Politik

Hooligans und Neonazis veranstalteten vergangenen Sonntag in Köln unter dem Motto „Gemeinsam gegen Salafismus“ eine Gewaltorgie. (Foto: dpa)

31.10.2014

"Bayern kann sich nicht entspannt zurücklehnen"

Fanforscher Gunter A. Pilz über die Allianz zwischen Hooligans und Neonazis, warum diese gerade jetzt auftritt und weshalb auch der Freistaat betroffen ist

Die Demonstration unter dem Deckmantel „Hooligans gegen Salafisten“, die vergangene Woche in einer Gewaltorgie endete, fand zwar in Köln statt. Doch Gunter A. Pilz, Soziologe von der Universität Hannover und einer der renommiertesten Experten im Bereich Rechtsextremismus im Sport, betont: „Auch im Freistaat gibt es rechtsradikale Fans.“ Der Soziologe erklärt, wie man sich am besten gegen Gewalt und Extremismus im Sport wehrt und was er von Innenminister Herrmanns Dialogforen hält.

BSZ: Herr Pilz, die Polizeigewerkschaft sieht die Gefahr einer „Hooligan-Renaissance“ in Deutschland. Sie auch?
Gunter A. Pilz: Die Gewerkschaft ist immer schnell mit solchen Szenarien. Als nächstes kommt die Forderung nach mehr Geld und Personal. Man muss jetzt aber erst einmal abwarten, ob das wirklich eine Renaissance ist. In Köln kamen ja nicht nur Hooligans zusammen. Dort hat sich ein bundesweiter Gewaltmob getroffen – inklusive Neonazis und Rocker.

BSZ: Gibt es eine neue Allianz zwischen Hooligans und Neonazis?
Pilz: Eine Allianz gab es bereits zu den Hochzeiten des Hooliganismus, in den 80er- und 90er-Jahren. Die große Mehrheit der Hooligans war aber auch damals apolitisch. Interessant ist, dass mit Siegfried Borchardt, SS-Sigi genannt und damals das führende Mitglied der rechtsradikalen Hooligan-Gruppe Borussenfront, auch heute ein Alt-Hooligan wieder in der Szene an vorderster Front mitwirkt. Übrigens sitzt er sogar im Dortmunder Stadtparlament. Es war eine Party Borchardts, auf der 2012 Alt-Hooligans wieder zusammengefunden haben und sich mit Neonazis zu einer Gruppe zusammengeschlossen haben, die sich GnuHonnters nennen.

BSZ: Was machen die?
Pilz: Sie verfolgen zwei zentrale Ziele: Die Belebung dessen, was in deren Augen die Ideale des Fußballs sind: Männlichkeit, Durchsetzungsvermögen, Aggressivität – einhergehend mit Sexismus und Homophobie. Und sie kämpfen gegen zivilcouragierte Ultra-Gruppierungen, die sich gegen rechts zur Wehr setzen. Die Gruppe Schickeria vom FC Bayern wäre hier ein Beispiel.

BSZ: Warum gerade jetzt dieser Zusammenschluss?
Pilz: Das hat viel damit zu tun, dass der organisierte Rechtsextremismus zunehmend an Boden verliert. Durch den Zusammenschluss will man  mehr Aufmerksamkeit generieren. Und in Köln ist das ja ganz offensichtlich gelungen. Salafisten haben sie sich als vermeintliche Gegner ausgesucht, weil sie mit einem Feind, der verfassungs- und demokratiefeindlich ist, ihre eigene Verfassungs- und Demokratiefeindlichkeit zu kaschieren versuchen. Da es in Köln nun aber zu einer derartigen Gewaltorgie kam, wird künftig keiner darauf reinfallen.

