Politik

Soll nach Nürnberg umziehen: das Gesundheitsministerium. (Foto: dpa)

30.09.2016

Alles nicht so einfach

Im Gesundheitsministerium ist man sauer über den drohenden Umzug – was haben derlei Verlagerungen bislang gebracht?

Mit der Verkündung von Behördenverlagerungen hat die Staatsregierung noch selten Begeisterungsstürme bei den betroffenen Bediensteten ausgelöst. So ist es auch diesmal nach dem Beschluss der sommerlichen Kabinettsklausur in St. Quirin, erstmals ein komplettes Ministerium aus München zu verlagern. Erwischt hat es das Gesundheitsministerium, das nach Nürnberg umziehen soll – „ins Herz der Gesundheitsregion Franken“, wie Ministerpräsident Horst Seehofer erklärte. In einer internen Umfrage haben sich 92 Prozent der rund 250 Beschäftigten gegen den Umzug ausgesprochen. Neben persönlichen Gründen führten sie vor allem fachliche an. Schließlich säßen in München alle wichtigen Akteure des Gesundheits- und Pflegewesens sowie der Landtag als regelmäßige Ansprechpartner. Mit anderen Worten: Alles nicht so einfach.

Es gibt aber auch andere Beispiele. Als Heimatminister Markus Söder vor gut einem Jahr verkünden durfte, dass im ostoberfränkischen Marktredwitz eine neue Justizvollzugsanstalt gebaut werden soll, da atmeten viele aus Nordbayern zwangsversetzte Wachleute in München-Stadelheim auf. Endlich bietet sich ihnen die Chance einer heimatnahen Verwendung. So geht es auch vielen Finanzbeamten, für die diverse Planstellen zum Beispiel nach Straubing, Wunsiedel oder Weiden verlegt werden, weil ihre Aufgaben nicht unbedingt in der Landeshauptstadt erledigt werden müssen. Insgesamt will die Staatsregierung in den kommenden zehn Jahren 2225 Stellen aus 50 staatlichen Einrichtungen in strukturschwache Gebiete des Freistaats abgeben – 1500 davon allein aus München.

Trotz aller Kritik scheinen die Behördenumzüge strukturpolitisch positiv zu wirken. Eine Parlamentsanfrage der SPD-Fraktion förderte jüngst zutage, dass München seit dem Jahr 2000 fast 10 000 Beschäftigte im Staatsdienst verlor (-13,9 Prozent), während gleichzeitig Oberfranken 1200 staatliche Mitarbeiter dazugewann (+4,6%). In den übrigen Bezirken ist die Tendenz nicht ganz so stark ausgeprägt, aber ähnlich. Und das, obwohl die Zahl der Planstellen aktuell um rund 13 000 unter dem Niveau von 2000 liegt. Die Stellenverlagerungen haben also die ohnehin überhitzte Landeshauptstadt entlastet und auf dem Land für neue öffentliche Jobs gesorgt oder zumindest den Verlust von aus Spargründen eingezogenen Stellen einigermaßen ausgeglichen.

Meist hat sich der Protest der Mitarbeiter rasch gelegt

Die Bürgermeister der profitierenden Kommunen wie der vom Verlust industrieller Arbeitsplätze gebeutelten Städte Hof und Tirschenreuth, aber auch das von der Quelle-Pleite betroffene Fürth freuen sie sich in der Regel sehr über die neuen Jobs. Auch wenn die Stellen nur zum Teil mit aus München mitziehenden Staatsbediensteten besetzt werden. Gerade in Regionen mit Bevölkerungsschwund tragen die Verlagerungen zumindest zur demografischen Stabilisierung bei. Denn neben den Zu- und Rückzüglern aus München kommen viele Einheimische durch das neue Jobangebot erst gar nicht in die Not, ihre Heimat aus beruflichen Gründen verlassen zu müssen.

Aber ist das die Umzugskosten wert, die sich je nach Projekt auf sechsstellige Beträge je verlagertem Dienstposten summieren können? Der Oberste Rechnungshof und die Landtags-Grünen haben immer wieder Zweifel angemeldet, ob Behördenverlagerungen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entsprechen. Dabei ist es schwer, eine konkrete Kosten-Nutzen-Analyse vorzulegen, zu komplex ist die Thematik. Da müssen Immobilienverkäufe nicht mehr benötigter Gebäude in München den Neubau- und Renovierungskosten an den neuen Standorten gegenübergestellt, wegfallende München-Zulagen mit Trennungsgeldern und Umzugskosten verrechnet werden. Volkswirtschaftliche und demografische Effekte bleiben gänzlich unbeachtet.

Seit der ersten großen Verlagerung, dem Umzug der Zentralen Bußgeldstelle für Verkehrsdelikte nach Viechtach 1987, gab es immer wieder Verlegungswellen in die Provinz. In die Regierungszeit Edmund Stoibers fielen unter anderem der Umzug des Landesamtes für Umwelt nach Augsburg und Hof und die Neuansiedlung des Präsidiums der Bereitschaftspolizei in Bamberg. Jüngst erst wanderte das Statistische Landesamt von München nach Fürth. Oft waren die Entscheidungen von massiven Protesten der Beschäftigten begleitet, die sich aber nach dem Umzug meist schnell gelegt haben. Die deutlich niedrigeren Lebenshaltungskosten außerhalb der Ballungszentren bei im Großen und Ganzen ähnlich gut ausgebauter Infrastruktur werden als Vorzüge wahrgenommen. Wie man hört, ist die Zahl der Rückversetzungsgesuche nach München jedenfalls überschaubar.

Söder hat aus den Protesten der Vergangenheit gelernt

Heimatminister Markus Söder hat für die neue Verlagerungswelle aus den Protesten der Vergangenheit gelernt. Er verspricht, bei Umzügen auf Zwangsversetzungen zu verzichten, streckt die Verlagerungen über einen längeren Zeitraum, um für Stellenbesetzungen am neuen Standort die natürliche Fluktuation nutzen zu können und lockt skeptische Beamte mit schnelleren Aufstiegschancen.

So hat Söder den Aufbau des Heimatministeriums in Nürnberg als Außenstelle des Finanzministeriums in den vergangenen Jahren relativ geräuschlos vollzogen. Diesem Vorbild will Gesundheitsministerin Melanie Huml folgen. Außerdem plant sie, eine „Kopfstelle“ ihres Ministeriums in München zu behalten. Der Widerstand ist dennoch groß, auch im Landtag. Erst diese Woche hat sich der Gesundheitsausschuss einmütig gegen die Verlagerung ausgesprochen. Den Umzugserfinder Seehofer beeindruckte das nicht. Er will mit der Maßnahme die „nächste Stufe der Behördenverlagerungen zünden“, sagte er im Landtag. „Da lasse ich nicht locker!“ (Jürgen Umlauft)

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