Leben in Bayern

Die Mitglieder von „Sotto Voce“ auf der Alten Mainbrücke in Würzburg – im Laufe der Jahre wurde der Chor nicht nur immer größer, sondern auch immer professioneller. (Foto: Sotto Voce)

18.08.2017

Gesang mit einer klaren Botschaft

Zehn Jahre „Sotto Voce“: Der schwullesbische Chor in Würzburg feiert Jubiläum – zu Besuch bei einer Chorprobe

Sie gehören längst zur Chor-Landschaft jeder größeren bayerischen Stadt: schwullesbische Chöre. Auch in Würzburg treffen sich Musikbegeisterte, um gemeinsam zu singen und an Stimmkraft und Repertoire zu arbeiten. Genauso wichtig ist für die Gruppe aber auch der Kampf gegen Diskriminierung.
Die Probe von „Sotto Voce“ beginnt mit Not ready to make nice von den Dixie Chicks. „Vergeben! Klingt gut. Vergessen! Ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann“, heißt es in dem Text. Dass die Frauen und Männer des Würzburger Popchors einen Song der texanischen Countryband im Repertoire haben, passt gut. Denn wie die Dixie Chicks greift der Chor seit Jahren gesellschaftlich kontrovers diskutierte Themen auf.

Vor allem Sängerin Natalie Louise Maines sorgte mehrfach für Skandale. 2003 handelte sie sich extreme Anfeindungen ein, als sie während eines Konzerts George Bush scharf kritisierte. Diese Erfahrung wird in Not ready to make nice aufgearbeitet. Der Popchor „Sotto Voce“, vor zehn Jahren in Würzburg gegründet, besteht überwiegend aus schwulen und lesbischen Mitgliedern. Bis zu 40 Sängerinnen und Sänger kommen jeden Montagabend zusammen, um zu proben. Drei Chorleiter, Patrick Witzel, Marc Arleth und Oliver Gerber, sorgen für den letzten Schliff. Die Stimmkraft der Truppe ist beeindruckend. Von „gedämpft“, so die Übersetzung von „Sotto Voce“, keine Spur.

Auch darum geht es: In der Öffentlichkeit präsent sein

„Sotto Voce“ ist ein Chor des schwullesbischen Zentrums WuF in Würzburg. WuF bietet Schwulen, Lesben, bi- und transsexuellen Menschen seit vielen Jahren einen Treffpunkt. Das Veranstaltungsangebot ist breit gefächert. Es reicht von Spieleabenden über Treffen verschiedener Gruppen bis hin zu Infos und Beratung rund ums schwullesbische Leben in der Domstadt.
Schwullesbische Chöre gehören heute selbstverständlich zur deutschen Chorlandschaft. In den meisten größeren Städten Bayerns gibt es sie. München hat gleich mehrere queere Musikgruppen. Da gibt es den lesbisch-schwulen „Regenbogenchor“, der seit 2004 mit Musik aus der Renaissance bis zur Gegenwart für Diversität und Akzeptanz wirbt. Bereits 1993 wurde mit „Lilamunde“ ein Lesbenchor gegründet. Und vor zwei Jahren ging das erste queere Orchester namens „LilaRosa Sound“ an den Start. Letzteres probt gerade für ein besonderes Ereignis: Vom 9. bis 13. Mai 2018 wird das alle vier Jahre stattfindende europäische schwullesbische Chorfestival „Various Voices“ im Gasteig über die Bühne gehen. 90 Chöre aus aller Welt haben sich angemeldet. Mehr als 3100 Teilnehmer aus Deutschland, Irland, den Niederlanden und weiteren Staaten werden erwartet.

Mit der Organisation Legato haben lesbische und schwule Chöre seit 1997 einen europäischen Dachverband. Wer, wie „Sotto Voce“ auch, Legato angehört, will nicht nur den Chorgesang pflegen. Den Mitgliedern geht es auch darum, die Emanzipation von Lesben und Schwulen in Europa zu unterstützen und Diskriminierung entgegenzuwirken, auch wenn es in erster Linie vor allem darum geht, richtig klasse zu singen. Über Songs wie Take me to church, einem Lied des irischen Folkrockmusikers Hozier, werden aber eben auch Botschaften transportiert. Der Song ist ein Protest gegen Hass und Gewalt, die Schwule und Lesben erleben. Die Kirche in Irland, so der Musiker Hozier, mache Homosexuelle zu Sündern. Sie treibe gleichgeschlechtlich liebende Menschen nicht nur das Selbstwertgefühl aus, sondern auch den Glauben.

