Politik

So mancher findet toll, was er seiner Partei online vorschlägt - und ist frustriert, wenn die das nicht aufgreift. (Foto: Getty)

09.11.2012

Am virtuellen Stammtisch

Die CSU und andere Parteien wollen via Internet den Bürgerwillen erkunden - ob User-Vorschläge Realität werden, ist ungewiss

Eines sollten sich christliche Politiker vor jeder Entscheidung fragen: „Ist dies förderlich für unser ewiges Leben im All?“ Dieser schöne Rat an die Oberbayern-CSU kommt von  Nicole Schmid. Sie ist eine von 400 Usern, die der Bitte der CSU-Oberbayern-Chefin und Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner nachgekommen sind, Vorschläge für christsoziales Handeln zu machen.
Ob es die skurrile Anregung unter die „zehn wegweisendsten Beiträge“ schaffen wird, die der CSU-Bezirksverband Oberbayern bis Dezember umsetzen will, ist offen. Jedenfalls soll bis Frühjahr 2013 Zukunftsprogramm 2030 „Herz – Heimat – Hightech“ stehen – mitgestaltet von den Bürgern, die im Internet Ihre Anregungen hinterlassen haben.
Vergangene Woche hat Aigner ihr Projekt Bürgerbeteiligung via Internet vorgestellt. Ziel des Ganzen: im Wahljahr 2013 mit den Menschen in Kontakt zu kommen, die keine Lust auf dröge Parteiveranstaltungen haben, sich aber doch irgendwie für Politik interessieren. Insgesamt 24 000 Mal ist die Seite bisher geklickt worden. Neben der Jenseits-fixierten Schmid waren auch Bürger darunter, die sich um alltägliche Probleme wie etwa die Ganztagsbetreuung an Schulen sorgen. Beflügelt von der Resonanz, will Aigner die Netz-Kommunikation zur Dauereinrichtung machen. Sie sieht darin zudem ein „Vorbild“ für die Gesamtpartei.
Tatsächlich ist die oberbayerische Internet-Initiative bislang singulär in der CSU. Zwar sind andere Bezirksverbände zumindest via Facebook im Dialog mit den Bürgern, eine großangelegte Befragung nach politischen Inhalten gibt es bislang nicht.
Die CSU-Vizegeneralsekretärin und -Netzbeauftragte Dorothee Bär plädiert allerdings dafür, dass die übrigen Bezirksverbände nachziehen: „Die sollten sich das mal anschauen, was die Oberbayern machen.“
Dass das Internet – zumal im Vorfeld von Wahlen – ein unverzichtbarer Kommunikationsweg ist, hat sich indes herumgesprochen. „Natürlich werden wir im Wahljahr 2013 alle Kommunikationswege nutzen“, sagt etwa Markus Ferber, Vorsitzender der CSU Schwaben. Er plant eine Online-Bürgerdebatte, die regionale Probleme thematisieren soll. Was übrigens auch andere Parteien vorhaben – beziehungsweise längst tun. Fast alle testen im Internet munter die Wahlkampfwaffe „Frag den Bürger“ – angestoßen durch den Erfolg der Piraten.

Vorgegaukelte Teilhabe


SPD und Grüne etwa sind in Sachen Online-Bürgerbeteiligung vor allem auf Bundesebene aktiv. Auf der SPD-Plattform „Bürgerdialog“ dürfen seit Ende September alle Menschen im Land am Wahlprogramm mitarbeiten. Etwas Eigenes plane die Bayern-SPD nicht, hieß es auf Anfrage. Allerdings sei man in die Auswertung der Bürgervorschläge eingebunden.
Fragt sich nur, was mit den Wünschen und Anregungen der Bürger dann jeweils passiert. Denkbar ist es ja, dass plötzlich Vorschläge im Raum stehen, die mit dem Programm der einzelnen Parteien eher nicht im Einklang stehen. Weshalb SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles schon mal klargestellt hat: „Am Ende entscheidet die Partei, was sie übernimmt und was nicht.“ Da dürfte ausnahmsweise Konsens herrschen unter den Generalsekretären der deutschen Parteien. Weshalb das Getöse um Bürgerbeteiligung per Internet abseits des offiziellen Jubels als Aktionismus abgetan wird: „Bringen tut das nichts“, heißt es etwa aus der CSU. Aber lassen dürfe man das Ganze mit Blick auf Internet-Freaks und Piratenpartei halt auch nicht.
Parteien, sagt Netzaktivist Markus Beckedahl, hätten „keine Alternative dazu“, die Mitmach-Tools des Internet zu nutzen. Dass die Parteien die Vorschläge der Bürger im großen Stil umsetzen, glaubt auch er nicht – Frustrationen seien vorprogrammiert. „Die Hauptherausforderung ist, die Leute bei der Stange zu halten. Ihnen werden große Hoffnungen gemacht, dass Vorschläge aufgenommen werden, die dann enttäuscht werden.“

"Politiker müssen auch noch selber denken"


Das gilt auch für die Bayern-FDP, deren Diskussionsplattform „new democracy“ seit Ende Juli online ist. Anträge stellen und darüber diskutieren dürfen dort grundsätzlich nur Parteimitglieder. Normalbürger bleiben außen vor – außer, es findet sich ein FDP-Kreisverband, der sich von einem Bürgeranliegen überzeugen lässt. Jedenfalls ist die Nutzung bisher äußerst bescheiden: Gerade einmal zwei Antragsteller haben die Plattform bereits genutzt: die Julis und der FDP-Landesausschuss Netzpolitik. „Wie sind noch mitten im Lernprozess“, sagt ein FDP-Sprecher kleinlaut. Man arbeite daran, dass das System vom Bürger angenommen werde.
Die Mitmachplattform der Bundes-Grünen heißt „Meine Kampagne“. Mitsprache wird den Bürgern bei der Erstellung des Programms ehrlicherweise nicht versprochen. In Bayern geht laut Grünen-Chef Dieter Janecek am Montag eine Seite mit dem Parteiprogramm der bayerischen Grünen online – auch dort darf man kommentieren, mitentscheiden aber nicht.
Was Politiker aller Couleur denken, formuliert Erwin Huber (CSU), Vorsitzender des Technologieausschusses im Landtag, so: „Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass man bei Online-Befragungen einen ungeheuren Ideenschatz heben kann.“ Und fügt hinzu: „Wir müssen uns als Politiker schon auch selber anstrengen.“
(Angelika Kahl, Waltraud Taschner)

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