Politik

Glücklicher Amtsinhaber: Wolfgang Rzehak an seinem Miesbacher Schreibtisch. (Foto: dpa)

13.01.2017

"A bisserl Grün schadt ja a ned"

Erst der Landkreis, dann die Partei: Wolfgang Rzehak zeigt, wie man auch als Grüner in einem stockkonservativen bayerischen Landkreis Erfolg haben kann

Wackersdorf, Mitte der Achtziger. Es ist eine dieser großen Demonstrationen, wo der geballte Widerstand gegen die Atomkraft auf die geballte Staatsgewalt stößt. Etwas am Rande, auf einem Hügel sitzt der Beppo mit zwei Freunden, trinkt sein Bier und wundert sich: Um was geht’s hier eigentlich? Mit einem Bus vom Bund Naturschutz sind sie hergekommen, um gegen die Wiederaufbereitungsanlage zu protestieren. Aber jetzt fühlen sie sich etwas fehl am Platz und begnügen sich mit der Zuschauerrolle. „Die Polizei war sehr aggressiv“, erinnert sich Beppo später, „aber es waren auch echte Chaoten dabei, die es darauf angelegt haben.“

Es ist eine kleine Szene, die bezeichnend ist für den Beppo. Für den Grünen, der in einem Gespräch gleich dreimal betont: „Ich bin kein Linker.“ Der Beppo heißt übrigens gar nicht Beppo. Aber der Spitzname, den ihm ein Spezl auf dem Spielplatz verpasst hat, ist geblieben. In Wirklichkeit heißt der Mann Wolfgang Rzehak und ist mittlerweile Landrat im Landkreis Miesbach.

Ein Grüner im schwarzen Kernland. Im Stimmkreis von Ilse Aigner, wo die CSU-Frau bei der letzten Landtagswahl 57 Prozent der Stimmen holte. Im Herbst 2013 war das, nur wenige Monate später feierte Rzehak (man spricht ihn: Schehak) seinen Triumph. Im ersten Wahlgang 21 Prozent der Stimmen, noch lag der Kandidat der Freien Wähler 17 Prozentpunkte vor ihm. Bei der Stichwahl dann die große Überraschung: 53 Prozent. Zum ersten Mal eroberten die Grünen damit im Alleingang ein bayerisches Landratsamt. Im fränkischen Miltenberg gewann am selben Tag ein Parteifreund ebenfalls die Landratswahl, allerdings als gemeinsamer Kandidat von SPD, ÖDP und Grünen.

Jetzt also ein Grüner. Geht denn das? Ja

Dass die CSU sich hier in Miesbach nicht behaupten konnte, ja, schon im ersten Wahlgang mit nur 15,83 Prozent der Stimmen rausflog, lag freilich nicht an Rzehak, dem netten Kassier vom Eishockeyverein, Vater von zwei Kindern und Freund von AC/DC und den Simpsons. Zu verantworten hatte das Wahlergebnis der damals amtierende Landrat Jakob Kreidl. Der hatte sich und seine Partei durch eine Anhäufung von Skandalen ins Aus manövriert: eine abgeschriebene Doktorarbeit, ein privater Schwarzbau und eine prunkvolle von der Sparkasse gesponserte Geburtstagsfeier ließen selbst die härtesten Schwarzen vom Glauben an ihren Landrat abfallen.

Jetzt also ein Grüner. Geht denn das? Ja. Wenn man wie der 49-Jährige einer aus dem Volk ist, seinen Trachtenjanker aus Überzeugung und nicht aus Anbiederung trägt und sich auf Volksfesten wohlfühlt, dann geht das. Rzehak, der bis zu seiner Wahl Verwaltungsbeamter im Kreisverwaltungsreferat in München war, sitzt am Besprechungstisch seines Büros, auf dem sich die Unterlagen türmen. Ein stinknormales Behördenbüro, von der angeblich prunkvollen Ausstattung des Vorgängers ist nichts zu sehen. Der soll die Räume damals für knapp 300 000 Euro modernisieren lassen haben. Das Geld stiftete die Sparkasse. Rzehak zeigt in die Ecke, in der die berühmt-berüchtigte Skulptur des Künstlers Otto Wesendonck gestanden hat. Inzwischen hat sie die Sparkasse wieder abholen lassen. Stattdessen steht auf dem Schreibtisch eine kleine Plastikkuh.

Aus der Sicht von Wohnungssuchenden ist der Landkreis Miesbach der fünftteuerste in ganz Deutschland, aus der Sicht von Kommunalpolitikern ist es der mit der größten Pro-Kopf-Verschuldung in Bayern. Bildungslandkreis nennt man sich wegen der hohen Ausgaben für Schulen und andere Einrichtungen. Außerdem hat der Landkreis Miesbach den höchsten Anteil von Biobauern in ganz Deutschland, fast 30 Prozent. Im Norden stößt er an den Landkreis München, im Süden geht es schon gleich nach Tirol. Knapp 100 000 Menschen wohnen hier in der Postkartenidylle zwischen Wendelstein, Schliersee und Mangfalltal.

