Leben in Bayern

"Warum brauchen denn Kühe unbedingt Glocken?" Ein nach Holzkirchen Zugezogener ließ diese Frage vor Gericht klären. (Foto: dpa)

02.02.2018

Brauchtum oder einfach nur ein Höllenlärm?

Kuh- und Kirchenglocken, krähende Hähne, gackernde Hühner – immer häufiger gibt es Beschwerden über den angeblichen Lärm in der Provinz

Für Sebastian Urban geht es um nicht weniger als den „Erhalt der bayerischen Lebenskultur“. Zu den Kühen im Voralpenraum gehörten nun einmal Glocken, findet er. „Das ist einfach schön und bei uns Brauch.“ Der Mann aus dem Landkreis Miesbach verfolgte deshalb aufmerksam einen bizarren Streit, der seit einiger Zeit die Gerichte und viele Menschen im bayerischen Oberland beschäftigt. Ein nach Holzkirchen zugezogener Unternehmer hatte vor dem Landgericht München gegen eine Bäuerin geklagt, deren Kühe vor seinem Haus weiden – mit Glocken.

Urban war extra zum Gerichtsverfahren nach München gefahren – um die Bauernhöfe seiner Region zu unterstützen, wie er sagt. „Das sind oft ja noch Familienbetriebe. Solche Beschwerden gehen gar nicht“, findet er. Deshalb wollte er sich mit der betroffenen Bäuerin Regina Killer solidarisch zeigen. Bei dem Münchner Prozess wurde schnell klar, dass es dem klagenden Unternehmer nicht nur um den Lärm der Kuhglocken, sondern auch um den Gestank, den die Tiere verursachen, geht – den nämlich findet Urban nicht weniger unerträglich. Tatsächlich entschied das Landgericht aber zugunsten der Landwirtin und gegen den klagenden Unternehmer, der 2013 wegen der herrlichen Ruhe in den Landkreis Miesbach gezogen war.

Doch mit dem Urteil ist die Gefahr für die bayerische Lebenskultur aus Sicht von vielen Bewohnern der Region noch nicht abgewendet. Denn der Rechtsstreit wird wohl spätestens in einigen Monaten in die nächste Runde gehen. Bereits 2015 hatte das Amtsgericht Miesbach im Holzkirchner Kuhglocken-Streit erstmals verhandelt. Der zugezogene Nachbar hatte geklagt, die Glocken seien so laut wie ein Presslufthammer. Der Kläger und die Bäuerin schlossen auf Druck des Gerichts einen Vergleich. Dieser sieht vor, dass die Kühe auf einer Hälfte der Weide mit Glocken grasen dürfen. Das Landgericht München sah diesen Vergleich in seinem jüngsten Urteil als bindend an, weshalb es die Klage abschmetterte. Doch mittlerweile hat die Frau des Unternehmers eine eigene Lärmschutz-Klage eingereicht. Deshalb wird wohl erneut ein Richter abwägen müssen, was mehr wiegt: die Traditionen der einheimischen Bevölkerung oder das Ruhebedürfnis eines zugezogenen Ehepaars.

Und dieser bizarre Streit ist keineswegs der erste, mit dem sich bayerische Gerichte beschäftigen müssen. Immer wieder hat es in den vergangenen Jahren Beschwerden über Kuhglocken gegeben, die mitunter auch vor Gericht landeten. So etwa in Bad Reichenhall. Dort endete eine Klage mit einem Vergleich, der das Tragen der Glocken deutlich einschränkte. 2015 hatte es eine für den ländlichen Raum regelrechte Großdemo gegen ein von einem Gericht zunächst verhängtes Glockenverbot gegeben – 150 Menschen waren lautstark durch das bei Touristen beliebte Städtchen gezogen. In Rottach-Egern beschäftige sich im Jahr 2017 der Gemeinderat mit der Beschwerde über zu laute Kuhglocken. Dort sieht man jedoch keinen Handlungsbedarf.

