Politik

Allein die Abbildung des Propheten – auf diesem persischen Wandteppich aus dem 16. Jahrhundert wird Mohammed (Bildmitte) von Engeln in der Himmel geleitet – ist auch für Strenggläubige noch kein blasphemisches Vergehen, entscheidend ist der inhaltliche Kontext. (Foto: dpa)

29.01.2015

"Christen, die sich unterwerfen, werden verschont"

Die Bayreuther Islamwissenschaftlerin Paula Schrode über das Abbildungsverbot des Propheten Mohammed und die theologischen Fundamente des Salafismus

„Das hat nichts mit dem Islam zu tun“, lautete nach den Anschlägen von Paris ein häufiges Zitat. Doch bezogen sich die Attentäter eben auch auf konkrete Sachverhalte des Koran, die es so in anderen Religionen nicht gibt: etwa den hohen Stellenwert des Märtyrertodes oder die sehr strenge Bestrafung jeglicher Formen von Blasphemie. BSZ: Frau Professor Schrode, als jemand, der sich tagtäglich beruflich mit dem Thema Islam beschäftigt: Was haben Sie ganz persönlich empfunden angesichts der zuletzt im Namen dieser Religion begangenen Grausamkeiten?
Schrode: Es hat mich, ehrlich gesagt, nicht sehr überrascht. Die Redakteure und Karikaturisten von Charlie Hebdo wurden schon seit Jahren von Islamisten massiv bedroht. Trotzdem bin ich natürlich schockiert, vor allem über das Ausmaß der Gewalt.

BSZ: Die Begründung der Attentäter war, dass die Zeichner den Propheten Mohammed beleidigt hätten. Ungeachtet der Tatsache, dass keine Beleidigung ein solches Verbrechen rechtfertigt – haben sie ihn denn tatsächlich beleidigt?

Schrode: Aus muslimischer Sicht – ja. Das ist die weitverbreitete Wahrnehmung, nicht nur unter radikalen Muslimen. Als Karikaturisten haben die Zeichner Mohammed ja bewusst herabgesetzt, was in der islamischen Tradition als ein schlimmes Vergehen gilt. Wobei nicht, wie oft behauptet, die bildliche Darstellung des Propheten als solche die Beleidigung darstellt. Das so genannte Abbildungsverbot hat längst nicht überall und zu allen Zeiten gegolten: In älteren Buchmalereien gibt es zahlreiche Darstellungen Mohammeds – wenngleich sein Gesicht dann häufig mit einem Schleier verdeckt ist. Die Beleidigung ergibt sich erst aus der Karikierung, und eine Beleidigung ohne Abbildung, etwa durch Worte, wäre nicht weniger gravierend.

BSZ: Wird so etwas dann in der islamischen Welt tatsächlich bestraft – auch durch staatliche Instanzen?
Schrode: Man kann für die Beleidigung des Islams oder Mohammeds in mehreren muslimischen Staaten, unter anderem in Saudi-Arabien oder Pakistan, hingerichtet werden. In Saudi-Arabien etwa wird gerade ein Blogger wegen „Beleidigung des Islam“ mit tausend Peitschenhieben bestraft – und das, während man dort eben noch die Attentate von Paris offiziell verurteilt hat. Aber auch in der Türkei könnte man für Zeichnungen wie die von Charlie Hebdo Probleme strafrechtlich verfolgt werden – wie vergleichsweise harmlose Fälle schon gezeigt haben.

BSZ: Man kann weitgehend ungestraft Jesus verspotten, Moses oder Buddha – aber Mohammed zu verhöhnen ist lebensgefährlich: Bekommt der Islam nicht allein dadurch eine gesellschaftliche Sonderrolle und wird sakrosankt?
Schrode: Inwieweit die neuen Ereignisse die künftige Arbeit von Medienschaffenden und Künstlern beeinflussen werden, wird man erst retrospektiv sagen können. Aber viele werden in Zukunft sicher noch einmal stärker abwägen, ob sie satirische Kritik am Islam riskieren wollen. Politiker wird man weiterhin verspotten, wohl auch Persönlichkeiten aus anderen Religionen – aber Witze über den Propheten Mohammed oder den Islam haben sich Komiker bereits vor den Attentaten schon sehr genau überlegt.

BSZ: Islamistische Terroristen stammen ja nicht nur aus muslimischen Ländern, immer öfter engagieren sich dort auch junge Männer aus westlichen Familien – warum wirkt gerade der Islam so anziehend auf potentielle Terroristen?
Schrode: Zum einen muss man sich anschauen, vor welchen Hintergründen und in welchem Zusammenhang sich einzelne Personen solchen radikalen Strömungen anschließen. Das kann in den konkreten Einzelfällen sehr unterschiedlich sein, aber allgemein kann man sagen, dass radikale Strömungen häufig Zulauf vor dem Hintergrund von Krisen erhalten. Das können politische, soziale oder einfach biographische Krisen sein. Und zum anderen muss man natürlich betrachten, was die gewählte Weltanschauung oder Lebensform zu bieten hat und was mit ihr gemacht wird. Wir sprechen hier ja vor allem vom militanten Salafismus, einer ganz buchstabengetreuen Strömung im Islam, die eigentlich hinter allen aufsehenerregenden Anschlägen der letzten Jahre stand und der auch Leute wie Osama bin Laden zuzuordnen sind.

