Leben in Bayern

Wertvolle Eiweißquelle: Grillen schmecken – das meinen zumindest die beiden Münchner, die sie im Internet anbieten. (Fotos: Julian Schoell)

14.07.2017

Essen mit Köpfchen

Insekten als Nahrungsmittel werden auch in Europa immer beliebter. Zwei Münchner bieten Grillen an, mit rosa Pfeffer, Meersalz oder Allgäuer Wildkräutern

Käfer, Heuschrecken, Mehlwürmer: Lebensmittel aus Insekten lösen bei den meisten Menschen Ekel aus. Dabei könnten sie dazu beitragen, den Hunger auf der Welt zu stoppen. Zwei Münchner bieten seit Kurzem eine ressourcenschonendere Alternative zum Steak an: Essbare Grillen aus europäischer Zucht. Doch eines fehlt noch, mahnen Wissenschaftler: Regeln zur Haltung und Fütterung wie bei anderen Nutztieren. Man nehme 30 Maikäfer, röste sie in Butter an und gare sie in einer Fleischbrühe. Anschließend je nach Vorliebe die Suppe sieben und als Brühe genießen oder die Käfer im Mörser zerstoßen, die Suppe passieren und mit etwas Mehlschwitze sowie Eigelb binden. Was heute bei vielen Ekel auslöst, war nach dem Krieg ein gängiges Rezept in Deutschland. Studierende sollen die Käfer sogar ungekocht gegessen haben – kandiert als Nachtisch.

Zwei Münchner wollen jetzt den Menschen Insektensnacks wieder schmackhaft machen. Zwei Jahre lang experimentierten der Physiker Josef Hirte (31) und der Lehrer Mathias Rasch (29) mit ihrer Insektenfarm. Seit Mai bieten sie in ihrem Onlineshop „Wicked Cricked“ Grillen an. Je nach Gewürz sollen sie nach Nüssen, Popcorn oder Shrimps schmecken. „Wir haben uns auf Heimchen spezialisiert, weil diese auch in Europa heimisch sind“, erklärt Josef Hirte. „So reduzieren wir das Ekel-Dschungel-Image, von dem wir unbedingt wegkommen wollen“, ergänzt Mathias Rasch.

Auch wenn es in unseren Breiten eine große Abscheu vor Insekten gibt: Etwa zwei Milliarden Menschen weltweit verzehren regelmäßig Käfer, Hautflügler, Heuschrecken, Schmetterlinge, Schnabelkerfe und Termiten. Und es könnten mehr werden. Bis 2050 wird die Weltbevölkerung auf über neun Milliarden Menschen anwachsen. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ist daher überzeugt: Das Essen der Zukunft hat viele Beine.Genauso wertvoll wie Eier, Milch oder Fleisch.
Genauso wertvoll wie Eier, Milch oder Fleisch Auch wenn es in unseren Breiten eine große Abscheu vor Insekten gibt: Etwa zwei Milliarden Menschen weltweit verzehren regelmäßig Käfer, Hautflügler, Heuschrecken, Schmetterlinge, Schnabelkerfe und Termiten. Und es könnten mehr werden. Bis 2050 wird die Weltbevölkerung auf über neun Milliarden Menschen anwachsen. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ist daher überzeugt: Das Essen der Zukunft hat viele Beine.

Aktuell hungern laut FAO weltweit 795 Millionen Menschen – zwei Milliarden gelten als unterernährt. Damit in den kommenden Jahrzehnten alle Menschen dieser Welt satt werden, muss die Nahrungsproduktion verdoppelt werden. Agrarflächen und Wasservorkommen aber sind begrenzt. Deshalb empfiehlt die FAO, auf die am häufigsten vorkommende Tiergattung dieser Erde zurückzugreifen: Insekten.

Die meisten sind für den Menschen essbar und als Eiweißquelle genauso wertvoll wie Eier, Milch oder Fleisch. Ein weiterer Vorteil: Im Durchschnitt können Insekten zwei Kilogramm Futter in ein Kilogramm Körpermasse umwandeln – Rinder benötigen das Vierfache. Außerdem können Insekten auch in ressourcenarmen kleinbäuerlichen Strukturen gezüchtet werden. Das ist speziell für Afrika wichtig.

Eine Publikation der FAO brachte auch Rasch und Hirte auf die Idee zu „Wicked Cricked“. „Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, wie viel Energie und Ressourcen für die Produktion von Nahrungsmitteln investiert werden müssen“, erklären sie. Der hohe und unüberlegte Fleischkonsum in Industrienationen sei für sie unverständlich. „Außerdem ist das massenproduzierte Fleisch viel zu billig.“

Menschen scheinen umzudenken

Und tatsächlich scheinen die Menschen auch im Westen umzudenken. „In Europa lässt sich ein Wandel im Essverhalten feststellen“, bestätigt das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Während vor Jahren die große Masse der Europäer Insekten, Würmer, Raupen, Heuschrecken oder Fliegen noch ekelerregend und ungenießbar fand, erfreuten sie sich heute als Lebensmittel immer größerer Beliebtheit.