„Ein Güllewagen riecht, ein Schwein grunzt zu laut oder ein Hund bellt zu oft“

Aber nicht nur Kuhglocken produzieren immer wieder Streit. In den vergangenen Jahren gab es im Freistaat auch eine Vielzahl an Klagen gegen Kirchenglocken. Gerichte mussten sich zuletzt etwa mit Beschwerden von Bürgern in Aschaffenburg, Haundorf in Franken oder Gilching bei München beschäftigen. Und im oberbayerischen Fürstenfeldbruck störte sich ein Nachbar am traditionellen Angelus-Läuten, 7 Uhr morgens sei ihm einfach zu früh. Aufgrund seiner Klage läuten die Glocken der katholischen Kirche seit März 2017 am Wochenende nun eine Stunde später.

Zu laute Hähne beschäftigen die Gerichte ebenfalls immer wieder – nicht nur in Bayern. Im Landkreis Potsdam-Mittelmark verpflichtete ein Gericht 2016 einen Nebenerwerbsbauern, statt acht nur noch zwei Hähne zu halten. Außerdem darf sein gesamtes Federvieh – weil das Krähen und Gackern den Nachbarn stört –  nur noch von 8 bis 20 Uhr ins Freie. Am Wochenende muss es zudem zwischen 13 und 15 Uhr in den Stall.

Beim Landesverband der Rassegeflügelzüchter Berlin und Brandenburg hieß es damals, solche Urteile seien keine Einzelfälle. Auch das dortige Landwirtschaftsministerium bestätigte: „Die Leute beschweren sich, dass ein Güllewagen riecht, ein Schwein grunzt oder ein Hund bellt.“
Auch in Bayern gibt es immer öfter Widerstand – und das keineswegs nur gegen die wachsende Zahl an Riesenställen. In einem ländlichen Viertel in Deggendorf muss sich gerade ein Bauer mit Hühnern gleich mehrerer Klagen erwehren. Manche Anwohner fürchteten aufgrund der Geräusche einen Wertverlust ihrer Anwesen.

Nicht immer sind die Beschwerdeführer Zugezogene – aber häufig. Denn seit Jahren zieht eine große Zahl meist wohlhabender Menschen aus anderen Teilen Deutschlands in das für seine schönen Wälder, Almen, Seen und Berge bekannte Alpenvorland. Manche Kinder von Einheimischen müssen dagegen wegen der explodierenden Grundstückspreise wegziehen. Und immer wieder gibt es auch Auseinandersetzungen über krähende Hähne und zu laute Kirchenglocken.

Umso höher schlagen die Gemüter dann gerne hoch. Denn so mancher Landbewohner, der seit Generationen in Bayern lebt, sieht in Kuh- und Kirchenglocken oder Hühnergackern einen wichtigen Bestandteil bayerischer Identität. Auch im Holzkirchner Glockenstreit ist dies zu spüren. Kuhhalterin Regina Killer hatte sich im Verlauf des Gerichtsstreits als Vorkämpferin des Brauchtums von den anwesenden Prozessbesuchern feiern lassen. So hatte die Bäuerin bereits bei einem Verhandlungstermin im Oktober klargestellt, dass ein Verzicht auf die Glocken keinesfalls infrage komme. Denn es gehe nicht nur um sie und ihre Glocken. „Wenn es so weitergeht, ist Bayern am Ende. Dann kommen auch keine Touristen mehr“, sagte die Landwirtin unter Beifall.

 Peter Hartherz, der Anwalt des klagenden Hausbesitzers in Holzkirchen, fragte dagegen jüngst: „Warum brauchen Kühe denn unbedingt Glocken?“ Sein Mandant habe der Gegenseite vorgeschlagen, die Tiere mit GPS auszustatten. Schließlich sei neben der Heimatliebe und dem Tourismus das leichtere Finden der Tiere das Hauptargument der Glocken-Befürworter. In Österreich konnte so zuletzt ein Nachbarschaftsstreit über angeblich zu laute Kuhglocken am Ende gütlich beigelegt werden. Doch Bäuerin Killer wollte kein GPS. Hartherz hatte eine nicht sehr schmeichelhafte Erklärung für den aus Sicht seines Mandanten negativen Verlauf des Verfahrens: Dieser sei „möglicherweise der Bildungssituation der beteiligten bayerischen Landbevölkerung geschuldet“.

