Politik

Der Alptraum der Arrivierten: Not leiden am Ende des Lebens. (Foto: Getty)

15.07.2011

Arme Alte

In keinem anderen Bundesland sind die Renten so niedrig wie in Bayern

Es war ein düsteres Bild, das die ZDF-Filmemacher in ihrer fiktiven TV-Doku „2030 – Aufstand der Alten“ zeichneten: Bereits Mitte des nächsten Jahrzehnts werde ein Drittel der deutschen Rentner unterhalb der Armutsgrenze leben. Die mittellosen Senioren würden in Alten-Ghettos hausen, oder in schäbigen Heimen unter Betäubungsmittel gesetzt, prophezeite der Sender.
Ein übertriebenes Horrorszenario? Glaubt man Gewerkschaftern und Sozialverbänden, könnte die Zahl der mittellosen Rentner hierzulande tatsächlich schon bald dramatisch anwachsen. „Die Altersarmut wird in den kommenden Jahren im Freistaat deutlich zunehmen“, fürchtet Hans Sterr, Sprecher von Verdi Bayern. Schuld sei die seit Längerem steigende Zahl prekärer Verhältnisse. „Wie sollen Menschen, die nur ein paar Euro die Stunde verdienen oder sich von einem schlecht bezahlten Leiharbeitsjob zum nächsten hangeln, genug in die Rentenkasse einzahlen?“, fragt der Arbeitnehmervertreter.
Tatsächlich nimmt die Zahl der Niedriglöhner seit Jahren zu. Nicht wenige Bayern arbeiten zu Stundenlöhnen von weniger als zehn Euro. Doch wer weniger als diese Summe verdient, wird nach Berechnungen der Bundesregierung selbst bei 45 Jahren versicherungspflichtiger Beschäftigung im Alter auf Grundsicherung angewiesen sein. Hinzu kommt: Der lückenlose Lebenslauf ist längst nicht mehr die Regel. Zudem arbeitet eine wachsende Zahl von Menschen als 400-Euro-Jobber oder gleich ganz als Pseudo-Selbstständige – und zahlt somit kaum Sozialbeiträge ein. Das Resultat: sinkende Einkünfte im Alter.

Es trifft vor allem Frauen


Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) müssen westdeutsche Männer, die zwischen 1967 und 1971 geboren wurden, mit einem Minus von zehn Prozent bei der Rente im Vergleich zu den Jahrgängen 1937 bis 1941 rechnen. Selbst in der wohlhabenden Landeshauptstadt wächst die Altersarmut: Nach Hochrechnungen des Münchner Amts für soziale Sicherung werden hier 2020 bereits 24 000 Menschen über 65 nicht mehr von ihrer Rente leben können, derzeit sind es 11000.
Zwar fördert der Staat den Aufbau einer privaten Altersversorge: „Doch genau diejenigen, die es bräuchten, haben oftmals gar nicht das Geld, solche Rücklagen zu bilden“, sagt Ulrike Mascher, Landeschefin des Sozialverbandes VdK. Auch für Thomas Beyer, Vorsitzender der Nationalen Armutskonferenz (NAK), ist klar: „Langsfristig drohen in Bayern viele Menschen in die Altersarmut abzurutschen.“
Dabei gibt es laut Beyer, der auch für die SPD im Landtag sitzt, schon heute viele Rentner im Freistaat, die am Ende des Monats nicht wissen, wie sie ihren Kühlschrank füllen sollen. Tatsächlich war die gesetzliche Rente bayerischer Männer 2009 mit 983 Euro monatlich so niedrig wie in keinem anderen Bundesland. Frauen erhielten sogar weniger als 500 Euro vom Staat. 17,7 Prozent der Bayern über 65 Jahre galten offiziell als armutsgefährdet – auch hier ist Bayern deutschlandweit Spitzenreiter. Und bei den Frauen über 65 Jahre lebte sogar jede Fünfte unterhalb der Armutsgrenze. Noch ist Altersarmut vor allem weiblich. Ein Grund dafür: Die Zeit, die Frauen für die Erziehung ihrer Kinder verbringen, wird bei der Rente oftmals nur zu einem kleinen Teil anerkannt.
Dass ausgerechnet im wohlhabenden Land der Laptops und Lederhosen viele hilfsbedürftige Senioren leben, hört man in der CSU nicht gerne. „Man muss bei solchen Berechnungen einbeziehen, dass viele Menschen in Bayern auch Grund und Boden haben“, sagt Max Straubinger, sozialpolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Er verweist zudem darauf, dass mancher Bayer eine Betriebsrente hat.

Die CSU mag das nicht hören


Und im CSU-geführten bayerischen Sozialministerium heißt es: Maßgeblich für die realistische Einschätzung der Situation sei, wie viele Menschen in Bayern im Alter auf die Grundsicherung angewiesen sind. „Hier haben wir mit 2,1 Prozent im Jahr 2009 eine der geringsten Quoten bundesweit“, erläutert ein Sprecher. 51 000 Menschen über 64 erhielten Ende 2009 laut Statistischem Bundesamt im Freistaat Grundsicherung im Alter. Doch die Dunkelziffer ist hoch: „Viele Hilfsbedürftige haben ihr Leben lang nichts vom Staat genommen und wollen aus Scham auch im Alter nicht den Gang zu den Behörden antreten“, sagt VDK-Frau Mascher. Sozialverbände gehen deshalb davon aus, dass die Zahl der anspruchsberechtigten Rentner doppelt so hoch wie die der gemeldeten ist. Darüber hinaus gibt es Berechnungen, laut denen das Armutsrisiko in Bayern – selbst unter Einrechnung des Immobilienbesitzes – besonders hoch ist.
Auch Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) sieht Handlungsbedarf: „Eine wichtige Maßnahme, Altersarmut insbesondere bei Frauen vorzubeugen, ist, Erziehungszeiten stärker zu berücksichtigen“, so ein Sprecher. Bayern setzte sich deshalb dafür ein, dass die in der Rentenversicherung anerkannten Kindererziehungszeiten von bisher drei auf künftig fünf Jahre ausgeweitet werden. Zudem dränge der Freistaat auch darauf, die Pflegeleistung von Frauen besser anzuerkennen.
NAK-Chef Beyer fordert derweil einen gesetzlichen Mindestlohn und die Wiedereinführung einer Mindestrente. „Ansonsten wird die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergehen“, sagt auch VDK-Frau Mascher. (Tobias Lill)

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