Politik

Musizierende Frau vor dem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin. (Foto: dpa)

12.09.2014

Als Nachbarn unerwünscht

12 000 Sinti und Roma leben in Bayern: Viele verschweigen ihre kulturelle Identität – auch aus Angst

Als Alexander Adler am Münchner Isartorplatz aus der S-Bahn stieg, baten zwei Mädchen um etwas Geld. Zwei weitere Jugendliche standen ebenfalls auf dem Bahnsteig und schimpften: „He, die Zigeuner sind aber auch überall.“ Adler ist Sinto – und für den 30-Jährigen gehören solche Sprüche zum Alltag. „Viele Menschen haben von uns oft nur dieses Bild: Wir sind die aggressiven Bettler in der Innenstadt.“
Sinti und Roma stoßen in Deutschland auf mehr Ablehnung als jede andere Gruppe, das ist auch das erschreckende Ergebnis einer aktuellen Studie der Antidiskrimierungsstelle des Bundes. Jeder Dritte möchte demnach keine Sinti oder Roma als Nachbarn. 22 Prozent der Befragten sprechen sich sogar für eine Abschiebung aus. „Aber wohin wollen sie uns denn abschieben“, fragt Erich Schneeberger und lacht bitter. „Wir deutschen Sinti sind seit über 600 Jahren in diesem Land. Die deutschen Roma seit über 200.“ Der 63-jährige Nürnberger ist bayerischer Landesvorsitzender der deutschen Sinti und Roma. Seine Eltern waren Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau.

Probleme bei der Wohnungssuche

In Deutschland leben etwa 70 000 deutsche Sinti und Roma, rund 12 000 davon in Bayern, die meisten in großen Städten. Die Zahl der Roma und Sinti in München wird auf 6000 geschätzt – auch aus Datenschutzgründen wird die ethnische Zugehörigkeit nicht erfasst. Der Großteil der Angehörigen der Minderheit ist nicht sichtbar. „Die Menschen wissen meist gar nicht, dass sie Nachbarn von Angehörigen der Sinti oder Roma sind“, erklärt Schneeberger. Viele Sinti und Roma würden sich auch gar nicht mehr zu ihrer kulturellen Identität bekennen: „aus Angst vor Ausgrenzung und Diskriminierung.“
Auch Schneeberger hat Diskriminierung schon persönlich erlebt. Zum Beispiel bei der Wohnungssuche. „Als Landesverbandsvorsitzender bin ich sozial und finanziell gut gestellt, darüber müsste sich jeder Vermieter freuen. Aber als ich bei der Wohnungsbesichtigung erklärte, wer ich bin, war die Wohnung plötzlich schon vergeben.“
Dass die große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland bei Sinti und Roma an Kriminalität, Bettelei und Armut denkt – dafür macht Schneeberger auch die Medien verantwortlich. „Sie konzentrieren sich immer nur auf ein bestimmtes Bild“, kritisiert er. „Zeigen die Ärmsten der Armen in Bulgarien und Rumänien.“ Das bestätigt auch Johanna Hein, die die Münchner Beratungsstelle „Drom – Sinti und Roma“ von der Diakonie Hasenbergl sozialpädagogisch betreut. „Bilder von Familien im Wohnwagen und Dreck merkt man sich.“ Die Einrichtung unterstützt Sinti und Roma bei der Jobsuche – die konkreten Angebote reichen vom Alphabetisierungskurs bis hin zur Erstellung der Bewerbungsunterlagen. Aber auch bei Behördengängen oder der Wohnungssuche gibt es Hilfe. Und bei Problemen in der Schule vermitteln Mediatoren aus der Volksgruppe zwischen Lehrern, Schülern und Eltern.
Einer dieser Mediatoren ist Alexander Adler. „Meist geht es um zu hohe Fehlzeiten“ , erklärt er. Die Gründe dafür sind ganz unterschiedlich. „Aber es gibt auch heute noch Familien, die aus Angst ihre Kinder nicht in die Schule schicken“, sagt Adler. Im Dritten Reich holten Nazis Kinder der Sinti und Roma mitunter aus der Schule. Auch wenn diese Angst heute eine untergeordnete Rolle spielt, „Eltern, die selbst nicht regelmäßig zur Schule gegangen sind, können oft ihre Kindern nicht ausreichend unterstützen“, erklärt Adler. Sinti und Roma, die die Schule schwänzen – das aber ist natürlich nicht die Regel. „Zu uns kommen ja nur die Menschen, die Hilfe brauchen“, betont Hein.
Oft wird die Minderheit auch mit der Migrationsproblematik in einen Topf geworfen. Schneeberger kritisiert die aktuelle Debatte über Armutszuwanderung heftig. „Wir waren mehr als erschrocken, wie hier von Teilen der Medien und der Politik Stimmungsmache auf dem Rücken von armen Zuwanderern betrieben wurde“, empört er sich.

