Politik

Manfred Weber wirbt für eine Rückkehr der Reisefreiheit in der EU. (Foto: dpa)

11.01.2017

"Abschottung bringt keine Sicherheit"

Die Flucht des Berlin-Attentäters Amri durch halb Europa hat Viele aufgeschreckt. Doch herkömmliche Grenzkontrollen bannen die Terrorgefahr nicht - meint EVP-Fraktionschef Weber.

Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber ist trotz der Terrorgefahr gegen eine generelle Wiedereinführung von Grenzkontrollen in Europa. Im Interview wirbt der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei für eine Rückkehr zur Reisefreiheit, sobald die Lage wieder sicherer ist. Zudem verlangt er eine tiefgreifende Reform der europäischen Flüchtlingspolitik.

Frage: Herr Weber, Sie plädieren für eine europäische Obergrenze für Flüchtlinge. Also Abschottung statt Asylrecht?
Weber: Nein. Europa muss helfen, wenn wir humanitäre Katastrophen und menschliches Leid sehen wie in Aleppo. Es geht nicht um Abschottung, sondern um eine vernünftige Gestaltung der Flüchtlings- und Migrationspolitik. Wir halten es für richtig, dass wir in Absprache mit dem Herkunftsgebiet und den Vereinten Nationen feste und begrenzte Kontingente anbieten, wie es etwa Kanada macht. Und die Menschen, die aus Ländern wie der Türkei, Jordanien oder dem Libanon nach Europa kommen, müssen wir nach festen humanitären Kriterien aussuchen. Letztes Jahr kamen vor allem junge Männer nach Deutschland, Schweden oder Österreich. Nach humanitären Kriterien müsste man zunächst einmal schauen, wer besonders dringend Hilfe braucht, etwa alte Menschen, Kinder oder vergewaltigte Frauen. Aber es gilt auch: Bei einem sehr reichen Kontinent wie Europa mit 500 Millionen Menschen kann das Kontingent nicht nur ein Schein-Angebot sein. Hilfe ja, aber mit Maß und Ziel.

Frage: Welche Zahl schwebt Ihnen vor?
Weber: Es geht um die Leistungsfähigkeit des Kontinents. Dazu müssen die Mitgliedstaaten im Europäischen Rat Vorschläge machen. Das könnte auch die interne Debatte über die Verteilung der Menschen voranbringen und die Blockade einiger Staaten wie Ungarn oder Polen lösen. Man könnte mit einem freiwilligen Vorschlag starten, wie viel jeder Staat bereit ist aufzunehmen - unter der Voraussetzung, dass die Außengrenzen gut gesichert sind, dass alle mitmachen und es ambitionierte Kontingente sind. Mittelfristig brauchen wir allerdings einen verbindlichen Verteilmechanismus in Europa.

"Hilfe ja, aber mit Maß und Ziel"

Frage: Ihr Szenario ist recht nahe an den Vorschlägen, die zuletzt aus Österreich kamen. Unterstützen sie die Pläne aus Wien?
Weber: Sie gehen in die richtige Richtung. Sie sind nicht fundamental neu, in Brüssel läuft bereits die Gesetzgebung zur Umsiedlung und fairen Verteilung. Positiv ist, dass nach monatelangem Stillstand und einer inakzeptablen Blockadesituation nun auch im Ministerrat Bewegung in die Debatte kommt.

Frage: Neu an den österreichischen Vorschlägen ist, dass Asylanträge nur noch außerhalb der EU gestellt werden sollen. Tragen Sie das mit?
Weber: Die Grundidee ist richtig, aber das ist nur da machbar, wo wir eine Partnerschaft mit unseren Nachbarn haben, wie bei der Türkei. Anders ist es bei instabilen Ländern wie Libyen, wo wir steigende Zahlen bei Überfahrten und leider auch zu viele Todesfälle haben. Das Modell lässt sich heute noch nicht generell machen, ist aber ein möglicher Ansatz.

Frage:
Mit der Flüchtlingskrise kamen auch die Grenzkontrollen, die Deutschland und Österreich nun praktisch unbefristet weiter führen wollen. Ist das Schengen-Abkommen tot?
Weber: Nach den Schengen-Regeln sind temporär Kontrollen möglich. Das unterstützen wir angesichts der verschärften Sicherheitslage und des Migrationsdrucks. Andererseits dürfen wir den Terroristen nicht den Erfolg gönnen, dass wir keine offene Gesellschaft mehr sind. Wenn sich die Sicherheitslage verbessert hat und die Außengrenzen sicher sind, dann sollten wir auch zurückkehren zur Reisefreiheit.

"Das Ziel bleibt zum Schengen-Prinzip zurückzukehren"

Frage: Wird das nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag dauern?
Weber: Wir müssen beschlossene Anti-Terror-Maßnahmen wie die Gefährderdatei bei Europol jetzt mit Leben füllen. Dann können wir schneller zum Schengen-Prinzip zurückkehren - und das bleibt das Ziel. Die Innenminister sind in der Pflicht zu belegen, warum Grenzkontrollen erforderlich sind. Es kann keinen Freibrief geben. Aber die Sicherheitslage muss berücksichtigt werden, weil dies Grundaufgabe jedes Staats ist.

Frage: Zeigt die Flucht des Berlin-Attentäters Amri durch halb Europa, dass Schengen nicht mehr zeitgemäß ist?
Weber: Nein, im Gegenteil: Der Fall Amri zeigt ja gerade, dass wir moderne Methoden im Anti-Terror-Kampf brauchen. Frankreich hat derzeit Grenzkontrollen, aber die haben Amri nicht aufhalten können. Die früheren Methoden der Grenzsicherung bieten keinen hundertprozentigen Schutz. Nötig ist moderne Technik wie zum Beispiel automatische Gesichtserkennung und vor allem eine viel bessere Kooperation zwischen den Behörden europaweit. Wir sollten nicht glauben, dass Abschotten mehr Sicherheit bringt. (Verena Schmitt-Roschmann, dpa)


ZUR PERSON:
Der CSU-Politiker Manfred Weber (44) ist seit 2014 Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, dem er seit 2014 angehört. Zudem ist der Niederbayer aus Wildenberg stellvertretender CSU-Chef.

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