Leben in Bayern

Ein Bild, das man in Restaurants immer wieder sieht: Ein Paar starrt auf die Smartphones – und schweigt sich an. (Buchcover: mvgverlag)

19.01.2017

Digitale Glückskiller

Die skurrilen Angewohnheiten der Generation Smartphone: Zwei Münchner zeigen, wie neue Medien das Zusammenleben verändern

Posten, sharen, liken: Die Generation Smartphone will Glück konservieren – und hat dabei verlernt, es direkt zu erleben, meint Sarah Diefenbach. Selbst der schönste sternenbehangenen Nachthimmel wird nur noch durch das Handy-Display betrachtet. Gemeinsam mit Daniel Ullrich ist die 34-jährige Wirtschaftspsychologin dem Phänomen auf den Grund gegangen – und die beiden sind auf jede Menge groteske Verhaltensweisen gestoßen.
Ein romantischer Palmenstrand. Klick. Die sanften Wogen des Meeres. Klick. Und eine verglühende Sonne, die am Horizont verschwindet. Klick, klick, klick. Viele Menschen zerstören perfekte Glücksmomente, weil sie statt sie zu genießen, damit beschäftigt sind, mit dem Smartphone das perfekte Foto zu schießen. Um es dann anschließend in den sozialen Netzwerken zu posten. Das Ziel: „Möglichst viele Likes und damit Selbstbestätigung“, erklärt Sarah Diefenbach. Die  Wirtschaftspsychologin glaubt: „Beim Versuch, das Glück zu tracken, zu posten und zu teilen, verlernen wir, es direkt zu erleben.“ Um den Grund dafür zu verstehen, machte sich die 34-Jährige daran, die dahinterstehenden psychologischen Mechanismen in Zusammenhang zu bringen.

Soziale Netzwerke sind wie Glücksspielautomaten

Auf die Problematik aufmerksam wurde Diefenbach gemeinsam mit Daniel Ullrich während diverser Reisen. Auf Teneriffa beispielsweise wollten die beiden mit einer Reisegruppe den sternenbehangenen Nachthimmel anschauen –  bis einige mit der Kamera in ihren beleuchteten iPads draufhielten und das Erlebnis für alle zerstörten. Nachdem dann auch noch bei einer Schifffahrt rund um La Gomera die Passagiere die plötzlich aus dem Wasser springenden Delphine zu Fotozwecken nur noch durch das Display ihres Handys betrachteten, reichte es den ihnen. Sie beschlossen, ein Buch über das Phänomen zu schreiben. Digitale Depression: Wie neue Medien unser Glücksempfinden verändern, heißt es und beschäftigt sich mit dem Seelenleben der Generation Smartphone.

Zum Beispiel beim Frühstück: Wenn früher ein Familienmitglied beim Kaffee immer wieder aufgestanden und zur Wohnungstür gegangen wäre, um den Briefkasten zu checken, wäre es wohl für verrückt erklärt worden, erklärt die Wirtschaftspsychologin und lacht. „Findet so ein groteskes Verhalten aber im Kontext neuer Medien statt, finden es plötzlich alle ganz normal.“ Natürlich sei der Vater früher klassischerweise am Frühstückstisch auch hinter der Zeitung verschwunden – was nicht weniger unhöflich gewesen sei. „Damals war dann allerdings klar, dass die Person nicht mehr anwesend ist“, unterstreicht sie. Bei den neuen Medien hingegen schiele man dauernd aufs Handy, ohne dass man es selber merke.

