Leben in Bayern

Sipan mit Projektleiter Marco Schraud und Stephan Becker wollen auf das Recht auf Bildung aufmerksam machen. (Foto: Pat Christ)

06.04.2018

Kunstprojekt für ein besseres Leben

In Würzburg haben Schüler entlang einer Wegstrecke von ihrer Schule zur Landesgartenschau Stationen errichtet, die die Einhaltung von Kinderrechten einfordern

Als Sipan (13) aus Syrien nach Bayern kam, konnte er weder schreiben noch lesen. Als Schüler der Würzburger Mönchbergschule half er nun mit, einen „Weg der Kinderrechte“ zu kreieren. Denn nicht nur in Ländern, in denen die Bevölkerung in extremer Armut lebt, bleiben Kinderrechte auf der Strecke. Die Schüler wollen zeigen: Auch in Deutschland gibt es noch einiges zu tun. Kein Kind auf dieser Welt darf benachteiligt werden. Nicht wegen seines Geschlechts. Nicht wegen seiner Hautfarbe. Und nicht aufgrund einer Behinderung. So steht es in der UN-Kinderrechtskonvention. Was ganz konkret bedeutet, dass jedes Kind auf dieser Welt auch das Recht auf Bildung hat. Zumindest in der Theorie. Sipan zum Beispiel, der aus Syrien stammt, wurde dort nicht unterrichtet. Als er vor einem Jahr mit seinen Eltern nach Deutschland kam, konnte er weder lesen noch schreiben noch rechnen.

Dass ihm damit ein Unrecht widerfahren ist, ist dem 13-Jährigen inzwischen bewusst. Denn Sipan, heute Schüler an der Würzburger Mönchbergschule, nahm an einem Kunst- und Bildungsprojekt zum Thema „Kinderrechte“ teil. Seit fünf Jahren schon beschäftigen sich Schülerinnen und Schüler der Mönchbergschule mit der UN-Kinderrechtskonvention. Vielen ging es ähnlich wie Sipan: Sie hätten nicht geahnt, dass das, was sie sich schon immer gewünscht haben, zum Beispiel, eine Schule zu besuchen, lesen und schreiben zu lernen und ihre Persönlichkeit zu entwickeln, ein ausformuliertes Kinderrecht ist.

Durch das Projekt möchte die Mönchbergschule einen Beitrag dazu leisten, dass die Kinderrechte zumindest in Würzburg besser wahrgenommen werden. Bewirken soll dies ein „Weg der Kinderrechte“, in den alle Ideen der Kinder eingeflossen sind. Im Februar wurde er offiziell eröffnet. An vier Stationen verweisen Muschelkalkstelen mit künstlerisch gestalteten Keramikmotiven auf die Rechte von Kindern. Der Weg beginnt an der Mönchbergschule und führt bis zum Gelände der Landesgartenschau, die am 12. April in Würzburg eröffnet wird.

Für die am Projekt beteiligten Kinder war es ganz erstaunlich, zu erfahren, worauf Jungen und Mädchen überall auf der Welt einen Anspruch haben. Sie dürfen zum Beispiel, genauso wie Erwachsene, sagen, was sie denken – auch wenn ihre Meinung unkonventionell sein sollte. Erwachsene dürfen sie dafür nicht bestrafen. Sie müssen auch gehört werden. Sind sie gezwungen, aus ihrer Heimat zu fliehen, haben sie das Recht auf Schutz seitens der Erwachsenen.

Dass die Kinderrechte in armen Ländern, teilweise aber auch in Deutschland, oft nicht geachtet werden, erfuhr Marco Schraud, Impulsgeber des Projekts, durch eine Ausstellung über Kinderrechte im Berliner Kindermitmachmuseum. Anlass der Ausstellung war der 20. Jahrestag der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention durch Deutschland. An vielen interaktiven Stationen setzten sich die kleinen Museumsbesucher damit auseinander, welche Kinderrechte es gibt, welche Bedeutung die einzelnen Rechte haben und wie es um die Umsetzung dieser Rechte steht.

Elterliche Fürsorge? Bei diesem Thema kommen einigen Kindern die Tränen

Oft werden ganz selbstverständliche Rechte mit Füßen getreten, sagt der Sozialpädagoge und Steinmetz aus Thüngersheim bei Würzburg: „zum Beispiel das Recht der Kinder auf elterliche Fürsorge“. Die Diskussionen mit den Schülern über dieses Recht hat der zweifache Vater als sehr emotional in Erinnerung. Denn in der Würzburger Mönchbergschule, wo vor allem Flüchtlingskinder unterrichtet werden, gibt es etliche Schüler, deren Eltern sich nicht fürsorglich um sie gekümmert haben. Manche wurden ohne elterliche Begleitung ganz alleine auf die Flucht geschickt. Schraud: „Bei einigen Schülern flossen die Tränen, als wir über dieses Thema gesprochen haben.“

Das Projekt diente gleichzeitig dazu, Kinderrechte zu realisieren, allen voran das Recht, eine eigene Meinung zu haben, sowie das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe. Insgesamt sechs Klassen setzten sich bisher in jeweils zehn Unterrichtseinheiten mit Facetten des Themas „Kinderrechte“ auseinander. Teilweise geschah das in der Schule, teilweise an außerschulischen Lernorten wie dem Würzburger Kulturspeicher oder auch in Schrauds Atelier in Thüngersheim. Und das Projekt sollte die Diskussion in der Öffentlichkeit anregen. Ist das Thema politisch doch gerade hochaktuell.