Für Glockenfan Urban ist dagegen klar: „Wenn ich keine Kühe in der Nähe haben will, brauche ich nicht aufs Land ziehen.“
(Tobias Lill)

Kommentare (3)

  1. Gentleman Farmer am 06.02.2018
    Wie bitte????
    Zitat: Hartherz hatte eine nicht sehr schmeichelhafte Erklärung für den aus Sicht seines Mandanten negativen Verlauf des Verfahrens: Dieser sei „möglicherweise der Bildungssituation der beteiligten bayerischen Landbevölkerung geschuldet“.
    Das ist ja eine Unverschämtheit. Ich wette die Mehrheit derer, die solche Äusserungen tätigen sind weder physisch noch psychisch noch intellektuell in der Lage einen Bauernhof zu führen.
    Ein GPS kostet ja auch nur "unwesentlich" mehr als eine Kuhglocke.

    Frage an Herrn Hartherz wäre: Ich ziehe vom Land in die Stadt, weil ich dort das lebendigere Nachtleben so toll finde. Und jetzt klage ich, weil mich der Strassenlärm stört und der Gestank und das Gebimmel der Strassenbahn.
    Da langt sich auch jeder an den Kopf, oder? Vielleicht wäre es aber ganz interessant was dabei herauskommt. Abschaffung der Strassenbahn? Fahrverbote ab 22Uhr?

    Absurd!!!
  2. Claudine am 04.02.2018
    In solchen Situationen wünsch ich mir das Königlich Bayrische Amtsgericht zurück. Die würden den preißischen Antragsteller vorladen, ihn entsprechend verlachen und anschließend würdevoll darauf hinweisen, dass er doch bittschön die Regeln seiner Wunschheimat zu akzeptieren hat. Andernfalls werde man ihm gern den Weg in sein Ausgangsland zurück weisen.
    Das Problem ist wirklich die exorbitant ansteigende Anzahl an Zuagroasten - Bewohner, Kläger und Richter - die dann meinen, unser schönes Land und seine Traditionen und Gepflogenheiten dermaßen verwässern und verändern zu müssen, bis es mit unserem Bayern nichts mehr gemein hat.
    Leider wehrt sich der gebürtige Bayer viel zu wenig gegen solche Fremdbestimmungen. Mir lassen einfach vui zvui zua und mit uns machen. Bis sie uns wie die Indianer in Reservate drängen, wo wir dann schuahplattln und goasslschnoizn miassn für die Touristen 
  3. alexander p. am 02.02.2018
    Dass ein Gericht so einen Schmarrn überhaupt zur Verhandlung zulässt. Aber es liegt wohl auch an den Richtern. Siehe letztens die Kreuzabhängung im Gerichtssaal im Miesbacher Raum.....

    Es ist schon länger zu beobachten , dass die "Zuagroasten" in Bayern immer mehr versuchen, unsere Traditionen und Brauchtum durch ihr vermeintliches "Recht" weg zu klagen.

    Aber doch genau wegen diesen Traditionen und weiteren Merkmalen der bayerischen Kultur ziehen diese Personen doch nach Bayern. Wenn man Ruhe will, dann muss man auf eine Insel im hintersten Kanada oder in die Karibik auswandern.

    Fakt ist, dass die Landwirtschaft, die uns alle ernährt, durch die Arbeit mit Maschinen und Tieren erfolgen muss. Aber solche Klagen kommen von Leuten, die, wie im Artikel beschrieben, wahrscheinlich noch nie in ihrem Leben schwer körperlich gearbeitet haben sondern eher "akademischer Natur" sind. Und "Preissenschädel" evtl. noch dazu. Eine Klagementalität, die auffälligerweise von Menschen kommt, die Hochdeutsch reden und alles "ausdiskutieren" müssen.

    Mich wundert nur immer, dass diese "siebengscheiden" Personen, wenn sie aufs Land ziehen, nicht im Vorhinein ihr Hirnkastl einschalten. Auf dem Land riecht's halt öfters mal. Die Kühe scheissen halt einen dicken Fladen. Und der Traktor macht Lärm weil er unser Essen anpflanzt oder erntet. Der Maishäcksler beim Silieren noch mehr. Hühner gackern, Hunde bellen, Katzen miauen, Vögel zwitschern, Pferde wiehern, Kirchturmglocken läuten. Aber ach ja, Kirchenläuten, das ist ja auch nicht erwünscht. Aber die kirchlichen Feiertage will man dann schon in Anspruch nehmen!? Nein, lieber ne Moschee als Zeichen für Multikulti.

    Gott mit dir du Land der Bayern und lass bittschön etwas Hirn vom Himmel regnen für die "Preissen" :-)
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