustellen. Dafür sei nicht zuletzt die klassische Ausbildung verantwortlich: „Schüler werden ab einem gewissen Alter angehalten, lieber Texte zu schreiben, anstatt Bilder zu malen“, kritisiert er. Notizen hätten ordentlich statt kreativ zu sein. Als Vorstand von Memory XL, einem gemeinnützigen Verein für Gedächtnistraining, versuche er mit seinen Mitstreitern, Lehrer zu schulen und Menschen für das Thema zu sensibilisieren. Der Hirnforscher ist überzeugt: „Die meisten Schüler und Lehrer wären froh gewesen, wenn sie früher von dieser Technik erfahren hätten.“

Dass das Gedächtnis spätestens mit 30 Jahren schwächer werde, ist laut Konrad nur die halbe Wahrheit. Zwar lasse die Aufnahmegeschwindigkeit nach, beispielsweise beim Merken von Spielkarten. „Ältere Menschen schneiden dafür beim Merken von Namen oft besser ab“, sagt der Neurowissenschaftler. Studierenden empfiehlt er, nach der Vorlesung noch mal drei Minuten zu überlegen, was der Professor genau gesagt hat. „Auch wenn ich Zeitung lese, mache ich anschließend 30 Sekunden die Augen zu und frage mich, was ich eigentlich gerade gelesen habe.“ Dadurch könne das Wissen wortwörtlich im Schlaf fest verankert werden. Aber auch ein mehrfacher Gedächtnisweltmeister ist nicht vor den Tücken des Alltags gefeit: Passwörter, die Konrad nicht regelmäßig benutzt, vergisst auch er. „Meine Ausrede ist dann immer“, sagt er und lacht, „dass ich überall ein anderes Passwort benutze.“ (David Lohmann) Foto (dpa): Beeindruckte Thomas Gottschalk bei „Wetten, dass ... ?“: Boris Nikolai Konrad als Wettkandidat 2006. 

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