Erst vor Kurzem erklärte Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, wie wichtig es wäre, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. „Das könnte dazu beitragen, dass Gerichte und Behörden Kinder als Träger von Menschenrechten ernst nehmen“, betonte sie. Dieser Gedanke fand nun tatsächlich politisches Gehör. „Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern“, heißt es im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. Kinder seien Grundrechtsträger: „Ihre Rechte haben für uns Verfassungsrang.“

Wie ein Kindergrundrecht aussehen könnte, darüber sollen Bund und Länder bis spätestens Ende 2019 einen Vorschlag vorlegen. Der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) begrüßt dies. Er setzt sich schon seit mehr als 20 Jahren dafür ein, dass Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden. Für DKSB-Präsident Heinz Hilgers wäre ein Kindergrundrecht ein „Meilenstein“, der vielen Kindern in Deutschland helfen würde, ihr Leben zu verbessern.

Nicht nur in jenen Ländern, wo die Bevölkerung in existenzieller Armut lebt, bleiben Kinderrechte auf der Strecke. Auch in Deutschland gibt es Defizite. Zwar darf hier jedes Kind zur Schule gehen und sich bilden. Doch es gibt auch hierzulande Kinder, deren Rechte missachtet werden. Zum Beispiel das Recht auf eine fürsorgliche Erziehung ohne körperliche oder psychische Gewalt. Die polizeiliche Kriminalstatistik verzeichnete für das Jahr 2016 mehr als 3620 Fälle von Kindesmisshandlung. Wobei die Polizei selbst von einer hohen Dunkelziffer nicht angezeigter Straftaten ausgeht.

Etwa jedes zehnte Kind in Deutschland wächst in Armut auf

Dass in Deutschland etwa jedes zehnte Kind in Armut aufwächst, wird von Kinderrechtsorganisationen ebenfalls seit Langem angeprangert. Darum drängt der Kinderschutzbund auf eine Kindergrundsicherung. Das Bildungs- und Teilhabepaket, auf das auch viele Kinder der Würzburger Mönchbergschule einen Anspruch haben, lehnt der Kinderschutzbund als zu bürokratisch und stigmatisierend ab. Für Kinder und ihre Familien sei das Paket oft mit dem Gefühl von Demütigung verbunden, heißt es.

Auch um die Partizipationsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen ist es hierzulande nicht zum Besten bestellt. Denn noch sind Kinder kaum beteiligt, wenn es um kommunale Entscheidungen und Planungsprozesse geht. Selbst über ihre ureigenen Angelegenheiten, etwa die Gestaltung von Spielplätzen, entscheiden oft allein Erwachsene. Doch es gibt auch gute Beispiele für eine gelungene Partizipation. Eines ist das Kunstprojekt „Weg der Kinderrechte“. Ein anderes ist die Jugendkonsultation von 24 entwicklungspolitisch engagierten jungen Leuten zwischen 14 und 24 Jahren.

Die Jugendlichen erarbeiten in drei Workshops Vorschläge für den vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) anvisierten Aktionsplan zur Umsetzung von Kinder- und Jugendrechten. „Kinder und Jugendliche wissen selbst am besten, was in ihrer Lebenssituation wichtig ist“, heißt es in den Vorschlägen. Wenn sie sich vernetzen und austauschen, profitieren sie von dem Wissen, den Erfahrungen und der Motivation Anderer. Oft fehlten engagierten Kindern und Jugendlichen jedoch finanzielle Mittel, um einen Sitzungsraum für ein Treffen zu mieten, Flyer zu drucken, Reisekosten zu decken oder Beratungsangebote einzuholen. Deshalb benötigt das Kinder- und Jugendrecht auf Partizipation finanzielle Stärkung.

In der Mönchbergschule weiß man nur zu gut, dass mangelnde Ressourcen Projekte, die Kinderrechte stärken wollen, zum Scheitern bringen können. Auch den „Weg der Kinderrechte“ zu finanzieren, war nicht leicht gewesen. Zu den Unterstützern gehören das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ des Bundesfamilienministeriums, der Förderverein der Mönchbergschule sowie die Sparkassenstiftung. Außerdem verfügte der ehemalige Mönchbergschullehrer Raimund Morper, der vor Kurzem verstarb, dass anlässlich seiner Beisetzung Geld für den „Weg der Kinderrechte“ gesammelt wird. 1500 Euro kamen so zusammen.

Während der Landesgartenschau, die vom 12. April bis zum 7. Oktober stattfindet, wollen die Mönchbergschüler, die an dem Kunstprojekt teilnahmen, ihre Ideen zum Thema Kinderrechte mit anderen Schülerinnen und Schülern aus Würzburg austauschen. Das wäre jedenfalls ihr Wunsch, so Schulleiter Stephan Becker. Ob er realisiert werden kann, steht noch nicht fest.
(Pat Christ) Foto (Christ): Viele Kinder an der Mönchbergschule kommen von sehr weit her.

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