Leben in Bayern

Christian Ude (links) und Peter Gauweiler im Gespräch. Foto: Sven Hoppe/dpa

08.03.2018

"Würde ich heute nicht ertragen"

1968 standen sich Christian Ude und Peter Gauweiler als politische Gegner gegenüber: ziemlich links der eine, stramm konservativ der andere. Für einen gemeinsamen Rückblick sitzen sie nun an einem Tisch. Da werden auch Peinlichkeiten eingeräumt

1968 in München: Die Studentenproteste erreichen die bayerische Landeshauptstadt. Links steht damals Christian Ude, SPD, Zeitungsredakteur und 25 Jahre später Oberbürgermeister von München, auf der anderen Seite Peter Gauweiler, gerade in die CSU eingetreten, später bayerischer Umweltminister und stellvertretender Parteivorsitzender. Heute sind beide Politrentner.

Die Deutsche Presse-Agentur hat sie für einen gemeinsamen Rückblick auf das Revoltejahr an einen Tisch gebeten. Für beide kein Problem. Sie kennen sich lange, traten unter anderem bei der Münchner Oberbürgermeisterwahl 1993 gegeneinander an. Gauweiler und Ude gelten innerhalb ihrer Parteien als Querköpfe. Sie haben sich über die Jahre in vielen Positionen angenähert, wie auch ihre Brief-Kolumne im "Münchner Merkur" gezeigt hat.

Im Rückblick auf 1968 findet Ude, damals bei der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) zuständig für Schulen und Hochschulen, manches peinlich. Etwa die "irrationale Bewunderung" für Ho Chi Minh oder Mao Tse-tung: "Wie kann eine Generation, die derartig für sich in Anspruch nimmt, die sensibelste in Fragen der Diktatur und ihrer Früherkennung zu sein, derartige Diktatoren und Tyrannen mit einer Blutspur der Millionen Toten, so unkritisch sehen und sogar feiern", fragt er sich. "Das ist mir im Nachhinein peinlich, wobei ich selber nie mit einem Mao-Plakat rumgelaufen bin, aber eben auch keinen Anstoß daran genommen habe, dass andere es taten."

Gauweiler: "Mir tut überhaupt nichts leid"

Er selbst habe sich damals in einem Zwiespalt befunden, erinnert sich der 70-Jährige. Er habe sich als SPD-Mitglied im Umfeld linker Jungsozialisten bewegt, sei als SZ-Redakteur aber vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund "nur als Scheißliberaler oder noch schlimmer "Repräsentant der bürgerlichen Presse" betitelt" worden.

"Zwischen den Stühlen" sah sich damals auch Gauweiler, und "immer als hochpolitisch und als kontra". Fehler in der 1968 so aufgeheizten Atmosphäre bedauert Gauweiler nicht: "Mir tut überhaupt nichts leid." Auch seine Fehler nicht. "Das ist halt mein Leben, und ich bin dankbar, dass ich's hab' leben dürfen."

Ude übt dagegen deutliche Selbstkritik: "Was mich befremdet - und an dieser späten Einsicht ist der Rundfunk schuld - ist der Ton, den wir damals angeschlagen haben. Es gibt da eine Parteitagsreportage mit Originalton, und über meine Rede kann ich nur sagen: So einen Kerl würde ich heute nicht mehr ertragen. Diese oberlehrerhafte Lust an der Unterweisung, diese naseweise Rechthaberei mit soeben erst aufgeschnappten Soziologensprüchen, diese verletzende Aggressivität..."

Die 68er seien "ganz schöne Chauvis" gewesen

Der Sozialdemokrat relativiert auch das damalige politische Engagement der Studenten: "Wenn man Politischsein daran misst, ob man einen Rudi-Dutschke-Wortschatz beherrscht oder nicht und auch ständig im Munde führt oder nicht, dann waren wir damals, und selbst damals nur eine Minderheit an den Universitäten, sicher politischer, als es heute klingt."

Die heutige Jugend will Ude, der 2013 als SPD-Spitzenkandidat vergeblich versucht hatte, Horst Seehofer als bayerischen Ministerpräsidenten abzulösen, aber deswegen nicht als unpolitisch abtun: "Wenn man sich aber anschaut, was junge Leute heutzutage tatsächlich machen, ob früher in irgendwelchen Initiativen als Kernkraftgegner oder ganz aktuell in der Flüchtlingshilfe, dann sind die an realen politischen Verhältnissen vielleicht sogar näher dran."

