Politik

40 Prozent aller Schüler gehen inzwischen aufs Gymnasium – da gelte die Formel, dass weder acht noch neun Jahre Schulzeit für alle Kinder richtig sind, meint der Kultusminister. Mal sehen, ob diese Meinung vom Ergebnis des Volksbegehrens bestätigt wird. (Foto: dpa)

07.03.2014

"Als Kultusminister muss man Langstreckenläufer sein"

Ludwig Spaenle, im Kabinett zuständig für Bildung und Wissenschaft, über die Dauerprobleme beim G8, den Zoff um Stellenstreichungen und die Zukunft der Grundschulen

So richtig rund gelaufen ist es bisher nicht für Ludwig Spaenle. Seit der Regierungsbildung im Oktober hat er ständig Ärger: Beim G9 droht ein Volksbegehren, die kürzlich bekannt gewordenen Pläne, Lehrerstellen zu streichen, wurden als Wählerbetrug gerügt – als Krisenmanager agierte Spaenle eher ungeschickt. Ministerpräsident Seehofer und selbst Spaenles Spezi Markus Söder reagierten wenig erbaut. BSZ: Herr Spaenle, Finanzminister Söder hat kürzlich in einem Interview gelästert, man könne vorhersagen, welcher Komet 2028 in welchem Abstand an der Erde vorbeifliege, aber wie viele Lehrer von Jahr zu Jahr gebraucht werden, das wisse man offenbar nicht. Hat Sie die Kritik Ihres Ministerkollegen getroffen?
Ludwig Spaenle: Nein, denn wenn ich weiterlese, dann sehe ich, dass er meine Bildungspolitik unterstützt.

BSZ: Warum ist es denn so schwierig, Voraussagen über den Bedarf an Lehrern zu treffen?
Spaenle: Eigentlich ist das gar nicht so schwierig. Wir haben ein Grundproblem, das ist das Auseinanderfallen zwischen dem Beginn des Schuljahres und des Haushaltsjahres. Stellen, die wegfallen, werden erst am 1. Januar im Stellenplan berücksichtigt, Stellen, die dazukommen, schon am 1. August. Das ist rechnerisch ein Problem. Wesentlich interessanter sind aber zum Beispiel Veränderungen aufgrund von bildungspolitischen Entscheidungen wie der Weiterentwicklung der Hauptschule zur Mittelschule. Aber die großen Linien sind durchaus darstellbar.

BSZ: Dennoch hat es massiver Proteste von Eltern und Lehrerverbänden bedurft, damit die mehr als 800 Stellen, die durch den Schülerrückgang frei werden, nun doch an den Schulen verbleiben sollen. Hielt man diese Stellen für Luxus?
Spaenle: Ich habe immer gesagt, dass es eine Beschlusslage zum Doppelhaushalt gab, dass ein Haushalt aber erst endgültig abgerechnet ist, wenn der Nachtragshaushalt verabschiedet ist, und das ist jetzt der Fall. Und da sehe ich eine klare Festlegung, dass wir keine einzige Stelle streichen und dass alle Stellen bis zum Ende der Legislatur erhalten bleiben.

"Ich muss das umsetzen, was im Haushalt steht"


BSZ: Sind Sie von Beginn an davon ausgegangen, dass diese Stellen an den Schulen bleiben?
Spaenle: Nein. Ich habe deutlich gemacht, dass es eine Beschlusslage gibt mit Stellen, die mit einem kw-Vermerk („künftig wegfallend“, d. Red.) versehen sind. Schauen Sie, der Doppelhaushalt ist beschlossen worden zum Jahreswechsel 2012/2013. Da ist eine Stellensituation für das Schuljahr 2014 beschrieben, gegenüber der der Nachtragshaushalt eine deutliche Veränderung bringt – im Positiven. Insofern ist doch klar, dass ich erst dann die belastbaren Zahlen nennen kann. Und nichts anderes habe ich gesagt.

BSZ: Also waren die Proteste verfrüht?
Spaenle: Ich weiß nicht. Ich kann nur deutlich machen, dass so die Beschlusslage war. Und der Kultusminister hat auch umzusetzen, was im Haushalt steht. Da kann ich weder Stellen streichen noch dazunehmen. Wenn das so beschlossen ist, habe ich das umzusetzen. Ich habe kein Interesse am Herausnehmen von Stellen, das ist ja logisch. Und der Nachtrag hat ja nun eine deutliche Präzisierung der Haltung des Ministerrats gebracht, darüber bin ich froh.

BSZ: Thema G8/G9: In anderen Ländern ist man beim G8 ja schon wieder auf dem Rückzug, zum Beispiel in Hessen. Gibt Ihnen diese Entwicklung zu denken?
Spaenle: Nein. Ich habe den Satz geprägt: G9 für alle ist pädagogisch überholt, es will und wird niemand zurückkehren. Und auch G8 für alle ist pädagogisch überholt. Wir können das Thema in Bayern so beantworten, dass der einzelne Schüler mehr Zeit in Anspruch nehmen kann, wenn er das braucht. Ich kann nur unterstreichen, was auch unser Ministerpräsident Seehofer gesagt hat, nämlich dass wir die Überlegungen, die der Philologenverband angekündigt hat, abwarten und dann konkret in den Dialog treten wollen.

