Leben in Bayern

Zwischen 20 und 30 Kilogramm wiegen die Schellengürtel. Der Umzug sei deshalb „Schwerstarbeit“, sagen die Burschen. (Foto: Bitala)

09.02.2018

Die Schellenrührer von Murnau

Die historische Fosenacht im Werdenfelser Land feiert heuer ein uriges Jubiläum

Zur Nazizeit war das wilde Treiben verboten – und geriet danach für Jahrzehnte in Vergessenheit. Doch seit genau 40 Jahren hüpfen die Burschen mit ihren Larven vor dem Gesicht, Fichtenbögen in den Händen und den schweren Kuhschellen auf den Rücken geschnallt, wieder im eigentümlichen Rhythmus durch die Straßen Murnaus. Sorgsam wickelt Martin Bergmeister drei geschnitzte Holzteile aus einem Stück bunten Leinenstoff: „Diese Larven sind mindesten 120 Jahre alt“, betont er. „Sie werden in meiner Familie seit Generationen behütet wie ein kleiner Schatz.“ Für ihn sind die Holzmasken der Familie Beweis, dass es bereits im 19. Jahrhundert in Murnau am Staffelsee ein reges Maschkera-Brauchtum gegeben hatte. „Solche Masken hatte man nicht gekauft, um sie als Raumschmuck in die Stube zu hängen“, betont Bergmeister. „Sie wurden zur Fose-nacht getragen und am Aschermittwoch auf dem Speicher versteckt.“

Historiker verorten den Beginn des Maskentreibens ins Mittelalter, als es darum ging, mit Lärmen und Stampfen die Wintergeister zu vertreiben. Die Männer sind dabei in Dämonenkostüme geschlüpft, um sich als ebenbürtige Gegner den unsichtbaren Feinden entgegenzustellen.

Das Winteraustreiben gibt es in zwei große Varianten: Beim Perchtenlaufen zwischen Weihnachten und Dreikönig wird dem Winter mit Teufelsfratzen und Feuer der Garaus gemacht. In der Fosenacht während der Faschingszeit geht es dagegen recht fröhlich zu. Tanz und Musik stehen im Mittelpunkt. Mit Schweinsblasen und Reisigbesen sollen Fruchtbarkeitsgeister aus dem Boden gelockt werden. Und Fosenachtslarven sind nicht grässlich, sondern karikieren mit schiefen Nasen, Warzen und Runzeln reale Gesichter. Was sie unheimlich macht: Die Mienen der Larven sind vollkommen starr, nur die Augen der Träger bewegen sich.

Freilich sei das alles Aberglaube, sagt Martin Bergmeister und lacht: „Die Kirchenobrigkeit wollte das Treiben dehalb auch gar nicht dulden.“ Wanderprediger Bonifatius soll sich angeblich im Jahr 742 bei Papst Zacharias über den Brauch beklagt haben. Der später Heiliggesprochene lebte auf der Insel Wörth im Staffelsee: „Hierzulande lassen sich die heidnischen Sitten nicht ausrotten. Zu bestimmten Zeiten übers Jahr führen sich gerade die ungeschlachten, einfältigen Menschen wie wild auf“, schrieb er.

Doch so weit will Bergmeister gar nicht in die Vergangenheit zurückschauen. Es falle aber auf, sagt er, dass sich die Traditionen, die man heute als Brauchtums-Fasching bezeichnet, verstärkt an den Flüssen entwickelten, deren Quellen in den Alpen liegen: Isar und Loisach – nah bei den großen Handelsstraßen von Venedig über Mittenwald und Augsburg.

Augenfällig wird das an einer der beliebtesten Fosenachtsfiguren, dem Bärentreiber: Auf den Handelsrouten kamen immer wieder Gaukler in die Dörfer nördlich der Alpen. Einige hatten Tanzbären dabei, um das Publikum zu belustigen. Später schlüpften die Einheimischen selber in Bärenfelle und drehten sich zum rhythmischen Schlag der Trommeln. Andere Kostüme gehören ebenfalls zu weit verbreiteten Charakteren und sind heute noch Teil des Trosses der Umzüge: Untersberger-Mandl, Jacklschutzer, Grätzenweiberl und Brezenangler. Die Pfandlzieher sind vier vermummte Burschen, die einen auf einer Pfanne sitzenden Kameraden hinter sich herziehen. In Mittenwald und in Tirol wird anstatt einer Pfanne ein Mühlrad benutzt.