Der Würzburger Chor hat großen Zulauf. Steven Stiefvater zum Beispiel kam erst mal auf die Warteliste bevor er loslegen durfte. Der 31-Jährige hatte „Sotto Voce“ im vergangenen Sommer während des Würzburger Festungsfestes gehört und war begeistert. Im Februar dieses Jahres wurde endlich ein neuer Tenor gebraucht und seitdem ist Stiefvater, der seit einem Jahr in Würzburg lebt, dabei. Der Krankenpfleger zog der Liebe wegen aus der Frankfurter Gegend in die Domstadt. Aber auch das WuF und der Chor gaben mit den Ausschlag für die Entscheidung. „Hier geht es so wunderbar familiär zu“, schwärmt Stiefvater, der mit den öffentlichen Auftritten kein Problem hat. „Seitdem ich 16 Jahre alt bin, lebe ich meine Homosexualität offen.“ Schwierigkeiten gab es deshalb noch nie, sagt er.

Bunt gemischt: Auch Heteros sind willkommen

„Ich glaube, es gibt immer nur dort Diskussionen über Homosexuelle, wo die Leute gar nicht in Kontakt mit Schwulen und Lesben sind“, erklärt Chrissy Wittmann, die dem Chor seit neun Jahren angehört. Damit, dass sie mit einer Frau statt einem Mann verheiratet ist, geht auch die 45-Jährige völlig offen um. Diese Offenheit, ist sie überzeugt, bewahrt sie vor dummen Sprüchen oder gar Diskriminierung. „Ich glaube, die Gefahr steigt eher, wenn man sich unsicher verhält“, sagt die gelernte Krankenschwester.

Und dann erzählt Wittmann, welch eine erstaunliche Entwicklung „Sotto Voce“ in den vergangenen zehn Jahren genommen hat. Mit vier Chorfans fing alles 2007 an. Als Wittmann ein Jahr später dazu stieß, zählte der Chor ein Dutzend Mitglieder. Soprane, Altistinnen, Tenöre und Bässe – der Chor wurde immer größer und auch immer professioneller. Heute kann sich „Sotto Voce“ problemlos mit jedem anderen Popchor aus der Würzburger Amateurszene messen.

„Sotto Voce“ lockt übrigens nicht nur homo- oder bisexuelle Sänger an. „Es gibt auch Heteros, aber die sind bei uns ausnahmsweise mal in der Minderheit“, sagt Chormitglied Andreas Hausknecht und schmunzelt. Zu dieser Minderheit gehört die 26-jährige Carina Schütz, die gerade das juristische Staatsexamen abgelegt hat. In der Examensphase machte sie ihr Freund auf „Sotto Voce“ aufmerksam. Schütz, die Popsongs über alles liebt, war hin und weg von dem, was sie da hörte. Anfang des Jahres kam sie zu einer ersten Probe: „Ich fand die Stimmung, die hier herrscht, von Beginn an klasse und habe gleich jeden, der mitsingt, liebgewonnen“, sagt sie. Heute ist sie überglücklich, wieder ein erfüllendes Hobby zu haben. Das wochenlange Lernen für das Examen erlebte sie als lange Durststrecke.

Isabelle Schneider, seit über drei Jahren Chormitglied, findet es gut, dass schwule und lesbische Sänger durch ihre Auftritte in der Öffentlichkeit Präsenz zeigen. Und der 25-Jährigen gefällt, dass sich der Chor sozial engagiert: „Wir geben oft Benefizkonzerte“, erklärt sie. So wirkt „Sotto Voce“ jedes Jahr beim Gottesdienst zum Welt-Aids-Tag mit. Auch bei einer gemeinsamen Veranstaltung des Würzburger Arbeitskreises „Stolpersteine“ und des WuF trat „Sotto Voce“ schon auf. Dabei ging es um schwule Männer aus Würzburg, die in der NS-Zeit verfolgt wurden. Dazu gehörte der Jurist Leopold Obermayer, der im Februar 1942 im KZ Mauthausen zu Tode kam. „Seit zwei Jahren singen wir außerdem für die Hentschel-Stiftung“, so Schneider. Auf diese Weise trägt „Sotto Voce“ dazu bei, dass Wissenschaftler der Würzburger Uni zusätzliches Geld für Forschungen gegen den Schlaganfall zur Verfügung haben. Ziel ist es, akute Schlaganfälle künftig besser behandeln zu können. Am 14. Oktober steht der nächste große Auftritt von „Sotto Voce“ an – in der Würzburger Franz-Oberthür-Berufsschule. Das Orchesterkonzert mit dem Schweizer Symphonic Rock Orchestra „Wood and Metal Connection“ aus Einsiedeln steht ganz im Zeichen des Jubiläums. (Pat Christ)

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