Politik

12.04.2013

"Alle beschweren sich über Politik, aber keiner sucht Lösungen"

Beim Europäischen Jugendparlament in München simulieren Teilnehmer aus dem ganzen Kontinent die Arbeit in Brüssel

Der Ort für die Eröffnungszeremonie der 72. Internationalen Sitzung des Europäischen Jugendparlaments (EJP) war klug gewählt. Die Allerheiligen-Hofkirche in der Münchener Residenz wurde im Zweiten Weltkrieg fast vollständig von den Alliierten zerstört. So hat es einen hohen Symbolcharakter, wenn sich gut 70 Jahre später 300 Jugendliche aus ganz Europa zusammensetzen, um in der sanierten Kriegsruine über Frieden, Demokratie und Menschenrechte zu sprechen. Die Teilnehmer sollen lernen, wie politische Prozesse ablaufen, welche Einflussmöglichkeiten sie haben und wie sie ihre Meinung einbringen können. „Das größte europäische Jugendprogramm ist für unser demokratisches Miteinander unverzichtbar“, erläutert Europaministerin Emilia Müller (CSU) in ihrer Festrede. „Gäbe es dieses Gremium nicht bereits, müsste man es erfinden.“ Gegründet wurde das EJP 1987 als Plattform für politische Bildungsarbeit, interkulturelle Begegnungen und Ideenaustausch für Heranwachsende. Das ehrenamtliche Netzwerk besteht aus 36 europäischen Verbänden und erreicht bei seinen rund 100 Parlamentssimulationen jährlich etwa 20.000 Menschen im Alter zwischen 16 und 22 Jahren. Einer davon ist Fatih Seyfi aus dem hessischen Weilburg, der in München Repräsentant der deutschen Delegation ist. „Alle beschweren sich über Politik, aber keiner sucht Lösungen“, erklärt der 18-Jährige seine Motivation. Er fühle sich als Europäer und engagiere sich daher schon seit vier Jahren für eine bessere Völkerverständigung. Wie die Vizepräsidentin des EJP, Monika Seidel aus Dachau, wurde auch Fatih durch eine Schulaktion auf das Projekt aufmerksam und konnte sich in einem bundesweiten Auswahlverfahren für die Teilnahme qualifizieren.

Hitziger Streit ums Trinkwasser

Nach der Auftaktveranstaltung beginnt für die Abgeordneten die eigentliche Arbeit in den Ausschüssen, in denen eigenständig und zusammen mit Experten Lösungsansätze zu bestimmten Problemstellungen diskutiert werden. Der Kernpunkt des 72. Treffens ist das Thema Ressourcen – insbesondere die Verteilungskonflikte bei Energie und Wasser. „Trinkwasser dient dem Allgemeinwohl und entscheidet über Leben und Tod“, verdeutlicht der Leiter der Abteilung Wasserwirtschaft im Bayerischen Umweltministerium, Martin Grambow. Ob die von der Europäischen Union (EU) geplante Privatisierung der Wasserversorgung mehr Vor- oder Nachteile mit sich bringt, debattiert er danach gemeinsam mit 20 Delegierten beim simulierten Umweltausschuss im Münchener Lehel Carré. In den Augen der Italienerin Valentina würde eine Ausschreibung der Wasserrechte für mehr Wettbewerb sorgen und damit eine bessere Qualität bei der Versorgung sicherstellen. „Wasser ist aber eine natürliche und begrenzte Ressource, deswegen kann es nicht Teil des Marktes sein“, argumentiert Chavito aus Griechenland in fließendem Englisch. Der nächste Schritt wäre doch sonst für Luft Geld zu verlangen, springt ihm Grambow bei und erzählt von den gescheiterten Privatisierungsvorhaben in Indien und den USA. „Der Staat muss für die Zukunft garantieren und darf nicht nach dem Prinzip ‚Versuch und Irrtum‘ handeln.“ Im Nachbarsaal setzt sich Hans-Jörg Beilharz von der Rückversicherungs-Gesellschaft Munich Re im Falle einer Liberalisierung der EU-Wasserrahmenrichtlinie für eine wirksame Regulierung ein. Er plädiert für eine Vereinheitlichung des Wasserpreises in den Mitgliedsländern, da dies zu einer effizienteren Nutzung führen würde. „Wenn der Preis aufgrund knapper werdender Ressourcen steigt, würde sonst die ganze Wirtschaft einer Nation zusammenbrechen“, weiß der Fachmann für Klimawandel. Ob die Jungpolitiker Beilharz‘ Ansichten folgen werden, wird sich bei der Parlamentarischen Vollversammlung zeigen, in der die Ergebnisse präsentiert und entschieden werden. Bis dahin müssen sich auch die Abgeordneten in den 14 anderen Ausschüssen eine Meinung gebildet haben. Fachlichen Input bekommen sie dabei beispielsweise von Michael Loch vom Referat für Klimaschutz, den die ausländischen Gäste nur „Sir“ nennen. Er schildert im Energieausschuss das Klimaprogramm 2020 des bayerischen Umweltministeriums. Im Rechtsausschuss sucht Niels Ehlers vom Initiative & Referendum Institute Europe Gründe, warum europaweite Entscheidungen oft von nationalen Interessen überlagert werden. Und Eva Feldmann-Wojtachnia vom Zentrum für Angewandte Politikforschung prüft im Ausschuss für Konstitutionelle Fragen, wovon die Machtverhältnisse einzelner EU-Mitgliedsstaaten abhängen. Damit die Visionen zur Gestaltung Europas kein Papiertiger bleiben, werden die ausgearbeiteten Resolutionen des EJP jetzt den Schirmherren der Konferenz, Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) und EU-Umweltkommissar Janez Potočnik, überreicht. Wie ernst den Schülern und Studenten ihr Anliegen nach einem einheitlichen und vielfältigen Kontinent ist, wird spätestens zum Abschluss deutlich, als sich die Repräsentanten der 36 Nationen nach getaner Arbeit gemeinsam erheben – für die Europahymne. (David Lohmann)

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