Reine Männersache: Genau 13 Rührer müssen es sein

Lorenz Brey durfte bereits als Achtjähriger in Murnau auf der Pfanne sitzen: „Man muss sich gut festhalten, damit man nicht abrutscht“, erklärt er. „Gerade in engen Kehren kann das leicht passieren. Das ist peinlich.“ Ein Problem dabei ist, dass die Maschkera hinter ihren Larven nur schlecht sehen. „Einmal war in der Fußgängerzone eine Baustelle“, erzählt Brey. „Die Zieher merkten nicht, dass sie auf eine Pfütze zulaufen. Es hat platsch gemacht, und ich musste mit nasser Hose den ganzen Nachmittag weitermachen.“

Das Maschkeragehen des vorvergangenen Jahrhunderts darf man sich aber keineswegs wie den modernen Fasching vorstellen. Organisierte Umzüge gab es nicht. Seinerzeit waren Einzelpersonen oder Kleingruppen von Gasthof zu Gasthof unterwegs, um mit den Menschen zu tanzen und zu feiern. Bei diesen Gelegenheiten wurden der weltlichen und kirchlichen Obrigkeit mit frechen Verserl die Leviten gelesen. Das nennt man Guckelgehen. Zur Nazizeit war das wilde Treiben verboten und geriet auch danach für Jahrzehnte in Vergessenheit.

Heuer aber feiert man in Murnau ein kleines Jubiläum, denn vor 40 Jahren lebte die Fosenacht wieder auf. Anton Steigenberger vom Trachtenverein erzählt: „1978 hatte der Holzschnitzer Nikolaus Kölbl die Idee, das alte Schellenrühren neu zu beleben.“ Mit einer Gruppe Männer besorgte er sich Masken und Kuhschellen. Und das Fosenachtstreiben ist geblieben: Jeden Faschingssonntag ab 14 Uhr findet es seither statt. „Das ist das Plus von Traditionsvereinen – eine Idee austüfteln und über Jahrzehnte hinweg pflegen“, betont Steigenberger. „Das Schellenrühren wird so jedes Jahr aufs Neue mit Leben gefüllt.“ Trachtler sind dabei, ebenso Leute von der Feuerwehr, den Gebirgsschützen und Schäfflern. Allerlei Faschingsnarrische sind das, denen das alte Brauchtum am Herzen liegt. Jung und alt.

Die Schellenrührer sind eine urige Gruppe. Mit Larven vor dem Gesicht, Fichtenbögen in den Händen und schweren Kuhschellen auf den Rücken geschnallt, hüpfen sie im eigentümlichen Rhythmus durch die Straßen: Klangwumm... Klangwumm... Klangwumm! „13 Rührer müssen es sein“, erklärt Bergmeister. „Ein Vortänzer und je ein Mann für die zwölf Monate.“

Schellenrühren ist Schwerstarbeit, weiß Anton Steigenberger, denn der Schellengürtel wiegt zwischen 20 und 30 Kilogramm. „Viele klagen über Rückenschmerzen. Polstern geht nicht, denn die Einlagen würden rutschen.“ Den Gurt so eng wie möglich zu zurren helfe aber ein bisserl, die Schellen dürften kein Spiel haben, so Steigenberger.

Mitunter gibt es aber ein böses Erwachen, erzählt Bergmeister: „Es kommt vor, dass sich die Leibesfülle übers Jahr verändert. Manchmal ist es ein richtiges Schieben, Ziehen und Drücken bis sich der zu eng gewordene Gurt über den gewachsenen Bauch schließen lässt.“ Es soll sogar einige Männer geben, die zwischen dem Dreikönigstag und dem Faschingssonntag eine intensive Fastenperiode einlegen.

Übrigens sind die 13 Schellenrührer eine reine Männergruppe. In ihrem Gefolge sind aber auch Frauen und Mädchen zu entdecken – etwa bei der Maschkera-Musik sowie bei den Hexen, die mit ihren Besen den Schnee von den Straßen kehren und die Zuseher am Wegesrand zum Tanzen auffordern.

Eines ist aber allen Maschkerern klar: Am Faschingsdienstag müssen die Larven abgenommen werden, sonst verwachsen sie am Aschermittwoch mit dem Gesicht des Trägers. (Günter Bitala)

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