Leben in Bayern

Ursula Putz auf dem Rettungskutter Sea-Eye. Für drei Einsätze war sie bereits im Mittelmeer. (Foto: Putz)

23.02.2018

Von Beruf: Lebensretterin

Die Passauer Professorin Ursula Putz hängte ihren alten Beruf an den Nagel – und rettet seit 2016 Flüchtlinge vor dem Ertrinken

Sie hat die halbe Welt bereist – und meistens nur die schönen Seiten gesehen. Ihre wohl wichtigste Reise aber führte die Passauer Archäologin Ursula Putz vor die tunesisch-libysche Mittelmeerküste. Dort ertrinken täglich Menschen auf der Flucht nach Europa. Und sofort war ihr klar: Da will sie auf keinen Fall wegsehen. August 2015. Die Berichte vom Flüchtlingslager im griechischen Idomeni gehen um die Welt. „Ich war entsetzt, wie man die Menschen dort behandelt“, sagt Ursula Putz, habilitierte Prähistorikerin und Archäologin aus Passau.

Putz sitzt in einem Regensburger Coffeeshop. Alles sehr bequem dort. Aber da draußen, im Mittelmeer, ertrinken Menschen. „Alle 50 Minuten einer“, sagt Sea-Eye-Gründer Michael Buschheuer. Mindestens einer alle ein bis zwei Stunden, sagen andere. Buschheuer hat die private Seenotrettung in Regensburg gegründet. Ursula Putz hat sie mit aufgebaut und war eine der Ersten, die mit der Sea-Eye in See stachen. Sie erzählt von den Anfängen und davon, was es bedeutet, wenn man jeden Tag Menschen vor dem Ertrinken rettet.

„Auf die Politik zu schimpfen reicht nicht“

In Regensburg waren zu dem Zeitpunkt einige Jugendliche einfach losgefahren in das Lager nach Idomeni. Ausgestattet mit Lebensmitteln haben sie dort für die Menschen gekocht. Auch Freunde aus dem Bekanntenkreis von Putz waren dabei. „Das hat mich so fasziniert, dass ich dachte: Statt auf die Politik zu schimpfen, kann ich selber etwas unternehmen.“ Der Einsatz der anderen ohne Umschweife hat Putz beeindruckt. „Da wusste ich: Du kannst auch etwas tun.“

 Die „Trägheit der Politik“ hat Putz immer geärgert. Im Oktober 2015 kommt sie von einer Reise aus Sardinien zurück und liest in der Lokalpresse von der Regensburger Hilfsorganisation Sea-Eye. Die private Seenotrettung steckt noch in den Kinderschuhen. Keiner der Helfer ist ein Profi. Auch Ursula Putz nicht. Aufhalten wird das keinen – auch sie nicht. Das Schiff ist schon gekauft und liegt im Stadthafen von Rostock vor Anker. Eine ihrer ersten Aufgaben bei Sea-Eye ist die Organisation von Rettungsinseln und Rettungswesten. Mehr als 200 Reedereien schreibt sie damals an. Fünf antworten und spenden. 700 Westen kann Putz damals organisieren und acht Rettungsinseln.

Die grüne Farbe der Sea-Eye sei auch von ihr, erzählt Putz. Schleifen, polieren, einen neuen Schriftzug anbringen. Andere machen den 60 Jahre alten Fischkutter wieder seetauglich. Jeder gibt, was seinen Fähigkeiten entspricht, opfert die Freizeit oder den Urlaub. Inzwischen unterstützen Künstler, Schauspieler und Designer die NGO, viele Ärzte und Experten, die auch bei den Einsätzen vor Ort an Bord sind.

14 Jahre hat Putz an den Universitäten in Graz und in Regensburg gearbeitet. In den letzten Jahren war die Professorin als Reiseleiterin unterwegs. Ihre ersten Einsätze im Mittelmeer aber haben sie mehr geprägt als jede andere Reise zuvor. Bis heute ist die Arbeit für die Flüchtlinge keine leichte Aufgabe.