Entsprechend begehrt ist an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität das Wahlpflichtfach „Insekten als Lebensmittel“. Vergangenes Sommersemester war es bereits nach 30 Minuten ausgebucht. Außerdem hat die Universität kürzlich einen Förderantrag gestellt, um das Know-how aus der Kooperation der LMU mit der thailändischen Chulalongkorn-Universität in Bangkok nach Afrika zu transportieren. Das Ziel: den Hunger dort lindern mit Tieren, die den Ansprüchen an Sicherheit und Qualität deutscher Maßstäbe genügen. Denn Insekten können Überträger von Krankheitserregern sein.

Doch auch in Deutschland wird nach Ansicht von Wilhelm Windisch vom Lehrstuhl für Tierernährung der Technischen Universität München noch zu wenig über die Fütterung von Insekten geforscht. „Die meisten Insekten stammen aus Wildfang und haben Futter aus der freien Natur verzehrt“, erklärt er. Damit seien aktuelle Anbieter noch weit von dem hohen Fütterungsstandard entfernt, den es beispielsweise bei der Erzeugung von Geflügelfleisch gebe. Solange das so ist, möchte Windisch persönlich Insekten nicht probieren.

Diskussion sinnvoll führen
„Wenn Insekten einen echten Beitrag zur Ernährung liefern sollen, dann muss man sie wie andere Nutztiere in großem Umfang züchten“, sagt Windisch. Sonst wäre das so, als würde man Wildschweine im Ebersberger Forst zur Aufbesserung der Fleischversorgung von München stärker bejagen. Geflügel oder Fische genügen. „Die ganze Diskussion um Insekten kann erst dann sinnvoll geführt werden, wenn wir Insekten als potenzielle landwirtschaftliche Nutztiere begreifen und ihnen auch alle Regeln von der Haltung über Fütterung, Schlachtung bis hin zur Entsorgung der ‚Insekten-Gülle’ auferlegen“, sagt er.

Innerhalb der Europäischen Union sind Insekten als Lebensmittel ohne Sicherheitsbewertung rechtlich nicht erlaubt. Die Unternehmer Rasch und Hirte verweisen darauf, dass ihre Grillen von EU-Züchtern stammen. „Diese dürfen wie Rinder nicht mit tierischen Proteinen wie Fischmehl gefüttert werden“, erklären sie. Zudem wurden ihre Grillen alle erfolgreich einer Sicherheitsanalyse unterzogen. Doch nicht alle Länder legen die EU-Richtlinie so streng aus.

Massentierhaltung? „Insekten lieben es eng“

Das deutsche Start-up „Bugfoundation“ bietet seinen Burger mit einem Patty aus Getreideschimmelkäfer in Belgien und den Niederlanden an. In Österreich hat Katharina Unger eine Farm entwickelt, mit der sich Menschen zu Hause Fliegen züchten können. In der Schweiz gewann ein Jungunternehmer den Preis der Schweizerischen Gesellschaft für Lebensmittel-Wissenschaft und -Technologie für seinen Proteinriegel aus Mehlwürmern. Einen Brotaufstrich und Muffins aus Insekten gibt es ebenfalls bereits. Windisch sieht darin allerdings mehr „schrille Facetten“ als ein echtes Ernährungsverhalten.

Nicht geklärt ist auch der ethische Aspekt: Wiegt der Tod Hunderter Insekten für ein Mahl moralisch schwerer oder der Tod eines Schweins für mehrere Mahlzeiten? „Ich persönlich halte die Tötung von Lebewesen zum Zwecke der Gewinnung von Nahrung für den Menschen für unvermeidbar und legitim“, unterstreicht Windisch. Dies gelte allerdings nur, solange den Tieren kein unnötiges Leid zugefügt wird und sie artgerecht gehalten werden. Rasch und Hirte betonen: „Massenzucht ist für viele Insektenarten im Gegensatz zur Massentierhaltung von Säugetieren moralisch nicht verwerflich: Sie lieben es eng und dunkel.“ Wie zukünftig die Produktionsbedingungen auch den moralischen Ansprüchen genügen, wird an der LMU aktuell auch in einer Dissertation untersucht.

Übrigens: Allen, die ein Insektenmahl mal ausprobieren wollen, empfehlen Experten den Einstieg mit Maden und Raupen. Weil sie am ästhetischsten aussehen. Mit Wasserkäfern dagegen haben selbst Profis große Probleme. Den Gründern von Wicked Cricked schmeckt Grille mit Fleur de Sel am besten, weil dabei der ursprüngliche Geschmack der Grillen zur Geltung kommt, wie sie sagen. Einsteigern empfehlen die beiden eine Kombination von Gewürzen wie Allgäuer Wildkräuter oder rosa Pfeffer. „So können sie sich langsam an das Nahrungsmittel gewöhnen.“
(David Lohmann) Foto (Schoell): Josef Hirte (links) und Mathias Rasch: Sieben Gramm Heimchen gibt's bei ihnen für 3,90 Euro.

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