Politik

Er hat es nicht nur in den Stadtrat geschafft, sondern wurde von den Wählern von Platz 29 auf Platz 1 gehievt: der gebürtige Chinese You Xie. (Foto: dpa)

04.04.2014

Alibi-Migranten? Von wegen!

Zu wenig Ausländer gehen wählen, zu wenige erringen ein Mandat – bei der politischen Integration hat Bayern Nachholbedarf

Ente gut, alles gut“ – mit diesem Wahlspruch gelang CSU-Kandidat You Xie in Bamberg eine Sensation. Er schaffte bei der Kommunalwahl Mitte März den Sprung von Platz 29 auf Platz 1 und damit in den Stadtrat. Seit 26 Jahren lebt Xie in Bamberg, seit 2012 ist er in der CSU. „Ich will meiner neuen Heimat etwas zurückgeben“, sagt er der Staatszeitung. Xie betreibt einen China-Imbiss – besonders beliebt bei Studenten. Die haben immer wieder zu ihm gesagt: „You, wegen dir gehe ich zur Wahl.“ Dennoch: Die Wahlbeteiligung war auch in Bamberg mit 44,4 Prozent desaströs. Was Xie besonders ärgert: die geringe Wahlbeteiligung von Migranten. „Einige waren wohl einfach zu faul“, glaubt Xie.
Und Arif Tasdelen, SPD-Landtagsabgeordneter mit türkischen Wurzeln, meint: „Viele fühlen sich einfach nicht verstanden.“ Es gebe Menschen, die glaubten, dass die Parteien „nur Alibi-Migranten“ aufstellten.
In Nürnberg traten gleich drei Kandidaten mit Migrationshintergrund für die CSU an. Sie erlebten ein Debakel: Viele Wähler strichen sie von der Liste. Nur die griechischstämmige Stadträtin Aliki Alesik schaffte es erneut in den Stadtrat, stürzte aber vom Listenplatz 9 auf Platz 18 ab. Anders bei der Nürnberger SPD: Fünf Migranten traten auf vorderen Plätzen an, und alle wurden gewählt. „Rot-Grün hat sich den Migranten frühzeitig geöffnet“, räumt Martin Neumeyer (CSU), Integrationsbeauftragter der Staatsregierung, ein. „Aber auch die Union öffnet sich“, glaubt er. „Für manchen Wähler ist das allerdings noch ein längerer Weg.“ Tasdelen kontert provokant: „Parteien machen sich auch ein Stück weit ihre Wähler. Erinnert sei nur an CSU-Parolen wie ,Wer betrügt, der fliegt’.“

Zwei Landtagsabgeordnete mit Migrationshintergrund

Gemessen am Bevölkerungsanteil – er liegt in Bayern bei 19 Prozent – sind Menschen aus Einwandererfamilien in der Politik deutlich unterrepräsentiert. Laut der Heinrich-Böll-Stiftung lag die Zahl der Stadträte mit Migrationshintergrund in Großstädten deutschlandweit gerade mal bei 4 Prozent; bayerische Zahlen gibt es nicht. Von den 180 Abgeordneten des bayerischen Landtags wiederum haben nur zwei einen Migrationshintergrund: Im Gegensatz zu Tasdelen, der 1982 mit acht Jahren nach Bayreuth kam, wird die CSU-Abgeordnete Michaela Kaniber oft vergessen. Die 35-Jährige sieht das als „Kompliment“ und „Zeichen einer gelungenen Integration“. Kanibers Eltern kamen Anfang der 1970er Jahre aus Kroatien ins Berchtesgadener Land. Die Wirtstochter, die gerne Tracht trägt, betont: „Es gab überhaupt keine Probleme, als junge Frau mit ausländischem Hintergrund Kreisvorsitz und Direktmandat zu bekommen.“ Tasdelen dagegen musste mit einigen Vorurteilen kämpfen, bis er im Nürnberger Stadtrat saß: „Jetzt im Landtag habe ich das erste Mal nicht mehr das Gefühl, dass ich besser sein muss als andere.“
Auch die 42-jährige Neu-Ulmer Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz bestätigt: „Anerkennung zu erlangen war ein sehr steiniger Weg.“ Als die gebürtige Türkin 1998 für die Grünen in den Bundestag kam, war das vielen nicht geheuer. Auch weil sie sich nicht auf migrationspolitische Themen beschränkte. Doch auch der Bundestag wird langsam bunter. Mit der neuen Legislaturperiode hat sich die Zahl der Abgeordneten aus Einwandererfamilien von 21 auf 37 erhöht. Deligöz wünscht sich eine Offensive in der Jugendarbeit. Und mehr Migranten im öffentlichen Dienst, bei Polizei und Verwaltung – „denn das sind unsere Visitenkarten“.
Landtags-SPD und -Grüne wollen ein bayerisches Integrationsgesetz, das Kommunen Integrationsbeiräte vorschreibt – also Gremien, die in den Gemeinden die Interessen der ausländischen Bürger vertreten. Auch der Integrationsbeauftragte Neumeyer ist dafür. CSU, Freie Wähler und kommunale Spitzenverbände sehen darin jedoch unnötige Bürokratie. Selbst CSU-Frau Kaniber sagt: „Bayern bietet alle Möglichkeiten, man muss sich auch integrieren wollen.“ Im Freistaat gibt es derzeit 22 Integrationsbeiräte. Viele Kandidaten der Kommunalwahl kamen aus den Beiräten, berichtet Mitra Sharifi, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns (AGABY). Sie weist darauf hin, dass die Ausländerbeiräte bei allen gesellschaftlichen Anlässen eingeladen und präsent sind. Das zeige Wirkung: „Die Bevölkerung erkennt, dass sich Migranten für die Gesellschaft interessieren. Und Migranten sehen, dass es sich lohnt, sich politisch zu engagieren.“ (Angelika Kahl)

(Fotos: Die Landtagsabgeordneten Arif Tasdelen (SPD) und Michaela Kaniber (CSU); BSZ, DPA)

 

 

 

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