Am Tegernsee lebt das Geld; Uli Hoeneß, Thomas Enders und Hubert Burda haben hier Villen, auch der eine oder andere russische Oligarch hat sich hier eingekauft. Was man hierzulande besonders schätzt, ist Ruhe. Die ist nun nach dem Wirbel um Kreidl wieder eingekehrt. „Wir haben den Neuanfang geschafft“, sagt Rzehak, „ohne dass die Grüne Republik ausgerufen wäre.“

Rzehaks Erfolg beweist, dass die von der CSU so erfolgreich propagierte Gleichung Bayern=CSU nicht immer aufgehen muss. „Erst kommt der Landkreis, dann die Partei“, sagt Rzehak stets. Aber auch vor der hat man hier längst keine Angst mehr. „Wir sind doch die bürgerlichste Partei von allen. Auch wenn das manche Grüne vielleicht nicht so sehen wollen. Wenn wer Mitte ist, dann wir.“ Rzehak ist ein bekennender Fan von Winfried Kretschmann, dem Mann, den CSU-Wadlbeißer Andreas Scheuer jüngst schon zum Gastmitglied seiner Partei machen wollte.

Die Bürger sind zufrieden: Rhezak ist kein Gschleckter

„A bisserl Grün schadt ja a ned“, sagt Birgit Thielke. Sie arbeitet in der EDV des Landratsamts, kennt als Personalrätin aber auch recht gut die Nöte ihrer 416 Kollegen. Sie erinnert sich noch sehr gut an die Belastung in der Endphase der Kreidl-Ära. „Da wurden Mitarbeiter am Telefon oder beim Bäcker beschimpft“, erzählt sie. Mit dem Neuen ist sie zufrieden, volksnah und „kein Gschleckter“ sei Rzehak. „Eigentlich kein Politiker.“ Merkt man im Alltag denn, dass er ein Grüner ist? „Na, überhaupt ned.“ Gut, da gebe es jetzt dieses Dienst-E-Bike im Landratsamt. Aber sonst ...

Rzehak, fünftes Kind einer sudetendeutschen Flüchtlingsfamilie, ist 1986 direkt nach Tschernobyl bei den Grünen eingetreten, und natürlich weiß er auch, dass nicht alle Grünen wie Kretschmann ticken. In Kreuzberg, da würde man ihn vermutlich aus der Partei ausschließen, sagt Rzehak, schimpft auf den moralischen Impetus mancher Veganer und bringt noch schnell den Churchill zugeschriebenen Klassiker: „Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer es mit 30 immer noch ist, hat keinen Verstand.“ Und dann die Berliner mit ihrem Lageso: „So was tät’s hier in Bayern nicht geben. Selber nix auf die Reihe kriegen, aber auf die Seppl da unten in Bayern schimpfen.“ Klingt gut. Hätte so mancher CSU-Bürgermeister aus dem Landkreis nicht besser sagen können.

Ein solcher Bürgermeister ist Josef Lechner. Er regiert in der Gemeinde Fischbachau, wo beispielsweise der Biokräuter-Mischer Herbaria seinen Sitz hat. Unterhält man sich mit ihm, kommt man sehr schnell auf Themen wie E-Mobilität, Ökomodellregion und 30-Minuten-Takt der Bayerischen Oberlandbahn. Inhaltlich gibt es kaum Diskrepanzen zu Rzehak. Auch atmosphärisch scheint alles zu stimmen. „Der Wolfgang ist ein netter, freundlicher Kerl. Die Zusammenarbeit ist konstruktiv.“ Wofür Lechner den Landrat kritisiert, ist etwas anderes: „Er verwaltet den Landkreis. Das ist mir persönlich zu wenig. Vom führenden Kopf im Landkreis erwarte ich mehr strategisches Denken und Handeln.“ Deshalb müssten nun immer wieder die Bürgermeister in die Bresche springen, um Projekte voranzutreiben. Klar, der Landkreis habe kein Geld, und natürlich müsse man die Schulden runterbringen. „Aber nicht um jeden Preis. Wir müssen Vorreiter sein und dürfen keine Chancen verpassen.“ Rzehak kennt diese Kritik, hat sie schon oft zu hören bekommen. Seine Antwort darauf: Hätte mein Vorgänger mal etwas mehr verwaltet und weniger gestaltet, hätten wir viele unserer jetzigen Probleme nicht.

Rzehak jedenfalls möchte noch ein wenig länger verwalten. „Landrat ist das schönste Amt, das es gibt“, sagt er und würde es gern bis zur Altersgrenze bleiben. Das sind insgesamt immerhin 24 Jahre – vorausgesetzt, die Wähler machen mit. (Dominik Baur)

Kommentare (1)

  1. OberlandBeobachter am 13.01.2017
    Ein sehr guter Text! So richtig kritisch und mit hart nachfragender Distanz und ohne diese übliche demonstrative, zwischen den Zeilen bekundetete Symapthie für den Grünen. So muss professioneller Journalismus sein, dann glauben die Leser auch wieder, dass Reporter nicht vor allem ihre persönliche politische Meinung verbreiten wollen.
    (Ironie Ende)
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