Leben in Bayern

Ihnen geht es nicht nur um gute Noten: Sinksar Ghebremedhin, Caroline Schambeck, Polina Larina, Sybille Veit, Daniel Meierhofer und Gideon Arnold. Die BSZ stellt jede Woche eine/n dieser außergewöhnlichen Studierenden vor. (Fotos: BSZ)

24.03.2017

Vom Flüchtling zum Doktoranden

BSZ-Serie „Studierende mit Engagement“: Sinksar Ghebremedhin hat einen Verein gegründet, mit dem er Asylbewerber für die Uni fit macht

Sie übernehmen besondere gesellschaftliche Verantwortung oder haben erfolgreich Hindernisse im eigenen Lebens- und Bildungsweg gemeistert. Die Staatszeitung stellt in einer Serie sechs ganz besondere Studierende vor. Dank Sinksar Ghebremedhin zum Beispiel können Flüchtlinge sich gezielt auf ein Studium vorbereiten. Vier haben bereits ihren Abschluss geschafft.
Oft wird er auf der Straße für einen Flüchtling gehalten. Doch Sinksar Ghebremedhin ist gebürtiger Schwabe. Aufgeklärt wird das Missverständnis aber meistens nicht: „Ich fürchte eher, mich in München als Schwabe zu outen, als als Eritreer“, sagt Sinksar und lacht.

Die Eltern mussten selbst vor dem Krieg fliehen

Tatsächlich hat der 25-jährige LMU-Student aber jeden Tag mit geflüchteten Menschen aus der ganzen Welt zu tun. Denn der Deutschlandstipendiat bietet mit seinem Verein „Students4Refugees“ Deutschunterricht für Flüchtlinge mit Hochschulzulassung an. „Nur durch Sprache und Sprachfähigkeit erhalten die meisten Flüchtlinge Zugang zu Bildung und können sich schnell in Deutschland integrieren“, erklärt er. Durch den Verein sollen Flüchtlinge die Möglichkeit bekommen, mit dem Studium zu beginnen oder es fortzusetzen.

Auf die Idee zu Students4Refugees kam Sinksar, als er vor zwei Jahren für drei Monate nach Eritrea gereist ist. „Mein Name und ein Teil meiner Kultur stammen von dort“, erklärt der Medieninformatiker. Ein 30-jähriger Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea vertrieb in der Vergangenheit Millionen Menschen aus dem Land – auch seine Eltern. Sein ältester Bruder wurde Anfang der Achtzigerjahre auf der Flucht im Sudan geboren. „Ich kenne zwar die dunklen Seiten des Kriegs und der Flucht nicht“, erzählt der gebürtige Esslinger. „Doch ich fühle mich durch meine Eltern immer meiner anderen Heimat verbunden.“

Eigentlich wollte Sinksar in Eritrea die Geschichte seiner Familie besser verstehen lernen. Doch vor allem lernte er während eines Praktikums beim Informationsministerium in Asmara gleichaltrige Studierende kennen. „Diese Erfahrung öffnete mir die Augen“, erzählt er. Ohne von der bevorstehenden Flüchtlingskrise zu ahnen, beschloss Sinksar: „Sobald ich wieder in Deutschland bin, will ich etwas verändern.“ Wieder unter weiß-blauem Himmel half er in der Münchner Bayernkaserne als Dolmetscher für Englisch beziehungsweise Tigrinya und begleitete Menschen zu Ämtern, Ärzten und in der Freizeit.

Die Erlebnisse mit der immer größer werdenden Zahl von Flüchtlingen prägten ihn: Unter den Asylbewerbern waren viele Studierende. „Das sind doch verschenkte Talente“, dachte er sich damals. Wenn sie weiterstudieren könnten, könnten sie als Multiplikatoren auch anderen den Einstieg erleichtern. Also entwarf er zusammen mit seinem Freund Phi Tran ein Konzept und schickte dies an Münchner Hochschulen, um sie von der Notwendigkeit von Deutschkursen zu überzeugen – mit Erfolg.

Im Winter 2015 erstellten 25 ehrenamtliche Lehrkräfte unterschiedlicher Fachrichtungen des Vereins gemeinsam mit dem Institut für Deutsch als Fremdsprache (DaF) der LMU einen Lehrplan – die Hochschule München stellte die Räume. LMU-Mitarbeiterin Julia Blanco coacht seitdem die vier Lehrteams. Diese wiederum unterrichten und betreuen jeweils rund zehn Flüchtlinge. Neben der Vermittlung der Sprache sollen auch die deutsche Kultur und Lebensweise vermittelt werden. „Beides sind zentrale Bestandteile für eine Eingliederung in die Gesellschaft“, erklärt Sinksar. Unterstützung erhält das Projekt neben dem DaF-Institut aus den Sozialwissenschaften, der interkulturellen Kommunikation und karitativen Einrichtungen.

Mit einem hatte Sinksar allerdings nicht gerechnet: Wie aufwendig das Projekt ist. Denn die Suche nach Flüchtlingen, die in München bleiben durften und auch eine Hochschulreife nachweisen konnten, stellte sich als schwierig heraus. Hinzu kamen bürokratische Hürden. Und natürlich seine Arbeit als Tourguide im Münchner Olympiapark, um sich sein Studium zu finanzieren. „Meine Eltern schicken ihre ganzen Ersparnisse nach Eritrea, da will ich ihnen nicht auch noch auf der Tasche liegen“, erläutert er. Damit das Projekt nicht starb, opferte Sinksar ein Semester und ließ sich beurlauben. Jetzt nimmt das Projekt zwar immer noch viel Zeit in Anspruch – doch inzwischen ist der 25-Jährige Deutschlandstipendiat. „Durch das Stipendium kann ich mich weiterhin für mein Projekt engagieren und mein Studium wieder erfolgreich fortsetzen“, erklärt er. Nach dem ersten Semester wurde das Konzept weiterentwickelt. Aktuell finden dreimal pro Woche Deutschkurse statt. Außerdem gibt es gemeinsame Unternehmungen wie Stadtrundgänge, Museumsbesuche oder Büchereiführungen, bei denen die jungen Erwachsenen ihr Wissen anwenden und gleichzeitig München kennenlernen können. „Darüber hinaus kommen sie mit dem deutschen Hochschulsystem und Studierenden in Kontakt“, freut sich Sinksar.

Kursteilnehmer werden auch mal abgeschoben

Weniger erfreulich: Immer wieder werden engagierte Kursteilnehmer abgeschoben. Doch einige Flüchtlinge haben es an die Uni geschafft. Das Ergebnis: ein Bachelorabschluss, zwei Masterabschlüsse – und eine Promotion. Manche entscheiden sich auch für eine Ausbildung. Und eine große Zahl engagiert sich zusätzlich in Vereinen wie der Freiwilligen Feuerwehr. Das alles sind die Erfolgsmeldungen, für die Sinksar lebt. Er verspricht: „Ich mache weiter!“ (David Lohmann)

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