BSZ: Es kann also durchaus sein, dass das Flexijahr nicht der Weisheit letzter Schluss ist?
Spaenle: Zunächst gilt der Satz, dass eine gymnasiale Angebotslandschaft, die für alle dasselbe vorsieht, in Bayern nicht mehr realisiert ist.

BSZ: Das Volksbegehren der Freien Wähler ist auf dem Weg, beunruhigt Sie das?
Spaenle: Die von den FW eingereichten Unterschriften werden rechtlich geprüft. Und auch hier gilt, dass wir gegenüber den Fachleuten, dem Philologenverband und den Verbänden der gymnasialen Schulfamilie immer gesprächsbereit waren.

"Eine achtjährige Gymnasialzeit ist durchaus machbar"



BSZ: Mal ehrlich: Wenn Sie es als Schulminister zu entscheiden hätten, würden Sie das G8 nochmal einführen?
Spaenle: Ich bin Historiker und beschäftige mich durchaus gern mit Bildungsgeschichte. Aber in diesem Fall bin ich als Politiker für die Gegenwart verantwortlich und dafür, dass wir für ein Gymnasium, in dem rund 40 Prozent der Kinder unterrichtet werden, differenzierte Antworten brauchen. Und insofern gilt für mich die Formel, dass weder G8 noch G9 für alle sinnvoll ist.

BSZ: Was hat das G8 denn gebracht?
Spaenle: Eines ist klar: Eine gymnasiale Schulzeit von acht Jahren ist machbar, umsetz- und verantwortbar. Die Einführung halte ich nach wie vor für sinnvoll. Bei der Umsetzung ist nicht alles optimal gelaufen, vieles hätte man anders gestalten können oder müssen, das habe ich schon immer gesagt. Was ich positiv finde, ist der Ansatz der individuellen Förderung. Und auch die Tatsache, dass die Allgemeinbildung beim Abitur in den Vordergrund rückt, ist gut, ebenso positiv sind die Möglichkeiten der neuen Seminare, die weit über das hinausgehen, was der propädeutische Ansatz der alten Kollegstufe vorsah.

BSZ: Zum Thema Grundschule: Die CSU hat vor der Kommunalwahl eine Bestandsgarantie für die Grundschulen gegeben. Wie soll eine solche Garantie funktionieren, wenn auf dem Land viel weniger Schüler sind?
Spaenle: Das funktioniert bei rechtlich selbständigen Schulen, die in der Regel 26 Schüler in zwei jahrgangskombinierten Klassen haben. Das ist de facto gegenüber bisher eine Halbierung der Mindestklassenstärke. Jetzt müssen es nur noch sieben Schüler im ersten Jahrgang, sechs Schüler im zweiten sein. Das wird bei der Lehrerstellenzuweisung berücksichtigt, außerdem profitieren diese Schulen vom demographischen Faktor, sie erhalten zusätzliche Stundenkontingente zugewiesen.

BSZ: Was sagen Sie den 34 Schulen, die schon schließen mussten?
Spaenle: Das ist zunächst Sache des Schulaufwandsträgers, der Gemeinde, ob sie ihre Kinder an zwei, drei oder vier Schulstandorten beschulen lässt. Außerdem sollen nur die Schulen erhalten bleiben, die rechtlich selbständig sind und wo es auch ausdrücklich gewünscht wird.

BSZ: Welche bildungspolitischen Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?
Spaenle: Zentral wichtig ist, wie wir die Bildungsregionen entwickeln. Wir haben überall unterschiedliche Bedingungen in Bayern – in München gibt es andere Fragen zu bearbeiten als zum Beispiel in ländlichen Regionen in Ostbayern. Auch die organisierte Durchlässigkeit und die individuelle Lernzeit liegen mir am Herzen, was ja nicht nur am Gymnasium stattfindet, sondern schon an der Grundschule mit dem flexiblen Schulanfang und an der Mittelschule, wo man in elf statt in zehn Jahren den mittleren Abschluss machen kann.
BSZ: Sie haben in jüngster Zeit einiges an Kritik einstecken müssen, auch aus der eigenen Partei. Sind Sie noch gern Kultusminister?
Spaenle: Das ist eine der spannendsten Aufgaben, die es in der Landespolitik bundesweit gibt, und mit dem erweiterten Verantwortungsbereich kann man jetzt aus einer Hand von der Grundschule bis zur Hochschule inklusive der Kunst- und Kulturpolitik für die bayerische Landschaft enorm viel tun, das ist eine ganz große Herausforderung.

BSZ: Was muss man da besonders gut können?
Spaenle: Man muss Langstreckenläufer sein und entsprechende Kapazität und Einsatzbereitschaft mitbringen.

BSZ: Welche Klientel ist für den Kultusminister die schwierigste: Eltern, Lehrer oder die Ministerkollegen?
Spaenle: Wir haben mit dem Interessantesten zu tun, nämlich mit der Zukunft dieser Gesellschaft, das ist etwas sehr Lebendiges. Meine Aufgabe ist es, das alles von der Grundschule bis zur Uni gut zu organisieren. Das ist dialogintensiv, ist ja klar.
(Interview: Anke Sauter)

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