Diefenbach vergleicht die sozialen Netzwerke mit Glücksspielautomaten: Man ärgere sich meist über die vergeudete Zeit, aber unregelmäßige Belohnung – bei Facebook in Form von Likes oder hin und wieder auch tatsächlich interessanten Nachrichten von Freunden – brächte einen dazu, kurze Zeit später doch wieder vor dem Bildschirm zu sitzen. Aus Lerntheorien ist bekannt, dass gerade unregelmäßige Verstärkung besonders effektiv ist. Fatal ist auch, dass die Anerkennung immer größer werden muss, um das gleiche positive Gefühl zu erzeugen. „Menschen posten Dinge, weil sie eine positive Resonanz haben wollen“, erklärt Diefenbach. „Und irgendwann sind zwei Likes eben nicht mehr genug.“ Überhaupt werde heutzutage vieles erst bedeutsam, wenn es in sozialen Netzwerken mit Freunden geteilt wurde – direkte Gesprächspartner würden hingegen vernachlässigt. Gleichzeitig fragten sich die Betrachter der Posts, wieso das eigene Leben so viel langweiliger scheine – was natürlich ein Trugschluss sei, da sie nur die „Schokoladenseiten“ zu Gesicht bekämen.

Der Schluss, dass Menschen mit vielen gesammelten Likes ein glücklicheres Leben führen, täuscht. Es ist wohl eher so, dass vor allem Menschen, die sich besonders nach Bestätigung sehnen, vermeintlich glückliche Momente posten. „Die, die es besonders nötig haben, nutzen den Kanal dafür“, erklärt Diefenbach. Studien zeigten aber, dass dies auf Dauer nicht funktioniere. Zudem seien Menschen mit geringerem Selbstwertgefühl meist nicht so geschickt in der Selbstvermarktung – ein Teufelskreis. Einige Nutzer verändern laut Diefenbach und Ullrich sogar ihre Gewohnheiten, weil beispielsweise manche Fotos bei den Mitgliedern von Insta-gram besser ankommen als andere. „Man kann sich nicht ganz davon frei machen“, erläutert die 34-Jährige. Sie befürchtet, dass sich zukünftig auch immer weniger Menschen trauen, online ihre Meinung zu sagen. Grund: „Jeder hat das Gefühl, alles kommentieren zu müssen.“ Dadurch werde der Ton rauer und die Gefahr von Shitstorms größer.

Sogar das Küsschen zum Einschlafen ist in Gefahr

Laut Diefenbach hat die „digitale Depression“ ebenso Auswirkungen auf die zwischenmenschlichen Beziehungen. Das Küsschen zum Einschlafen sei in Gefahr: „Viele Studien zeigen, dass für viele Menschen das Smartphone das letzte ist, mit dem sie interagieren“, weiß die Wirtschaftspsychologin. In Südkorea ist die Situation sogar noch schlimmer: Dort sei weltweit der Anteil von Handy- und Internetsüchtigen am größten. So kommt es vor, dass dem Fotografieren des Essens mehr Zeit gewidmet wird als dem Partner: Gestreichelt wird das Display, nicht der Partner. Gut, auch früher schon gab es Paare, die sich beim Essen anschwiegen. Heute allerdings ist der Griff zum Smartphone für viele einfach so naheliegend, dass gar nicht erst die Chance auf ein tiefgründiges Gespräch entsteht. In Asien gibt es daher bereits Apps, die einen dazu bringen sollen, sich wieder direkt mit seinen Freunden zu unterhalten.

Smartphone-Verweigerer sind dennoch nicht per se die glücklicheren Menschen. Und natürlich können soziale Netzwerke auch Verbindungen zu alten und neuen Freunden stärken. Ullrichs und Diefenbachs Buch soll daher kein Plädoyer gegen neue Medien sein. „Wir wollen unterhaltsam und nicht belehrend zur Reflexion anregen“, erläutern sie. Die beiden sprechen von einer „Einladung“, zu überlegen, ob einem das eigene Handeln gut tue oder eben nicht. „Wer bei jeder freien Minute das Handy rausholt, der verpasst die Natur oder untergräbt beim Arbeiten seine Fähigkeiten“, resümieren die Zwei. Ist also, selbst wenn der Gesprächspartner im Restaurant auf Toilette muss, der schnelle Blick aufs Handy verboten? „Nein“, meint Diefenbach und grinst. „In dem Fall kann man ruhig mal kurz gucken, ohne den Gesprächspartner zu verletzen.“ (David Lohmann)

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