Und wo bitte bleibt das Positive an 1968? "Sie haben bestimmte Verkrampfungen mit sich rumgeschleppt, aber haben auch der Gesellschaft das Tanzstundenhafte, das Verzopfte genommen", räumt Gauweiler ein. Und die Gleichberechtigung? Die 68er seien "ganz schöne Chauvis" gewesen, findet Ude. "Ihr Verhältnis zur Sexualität war eigentlich ein Wunsch nach freier Verfügbarkeit attraktiver Kommilitoninnen." Erst die Frauen selbst hätten eine Wende bewirkt.

Ude: GroKo stärkt die Ränder

Gauweiler fällt zu dem Thema eine Anekdote ein, die an heutige Femen-Auftritte erinnert: "Der Adorno, der hat in Frankfurt einen Herzanfall bekommen, wie sich die Frauen ausgezogen haben in der Vorlesung." Ude hat Verständnis für den Soziologen, der damals an der Universität Frankfurt lehrte: "Es war halt auch nicht seine Kommunikationsebene."

Gauweiler vermisst auch die früher intensiv geführten Debatten zwischen politischen Gegnern und das "Ringen um den richtigen Weg" in der aktuellen Politik. "Große Kontroversen, die Sie zuhause in der Familie haben, die wir haben, die die ganze Gesellschaft hat - Bundeswehreinsatz im Ausland, Bankenrettung, Grenzen - Schutz ja oder nein -, Russland - Boykott ja oder nein -, in unserer großen Koalition, oder in diesem Berliner Politbiotop, da unterscheiden die sich ja nur auf dem Millimeterpapier."

Genauso wie 1968 sitzen auch 2018 Politiker von Union und SPD im Bundestag gemeinsam auf der Regierungsbank. Eine Konstellation, die die Ränder stärkt, findet Sozialdemokrat Ude, der mit seinem Buch "Macht endlich Politik!" unter anderem CDU und SPD die Leviten las: "Das ist ein nahezu physikalisch notwendiger, gesetzmäßiger Vorgang. Wenn beide Volksparteien sich unterhaken für eine gemeinsame Regierung, tun sie beide einen Schritt zur Mitte und lassen an den Rändern ein Schritt breit frei."

Ude und Gauweiler kritisierten in ihrer Kolumne im "Münchner Merkur" bereits vor vier Jahren die damalige große Koalition, und heute wie damals urteilt Gauweiler: "Eine große Koalition ist nicht dazu da, um politische Niederlagen von Parteiführern, egal von wem, zuzukitten."
(Martina Scheffler, dpa)

Christian Ude und Peter Gauweiler 
Sie sind beide Münchner, gelten als Querköpfe in ihren Parteien und stehen seit Jahrzehnten in regem Austausch: Christian Ude (SPD) und Peter Gauweiler (CSU).

Ude wurde 1947 in München geboren und trat 1966 in die SPD ein. 1967 wurde er Volontär bei der "Süddeutschen Zeitung", wo er später als Redakteur für Schulen und Hochschulen zuständig war. Er studierte Jura und arbeitete von 1979 bis 1990 als Rechtsanwalt. 1993 wurde er zum Münchner Oberbürgermeister gewählt - Gegenkandidat: Peter Gauweiler - und blieb bis 2014 im Amt. Ude hält heute Lesungen und Vorträge, tritt als Kabarettist auf und meldet sich immer wieder mit Kritik an seiner Partei zu Wort.

Peter Gauweiler kam 1949 in München zur Welt. Im Revoltejahr 1968 trat er in die CSU ein, war später Stadtrat, Innenstaatssekretär in Bayern und von 1990 bis 1994 Bayerischer Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen. Für die CSU saß der Rechtsanwalt von 2002 bis 2015 im Bundestag, die letzten beiden Jahre war er auch stellvertretender Parteivorsitzender. Gauweiler war gegen die Milliardenkredite an Griechenland, den Eurorettungsschirm und Käufe von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank. Er klagte vor dem Bundesverfassungsgericht sowohl gegen die Griechenlandhilfen als auch gegen das Programm zum Kauf der Staatsanleihen - vergeblich. Aufgrund seiner anhaltenden Kritik kam es zu innerparteilichen Differenzen. Gauweiler verzichtete schließlich auf sein Mandat im Bundestag. Er ist weiter als Rechtsanwalt tätig.
(dpa)

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