Politik

Renate Künasts Zitat war frei erfunden, die angebliche Quelle existierte nicht. Trotzdem dauerte es drei Tage, bis Facebook den Post löschte. (Screenshot: BSZ)

20.01.2017

Aus Profitsucht und für Propaganda

Erfundene Vergewaltigungen, ausgedachte Zitate: Medien, Kirchen und die Politik kämpfen gegen Fake News

Falschmeldungen verbreiten sich in sozialen Netzwerken oft wie ein Lauffeuer. „Jetzt wurde ins Mühldorfer Krankenhaus eine 17-Jährige eingeliefert, welche von einem Asylanten bei der Vergewaltigung so schwer verletzt wurde, dass eine Notoperation erfolgte“, schrieb Anfang des Jahres eine Bürgerin aus dem Landkreis Rottal-Inn. Das Krankenhauspersonal habe die Anweisung, die Öffentlichkeit nicht zu informieren. Obwohl laut Polizei nichts davon stimmte, wurde der Post auf Facebook, ohne den Wahrheitsgehalt zu hinterfragen, geteilt.

Der Bundeswahlleiter Dieter Sarreither erwartet gerade vor der Bundestagswahl eine massive Zunahme von Falschmeldungen. Bayerns Medienministerin Ilse Aigner ist besorgt: „Fake News oder Hassbotschaften in sozialen Netzwerken sind ein ernstes Problem“, sagt sie der Staatszeitung. Was tun? Man versucht, solche Posts von den Betreibern löschen zu lassen. Und Jugendliche sollen im Rahmen des Medienführerscheins aufgeklärt werden. Aigner mahnt aber auch Erwachsene zum kritischen Umgang mit Informationen: „Nicht alles, was im Internet steht, stimmt auch.“

Fake News können jeden treffen: Ende letzten Jahres etwa sagte Bambergs Erzbischof Ludwig Schick auf Nachfrage, sollte eines Tages die Mehrheit einen Muslimen zum Bundespräsenten wählen, müsse die Kirche das akzeptieren. „Alles andere wäre undemokratisch.“ Daraufhin postete die AfD auf ihrer Facebook-Seite „Erzbischof: muslimischer Gauck-Nachfolger denkbar.“ Schick erhielt Tausende Hasskommentare und prüfte juristische Konsequenzen gegen die Urheber.

Rechtliche Schritte allein reichen aber nicht aus, meint der Vorsitzende der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, Gebhard Fürst. „Es bedarf einer breiten Aufklärungsbewegung zum Thema Medienkompetenz“, sagt er. Zum Beispiel eine „Clearingstelle Medienkompetenz“ an Hochschulen. Fürst begrüßt auch die neue „First Draft Coalition“. Das Netzwerk besteht aus 40 internationalen Medien – unter anderem dpa, Zeit Online, BBC, Google und Facebook. Sie wollen ihre Kräfte bündeln, um Falschmeldungen zu enttarnen.

CSU: Social Bots verbieten

Ein solches Netzwerk hätte sich die Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Grüne) schon früher gewünscht. Nach dem Mord an einer Freiburger Studentin soll sie gesagt haben: „Der traumatisierte junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen.“ Das Zitat war frei erfunden, die angebliche Quelle Süddeutsche Zeitung existierte nicht. Trotzdem dauerte es drei Tage, bis Facebook den Post löschte.

In Berlin will die Große Koalition Betreiber in solchen Fällen stärker in die Pflicht nehmen. Angestrebt wird ein „Notice-and-take-down“-System, das innerhalb von 24 Stunden greift. Dafür hat Facebook neben einer eigenen Task-Force diese Woche das Essener Recherchebüro Correctiv mit dem Kampf gegen Fake News beauftragt. Zudem wird im Bundespresseamt über eine Art Abwehrzentrum gegen Falschnachrichten nachgedacht, wie es seit Anfang des Jahres in Tschechien existiert. Laut einer Umfrage von YouGov ständen 51 Prozent der Deutschen einem solchen „Wahrheitsministerium“ positiv gegenüber.

Weiter prüft der Bund mit den Plattformbetreibern, ob automatische Filtersysteme möglich sind und ob sich Nutzer künftig per Ausweis identifizieren müssen. Grund: Viele Falschmeldungen werden nicht von Menschen, sondern von Robotern verbreitet. Diese Social Bots versuchen die öffentliche Meinung zu beeinflussen, indem sie täuschend echt wirkende Nachrichten in den sozialen Netzwerken verbreiten. Ein Großteil der Roboterfarmen steht in einer Kleinstand in Mazedonien. Dort geht es bei der Verbreitung von Fake News nicht um Propaganda, sondern um Geld: Von Facebook gibt es pro Klick einen Cent, von Google Geld für die Werbung auf den angeklickten Webseiten. So verwundert es nicht, wenn auch seriöse Seiten wie Spiegel Online eins zu eins kopiert werden und in sozialen Netzwerken mit unechten Nachrichten um Klicks werben.

Auch Bayerns Staatsregierung sieht beim Einsatz von Robotern Handlungsbedarf. Justizminister Winfried Bausback (CSU) will mit seinen Kollegen aus Hessen und Sachsen-Anhalt erreichen, dass der Einsatz der Social Bots vom Bundestag noch vor der Wahl verboten wird. Außerdem forderte der Ministerrat in Bayern letzte Woche, dass Fake News in Katastrophen- oder Anschlagsfällen härter bestraft werden. „Sie können schlimme Konsequenzen für die Betroffenen, aber auch für die Arbeit der Rettungskräfte und der Polizei haben“, erklärt Bausback.

Die sicherheitspolitische Sprecherin der Freien Wähler im Landtag, Eva Gottstein, unterstützt die Vorhaben des Justizministeriums. Zusätzlich fordert sie im Gespräch mit der BSZ, den Pressekodex zum verbindlichen Maßstab für die rechtliche Bewertung aller Beiträge von Journalisten oder Autoren in sozialen Medien zu machen. „Im Moment ist der Pressekodex eher eine freiwillige Selbstverpflichtung der in den Verbänden organisierten Journalisten und Medien.“

Michael Busch, Vorsitzender des Bayerischen Journalisten Verbands, wünscht sich, dass jedes Medium Meldungen in den sozialen Medien und auf den Schnellnachrichtenseiten mit Qualitätsjournalismus begegnet. „Genauso wie der Kunde bereits heute zum Beispiel qualifiziert und einstuft, ob es sich um ein Satiremedium oder ein seriöses Magazin handelt, muss ihm in Zukunft zumindest die Möglichkeit gegeben werden, zu erfahren, wo er ’echte’ Nachrichten erhält.“

Der netzpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Florian Ritter, fordert, Werbetreibende darüber aufzuklären, wie sie Onlinewerbung so schalten können, dass Fake-News-Medien nicht davon profitieren. Außerdem müssten die Kapazitäten und das Knowhow in der Justiz erhöht werden. „Aus eigener Erfahrung nach mehreren Anzeigen stelle ich fest, dass die Staatsanwaltschaften hier nicht gut aufgestellt sind.“

„Gerade aus der populistischen Ecke wird immer häufiger mit bewussten Falschmeldungen agitiert“, warnt Netzexpertin Verena Osgyan von den Landtags-Grünen. Sie fordert, darüber nachzudenken, ob sich angesichts der Reichweite von Social-Media-Plattformen noch die Sicht halten lässt, dass es sich dabei nicht um Medien im eigentlichen Sinn handelt und die Medienregulierung daher nicht zuständig ist. (David Lohmann)

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