Anfang 2016 begleitet Putz die Überführung des Schiffes von Rostock nach Brest. Mehr als ein paar Erfahrungen auf einem Katamaran hat sie nicht. 24 Stunden am Stück, über eine ganze Woche hinweg, tuckert der kleine Dieselkutter Richtung Bretagne. Und von dort aus bei Sturm über die Biscaya und von Malaga nach Licata auf Sizilien. Mit sieben bis acht Knoten. Acht Männer und Frauen sind unter Skipper Markus Neumann an Bord. Es ist die einzige Zeit für die Crew, sich aufeinander einzustellen. Ursula Putz kennt die übrigen Helfer nicht. Beim Einsatz müssen sie ein eingespieltes Team sein. So wenig wie möglich will man heute deshalb dem Zufall überlassen. Die Einsätze sind auch so brisant genug. In den Anfängen aber war noch vieles schwieriger.

Heute werde jeder Handgriff geübt. Das Boot zu Wasser lassen. Heranfahren an die Flüchtlingsboote. Verteilen von Wasser und Schwimmwesten, die Ansprache der Flüchtlinge. Auch der Funkkontakt mit der MRCC (Maritime Rescue Coordination Centre) oder der libyschen Küstenwache, die mit einer Milliarden-Euro-Unterstützung durch die EU nicht nur den Flüchtlingen das Leben zur Hölle macht, sondern auch die privaten Hilfsorganisationen unter massiven Druck setzt. Es kam vor, dass Crewmitglieder verhaftet wurden und erst nach Intervention der Bundesregierung wieder auf freien Fuß kamen. Soldaten der libyschen Küstenwache schießen notfalls auch auf Flüchtlinge und Crewmitglieder, deshalb halten sich die privaten Seenotretter zur Sicherheit weiter draußen auf dem Meer auf.

Als Ursula Putz vor zwei Jahren am 22. Februar 2016 auf dem alten Kutter an Bord ging, wusste sie noch nicht, dass sie heute festangestellt Menschenleben retten würde. Es war der erste von drei ihrer 14-tägigen Rettungseinsätze. Es schien noch für viele selbstverständlich, dass man Menschen vor dem Ertrinken retten muss. Die Hilfe von „Mare Nostrum“ war gerade eingestellt worden. Die Sea Watch hatte mit eigenen Hilfsaktionen 2015 von sich Reden gemacht. Heute müssen sich die privaten Seenotretter, darunter so renommierte Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, gegen den Vorwurf verteidigen, ihre Rettungsaktionen leisteten kriminellen Schleppern Vorschub. Schlimmer noch. Sie würden mit ihnen gemeinsame Sache machen.

„Absurd“ nennt Putz Vorwürfe, dass Einsätze der Seenotretter die illegale Einreise nach Europa erleichtern würden, wie Kritiker der Seenotrettung glauben. Dabei steht außer Zweifel: Ein Kapitän, der einen in Seenot geratenen Menschen nicht rettet, wird sich vor Gericht verantworten müssen. Die Rettung ist also keineswegs nur ein moralisches Diktat.

Gefahr durch Milizen und die Küstenwache

Die Seenotrettung ist mehr denn je eine Notwendigkeit – und auch für Ursula Putz ohne jede Alternative. Trotz aller Anfeindung und Bedrohung durch aggressive Milizen und die libysche Küstenwache und trotz der bürokratischen Schikanen von EU-Mitgliedsstaaten. (Flora Jädicke)

Kommentare (4)

  1. juan am 04.05.2018
    Es gibt kein besseres Bereuf...und kein besseres Erfahrung als das Leben retten von ein Mensch...
  2. lasch am 24.02.2018
    Solange Menschen in Seenot sind, warum auch immer, muss man diese retten. Und solange Menschen auf der Flucht sind, warum auch immer, muss man ihnen helfen, sie schützen und an einen sicheren Ort bringen. Alles andere ist unmenschlich und ein Verstoß gegen die Menschenrechte.
  3. Johann am 24.02.2018
    Finde ich sehr, sehr gut, handeln und nicht nur plappern!
  4. Pfiff am 23.02.2018
    Ich finde es einfach super, dass es solche Menschen gibt, Respekt!
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