Leben in Bayern

Mike Gallen hilft Langzeitarbeitslosen, aktiv zu werden. Sein Motto: „Nicht nur deprimiert herumlaufen.“ (Foto: Stumberger)

22.12.2017

Ein Segen für die Abgehängten

Mike Gallen ist Bayerns einziger Arbeitslosenseelsorger – er kümmert sich in München um Menschen mit einem Leben am Existenzminimum

Die Wirtschaft brummt, und es herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Dennoch: Knapp fünf Prozent der Haushalte in Bayern sind auf die Grundsicherung angewiesen. Mike Gallen kennt die Schicksale hinter den Zahlen in der Statistik. Und er weiß: Diese Menschen brauchen nicht nur materielle Unterstützung, sondern vor allem Trost und Zuspruch.

Heuer kamen kurz vor Weihnachten ganz besondere Geschenke an. 40 kleine, selbst genähte Stoffbärchen, gefüllt mit Lavendel. Auf dem Päckchen stand: „Mike Gallen, Arbeitslosenseelsorger, St. Benedikt“. Im beigelegten Brief war zu lesen: „Friede in der Welt“ und „Schluss mit der Armut“.

Michele hat die Geschenke an die Arbeitslosengruppe im Münchner Westend geschickt. Früher war sie dort selbst Mitglied. Und hat auch dank Mike Gallen ihr Leben wieder in den Griff bekommen. Seit gut zwei Jahrzehnten schon kümmert sich der 62-jährige Pastoralassistent Gallen in dem alten Arbeiterviertel Münchens um Menschen mit Hartz IV. Mit 21 Jahren hatte er das Priesterseminar in Neuseeland verlassen, war nach Frankreich gegangen, wo er eine Münchnerin kennenlernte. Die Liebe führte ihn in die Landeshauptstadt, wo er erst als Jugendseelsorger arbeitete. Bis er sich dafür entschied, sich um Arbeitslose zu kümmern.

Hartz IV sei ein wichtiges Thema, sagt Gallen. Auch in einer so reichen Stadt wie München. Jeden Mittwoch trifft sich die von Gallen betreute Arbeitslosengruppe in dem Kommunikationstreff an der Gollierstraße.

Nicht fit genug für den „Zack-Zack-Arbeitsmarkt“

Es ist zehn Uhr und die Tische, aufgestellt in Hufeisenform, sind für das Frühstück gedeckt. Es gibt Kaffee und Tee, kleine Wurst- sowie Käseplatten und Semmeln. Rund 30 Leute sind gekommen. Nach dem Frühstück geht ein kleiner Korb herum, jeder der kann, steuert was für das Frühstücksbuffet bei. Danach folgt wie immer der Programmpunkt „Tipps und Tricks“. Die Menschen tauschen sich aus, geben sich Hilfestellungen für das Leben mit Hartz IV. Als Langzeitarbeitslose müssen sie mit 416 Euro im Monat auskommen. Plus Unterstützung für Miete und Heizung. Da sind Angebote wie das vom Münchner Gesundheitsladen, wo man sich die Zähne ohne Zuzahlung richten lassen könne, essenziell. Auch Informationen über Aushilfsjobs oder Beratungsangebote gibt es. Doch das fehlende Geld ist nicht das einzige Problem. Die Menschen in Gallens Gruppe benötigen vor allem Zuspruch und Trost. Erstaunlich deshalb, dass Gallen der einzige amtlich bestellte Arbeitslosenseelsorger ist. Klar, die Wirtschaft brummt und die Arbeitslosigkeit in Bayern ist auf einem Rekordtief, es herrscht praktisch Vollbeschäftigung. Aber: Knapp fünf Prozent aller Haushalte in Bayern sind auf Leistungen aus der Grundsicherung angewiesen. Fast 270 000 Menschen gelten in München als arm, 75 000 leben von Hartz IV.

Mike Gallen kennt die Schicksale hinter der Statistik. In St. Benedikt erhalten die Zahlen ein Gesicht. Es sind Menschen, die nicht fit genug für den „Zack-Zack-Arbeitsmarkt“ sind, wie Gallen sagt. An denen die Vollbeschäftigung vorbeigeht. „Viele sind über 50“, erklärt Gallen. „Und viele, die dann in einer Krise stecken, können nicht mehr mithalten.“ Krise, das kann vieles sein: Krankheit, Scheidung, Überschuldung. Dazu kommt: Die Firmen, so Gallens Erfahrung, würden ihre Mitarbeiter nicht mehr so mittragen wie früher. Die andere große Gruppe, die prekär lebt, ist die der alleinerziehenden Mütter, so Gallen.

Mit Theaterstücken die Öffentlichkeit informieren

Mancher in der Arbeitslosengruppe ist schon einige Jahre hier, andere sind relativ neu. „Bei uns ist es wie in der Statistik“ sagt Gallen, „die Hälfte der Hartz-IV-Bezieher ist schon mehr als vier Jahre dabei“. Da ist zum Beispiel der 60-jährige Gerd. Früher hat er auf einem Postzug gearbeitet, dann in einer Recyclingfirma des zweiten Arbeitsmarktes. Heute versucht er sich ein paar Euro dazuzuverdienen, wenn in einer Firma die Inventur ansteht. Magdalena, 47 Jahre alt, hat früher Übersetzungen gemacht. Nach ihrer Entlassung aus dem festen Arbeitsverhältnis versuchte sie es als Selbstständige. Zum Leben aber hat der Verdienst nicht gereicht. Mehr als ein Jahr suchte sie deshalb einen neuen Job, als sie endlich eine Stelle fand, war das leider nur für kurze Zeit.

Jede Absage auf eine Bewerbung ist jedes Mal ein neuer Schlag ins Gesicht. Viele von Gallens Klienten sind deprimiert, mögen gar nicht mehr an die Zukunft denken. Andere bekommen von unbezahlten Rechnungen regelrecht Magenschmerzen.

Neben der Seelsorge geht es Gallen aber auch um die Aktivierung der Menschen. Sie sollen wieder aktiv werden – und zwar in eigener Sache. Und so sind viele der Arbeitslosen ehrenamtlich tätig. Vor Kurzem – am Tag der Menschenrechte – hatte die Gruppe zum Beispiel einen Stand in der Münchner Fußgängerzone organisiert. Außerdem trifft sich regelmäßig eine Theatergruppe, die ihre gesellschaftskritische Botschaft in die Öffentlichkeit tragen will. Die dahinterstehende Parole hat Mike Gallen ausgerufen: „Nicht nur deprimiert rumlaufen!“ (Rudolf Stumberger)

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