Politik

Bayern in Erwartung eines neuen Parlaments und einer neuen Regierung. (Foto: DPA)

02.08.2013

Alles auf Anfang

Erste Koalition seit 51 Jahren, Landesbank-Debakel, Verwandten-Affäre – Rückblick auf die Legislaturperiode

Eine in vielerlei Hinsicht denkwürdige Legislaturperiode geht ihrem Ende entgegen. Das Besondere nahm schon am Wahlabend im Spätsommer 2008 seinen Anfang. Die seit 51 Jahren in Bayern mit absoluter Mehrheit regierende CSU wurde vom Wähler in bislang beispielloser Weise abgestraft. Statt 60,7 Prozent und Zwei-Drittel-Mehrheit der Landtagsmandate stürzte die CSU auf 43,6 Prozent ab und musste eine Koalition mit der FDP eingehen. Das glücklose CSU-Spitzentandem aus Ministerpräsident Günther Beckstein und Parteichef Erwin Huber trat unter dem Druck der Niederlage zurück, als Retter holte die CSU Horst Seehofer aus Berlin nach München. Ein Ministerpräsident, der auf keinem Wahlzettel stand und von außen importiert werden musste – das gab’s noch nie.
Dem Landtag gehörten zum ersten Mal seit bald 60 Jahren wieder fünf Fraktionen an. Die Freien Wähler zogen erstmals ins Maximilianeum ein und wurden auf Anhieb drittstärkste Kraft, die FDP kehrte nach 14 Jahren in den Landtag zurück. Fünf Fraktionen mit ihren Mitarbeitern sorgten im Maximilianeum nicht nur für ein Platzproblem, alles dauerte nun auch länger. Denn frei nach Karl Valentin hielten sich in den Plenar- und Ausschussdebatten nun nicht mehr nur drei, sondern fünf Fraktionen an die Regel, wonach zwar schon alles gesagt ist, aber noch nicht von jedem. Die Parlamentsneulinge von den Freien Wählern wollten dem Hohen Haus zudem einen neuen Politikstil implantieren und streng an der Sache und nicht nach politischen Lagern entscheiden. Ihr Chef Hubert Aiwanger war zwar nicht an der Regierung, fühlte sich aber auch nicht als Oppositioneller.
Für die CSU war der Anfang nach den vielen Jahrzehnten der Alleinregierung eine harte Zeit. „Koalition ist Mist“, hat der damalige CSU-Fraktionschef Georg Schmid sehr bald festgestellt, und Seehofer ließ kaum eine Gelegenheit aus, den kleinen Partner FDP zu piesacken. Da wurde in der Staatskanzlei eine steuerfinanzierte Studie in Auftrag gegeben, wie man die Liberalen am besten wieder loskriegen könnte, dem FDP-Wirtschaftsminister Martin Zeil wurde die Kompetenz abgesprochen und seiner Staatssekretärin Katja Hessel eine Auslandsreise verweigert. Was FDP-Fraktionschef Thomas Hacker seinerzeit mit einem Wort kommentierte: „Affig!“ Daraufhin war erst einmal wochenlang Funkstille zwischen den Koalitionären.
Der Start in die Legislaturperiode war auch politisch hart. Kaum im Amt, musste sich die Regierung Seehofer vom Landtag zehn Milliarden Euro zur Rettung der Landesbank genehmigen lassen. Es folgte die Wirtschaftskrise, die auch Bayerns Konjunktur in die Rezession trudeln ließ. Kaum war diese überwunden, havarierte im japanischen Fukushima ein Atomkraftwerk, was in Bayern die Energiewende auslöste.
Es sollte die erste von vielen Wenden der Regierung Seehofer werden. Unter anderem folgten die Donau-Wende, die Studiengebühren-Wende, die Breitband-Wende und jüngst die Asyl-Wende. SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher spöttelte darüber, er freue sich, „dass so viele unserer Ideen mehrheitsfähig geworden sind“. Und Hubert Aiwanger ergänzte, seine Freien Wähler hätten aus der Opposition heraus mehr durchgesetzt als die FDP in der Regierung.
Personell hat sich im Laufe der Legislaturperiode einiges getan. Schon ein Jahr nach der Wahl brach die zu den Freien Wählern übergelaufene einstige „CSU-Rebellin“ Gabriele Pauli mit ihrer neuen politischen Heimat und fristete danach als fraktionslose Abgeordnete mit Ausnahme einiger eher skurriler Auftritte ein Schattendasein im Parlament.
Zweimal musste Horst Seehofer ungewollt seine Regierung umbilden. Zunächst ging ihm sein Innenstaatssekretär Bernd Weiß (CSU) im Streit um die Einführung des Digitalfunks von der Stange, dann verkündete Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) seinen Wechsel an die Spitze des deutschen Sparkassenverbandes. Wechsel gab es auch an den Fraktionsspitzen von SPD und Grünen. Der zweimal schwer geschlagene SPD-Spitzenkandidat Franz Maget übergab das Steuer an Markus Rinderspacher. Die Grünen mussten ihren verstorbenen Spitzenmann Sepp Daxenberger erst durch Thomas Mütze und dann durch Martin Runge ersetzen.
Als man schon glaubte, die fünf Jahre mit Anstand hinter sich gebracht zu haben, geriet die Institution Landtag durch die Verwandtenaffäre in eine ernste Glaubwürdigkeitskrise. Rücktritte folgten – unter anderem CSU-Fraktionschef Schmid und SPD-Fraktionsgeschäftsführer Harald Güller –, und mit heißer Nadel wurde an neuen Verhaltensregeln für Abgeordnete gestrickt. „Wir haben in der Vergangenheit nicht immer die Sensibilität gezeigt, die die Menschen zu Recht von uns erwarten“, sagte Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) selbstkritisch.
Nun folgt der Wahlkampf. Seehofer sagte, er sehe dem mit Freude entgegen, denn Wahlkampf sei für ihn „immer ein Jungbrunnen“. Den Abgeordneten rät er, in den kommenden Wochen „neue Leichtigkeit und Fröhlichkeit zu tanken“ – was den meisten  nur ein gequältes Lächeln abnötigt. (Jürgen Umlauft)

Info Was sonst noch geschah

• Bayerns Bürger sprechen sich in Volksentscheiden für einen strengen Nichtraucherschutz und die Abschaffung der Studiengebühren aus.
• Als erster Ministerpräsident besucht Horst Seehofer offiziell Tschechien, sein Amtskollege Petr Ne(c)as kommt zum Gegenbesuch nach München und hält im Landtag eine als historisch eingestufte Rede.
• Münchens Oberbürgermeister Christian Ude erklärt überraschend seine Bereitschaft zur SPD-Spitzenkandidatur für die Landtagswahl.
• Ministerpräsident Horst Seehofer kündigt die Tilgung der bayerischen Staatsschulden bis 2030 an.
• Gemeinsam mit Hessen klagt Bayern vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Länderfinanzausgleich. > jum

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