"Radikale sind auch für Muslime eine Bedrohung"

BSZ: Was sind die konkreten Merkmale des Salafismus?
Schrode: Das ist eine Islam-Auslegung, in der die eigene Gruppe gegenüber allen Menschen, die ihr nicht angehören, enorm aufgewertet wird. Es herrscht ein ganz einfaches, fest gefügtes Weltbild, für alles im Leben gibt es klare Regeln. Die Welt wird in Islam und Feinde des Islams, in Gläubige und Ungläubige, „wahre“ Muslime und „Heuchler“ unterteilt, und es wird geglaubt, dass die Muslime ausdrücklich das Recht und den Auftrag haben, dem Islam überall auf der Welt Geltung zu verschaffen – auch mit Gewalt. Um dieses militante Element geht es ja dieser Tage. In dem Zusammenhang betont man übrigens auch den hohen Stellenwert des Märtyrertodes in der islamischen Tradition: Wer den Propheten rächt und dabei getötet wird, hat sich hohe Verdienste um den Islam erworben und darf mit dem Lohn des Paradieses rechnen. Die Attentäter von Paris haben erklärt, dass sie als Märtyrer sterben wollen.

BSZ: Die glauben tatsächlich an die 72 Jungfrauen im Paradies?

Schrode: Es gibt für mich keinen Grund, daran zu zweifeln. Das Versprechen, dass man als Märtyrer für den Islam auf direktem Weg ins Paradies gelangt, spielt eine große Rolle bei der Rekrutierung von Dschihadisten – wobei allerdings nicht immer explizit von den Jungfrauen die Rede ist. Von Kurden, die in Nordsyrien gegen den „Islamischen Staat“ kämpfen, habe ich gehört, dass IS-Kämpfer, die ihnen in die Hände fallen, geradezu darum bitten, getötet statt gefangengenommen zu werden.

BSZ: Dann wird es aber sehr schwer, den Islam so wie alle anderen Religionen ganz normal in das westliche Wertesystem zu integrieren, oder?

Schrode: Es gibt ja nicht nur den eben geschilderten Islam, also nicht nur radikale Strömungen, auch wenn diese uns natürlich besonders beschäftigen, sondern eine Vielfalt von Traditionen und auch neuen Auslegungen. Der Großteil davon ist deutlich liberaler, gerade auch in Europa, und in solchen Fällen ist Islam längst integriert, ohne dass man groß darüber spricht. Weil es gerade um Paris geht: Dort gibt es zum Beispiel einen Imam, der in einer Moschee religiöse Trauungen für gleichgeschlechtliche Paare durchführt! Die Radikalen sind auch für solche Muslime eine große Bedrohung. Der Islam war aber schon immer ein Nebeneinander von vielen, teils sehr widersprüchlichen Strömungen. Die Gemengelage könnte sich langfristig auch ganz anders entwickeln, als viele es zur Zeit befürchten: Vielleicht verliert der Radikalismus eines Tages seine Anziehungskraft und fällt in sich zusammen. Auch wenn es uns heute befremdet, gab es immerhin auch in der Geschichte des Christentums Zeiten, in denen man die Menschen mit religiösen Begründungen für Kreuzzüge oder zum gewaltsamen Vorgehen gegen störrische Heiden mobilisieren konnte. Religionsgeschichte ist die Geschichte von Menschen und Gesellschaften, und daher ist die Zukunft immer offen.

BSZ: Aber macht man es sich nicht zu leicht, wenn man die aktuellen Gräuel nur auf die salafistische Strömung schiebt? Immerhin steht in Sure 2, Vers 191 „Und erschlagt die Ungläubigen, wo immer ihr auf sie stoßt“– und der Koran ist schließlich für Muslime das unmittelbare Wort Gottes.
Schrode: Das stimmt. Es gibt eine ganze Reihe von Textquellen, auch in den Überlieferungen über das Leben Mohammeds, die von Muslimen in allen großen islamischen Strömungen als heilig betrachtet werden, aber in Hinblick auf Gewalt Fragen aufwerfen. Diese Quellen werden aber nicht isoliert gelesen, sondern es gibt dazu umfangreiche Traditionen der Auslegung. So wird beispielsweise bei vielen Versen argumentiert, dass sie sich lediglich auf eine konkrete Situationen bezogen hätten, aber nicht allgemeingültig zu verstehen seien. Der zitierte Vers wird übrigens auch von Salafisten nicht so gelesen, dass man Ungläubige immer und überall töten muss, sondern man vertritt in der Regel eine traditionelle Auffassung, nach der zumindest manche „Ungläubige“, nämlich Juden und Christen, zu verschonen sind, sofern sie sich islamischer Oberherrschaft unterwerfen. Damit will ich nur sagen, dass man auch salafistische Auslegungen nicht verstehen kann, wenn man ausschließlich in den Koran schaut. Entscheidend ist, dass es zu sämtlichen „heiklen“ Texten, die in der Tat zur Legitimierung von Gewalt und der Unterdrückung Andersgläubiger herangezogen werden, immer auch andere Lesarten gibt – und dass es von den Muslimen selbst abhängt, welcher Lesart sie sich anschließen.

BSZ: Wie kann man angesichts der jüngsten Ereignisse mäßigend auf die Pegida-Anhänger einwirken, deren Angst vor dem Islam ja nochmal gestiegen sein dürfte?

Schrode: Persönliche Kontakte zu Muslimen sind wahrscheinlich der beste Weg. Und wenn sich das im Alltag nicht ergibt: Warum nicht auch mal zum Tag der offenen Tür in eine Moschee gehen? Dort trifft man zwar auf eine eher konservative Religiosität, die nicht unbedingt repräsentativ ist, aber Besucher sind in aller Regel sehr willkommen und können Fragen stellen. Dabei mag manches offen bleiben, aber das Wichtigste für die Zukunft unserer Gesellschaft ist meiner Meinung nach, dass die Ängste und Vorbehalte auf der zwischenmenschlichen Ebene abgebaut werden. Umgekehrt sind ja auch viele Muslime angesichts von Pegida sehr verunsichert. (Interview: André Paul)

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