Unwissenheit ist fruchtbarer Boden für Diskriminierung

Fehlende Akzeptanz und Ressentiments gehen mit Unwissenheit einher – auch das zeigt die Studie der Antidiskriminierungsstelle. Hein und Schneeberger wünschen sich deshalb, dass die Geschichte der Roma und Sinti in Deutschland auch in den bayerischen Lehrplänen eine größere Rolle spielt. „Unwissenheit bildet mit Gleichgültigkeit und Ablehnung  eine fatale Mischung, die der Diskriminierung einen fruchtbaren Boden bereitet“, betont Schneeberger. Das Kultusministerium sieht dennoch keinen Handlungsbedarf. Im Unterricht gebe es bereits vielfältige Möglichkeiten, die Geschichte und Lebenssituation von Sinti und Roma mit anzusprechen, so Ministeriumssprecher Ludwig Unger. Spaenles Ressort ist federführend zuständig für alle Bereiche zum Thema „Sinti und Roma“ und teilt mit: Mit 217 000 Euro im Jahr fördere der Freistaat über die bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, die auch Zeitzeugengespräche an Schulen betreut, den Landesverband der Sinti und Roma. „Ab dem nächsten Jahr soll die Summe ansteigen“, kündigt Unger an.
Doch Geld ist nicht alles. Der Landesvorsitzende Schneeberger hat einen großen Wunsch: einen Staatsvertrag, der die effektive Umsetzung des europäischen Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten regelt, so wie in Baden-Württemberg. Das bayerische Kultusministerium verweist auf die gemeinsame Erklärung zur Förderung der Anliegen der Sinti und Roma, die Schneeberger und der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber 2007 unterschrieben haben. Doch für Schneeberger ist diese nur ein Zwischenschritt. Unterstützung kommt hier von der Grünen Christine Kamm, die darüber hinaus fordert, dass man Toleranz für andere Lebensweisen fördern muss.
Das ist es auch, was sich Hein von Drom wünscht – in Form eines Kultur- und Begegnungszentrums für Sinti und Roma in München. Doch das scheiterte bislang am Geld.  (Angelika Kahl) Ein Interview mit Erich Schneeberger, Landesvorsitzender der deutschen Sinti und Roma, finden Sie hier.

Kommentare (1)

  1. Super Horsti am 15.09.2014
    Ich würde nicht sagen, daß Sinti, Roma und andere Zigeuner pauschal unerwünscht sind. Es gibt Zigeunerschnitzel, oder Zigeunermusik, den Zigeunerbaron oder auch die Oper Carmen von Bizet. Also in unsere Kultur haben sie schon Eingang gefunden.
    Es hängt halt auch viel von den einzelnen Menschen ab, wie sie sozialisiert sind. Ein Nomade im Wohnwagen ohne Schulbildung und Krankenversicherung hat es bestimmt schwerer als die Familie eines Chefkochs im Restaurant.

    Man muß Hilfe geben, die aber auch angenommen werden muß. Dann klappts auch mit der Integration. Von den Parolen hirnloser Schläger würde ich jedoch nicht ableiten, daß Zigeuner unerwünscht sind. Die benötigen immer irgendjemand, den sie für ihre abgebrochenen Berufsausbildungen und ihr persönliches Scheitern verantwortlich machen können!
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