"Bayern inszeniert sich gerne als Musterland Deutschlands"

BSZ: In Bayern gab es bislang keine Demos unter dem Motto „Hooligans gegen Salafisten“. Laut Verfassungsschutz ist hier auch keine organisierte rechtsextremistische Fanstruktur erkennbar. Können wir uns im Freistaat also entspannt zurücklehnen?
Pilz: Bayern inszeniert sich ja ganz gerne als das Musterland Deutschlands. Etwas Selbstkritik würde aber auch Bayern gut tun. Warum die Demos in Köln, Essen oder Dortmund stattfanden, hat einen ganz einfachen Grund: Nordrhein-Westfalen ist die Hochburg der Salafisten. Natürlich gibt es auch in Bayern rechtsradikale Fans.

BSZ: Nicht nur der TSV 1860 München gerät deshalb immer mal wieder in die Schlagzeilen. Sind das tatsächlich absolute Ausnahmeerscheinungen, wie es so oft heißt?
Pilz: Gemessen am Gesamtspektrum der Fankultur sind das in der Tat ganz kleine Gruppen. Aber sie haben eine hemmungslose Bereitschaft, Gewalt auszuüben oder allein über Körperhaltung und Statur auszudrücken. TSV 1860 München hat versucht, gegen diese Leute ein Stadionverbot durchzusetzen. Am Ende ist das aber gescheitert, weil diese nicht gegen die Stadionordnung verstoßen, wenn sie sich darauf beschränken, allein durch ihre Präsenz im Fan-Block Angst und Schrecken auszulösen.

BSZ: Dabei – und das zeigt das Beispiel Köln doch auch – bleibt es ja nicht.
Pilz: Ja, und natürlich muss man das erst nehmen und Strategien entwickeln. Aber ich muss an dieser Stelle auch betonen, dass mit der Hooligan-Debatte oftmals eine gefährliche Konstruktion entworfen wird. Das, was an Rechtsextremismus stattfindet, hat mit Fußball im eigentlichen Sinne nichts zu tun. Er geht von Leuten aus, die den Fußball und dessen Umfeld instrumentalisieren. 1860 ist kein rechtsradikaler Verein, sondern Opfer von Leuten, die dort wirken.

"Dialog führen - aber nicht von oben herab!"

BSZ: Warum sind manche Vereine mehr, andere weniger betroffen?
Pilz: Da mag hineinspielen, dass 1860 bespielsweise ein Stückweit Arbeiter-Sportverein ist und Menschen mit unterschiedlichem Bildungsniveau anzieht. Einige Modernisierungsverlierer darunter suchen schon mal Lösungen in Stammtischparolen. Aber dieses Problem produziert nicht der Verein, sondern letztlich die Gesellschaft. Allerdings ist der Verein natürlich verpflichtet, in seiner gesellschaftlichen Verantwortung diese Dinge wahrzunehmen und sich dagegen zu stemmen.

BSZ: Aber wie? Stadienverbote, sagten Sie ja, sind oft nicht durchzusetzen.
Pilz: Wichtig ist, dass Vereine diejenigen Gruppen stärken, die sich couragiert gegen rechte Gruppen zur Wehr setzen. 1860 hat sich auch schon an mich gewandt – und ich weiß, dass der Verein auf einem guten Weg ist. Ebenfalls wichtig ist eine Vernetzung mit Sozialarbeitern und Initiativen, die gegen Rechtsextremismus kämpfen. Aber wir sind alle gefordert. Eine Demokratie ist umso stärker, desto wehrhafter sie ist. Das heißt, jeder Einzelne sollte rechten Gewalttätern signalisieren, dass er sie nicht toleriert. Immer nur nach der Polizei zu rufen und auf die Politik zu schimpfen, ist zu wenig. Auch wenn das staatliche Gewaltenmonopol natürlich unsere Verfassung schützen muss.

BSZ: Bayerns Innenminister Herrmann setzt nun auch auf Dialogforen und Schlichtungsstellen – bundesweit einzigartige Pilotprojekte. Wie soll das funktionieren? Gewaltbereite Fan-Gruppierungen zeichnen sich ja nicht gerade durch große Dialogbereitschaft aus, oder?
Pilz: Richtig, aber das ist auch gar nicht die entscheidende Gruppe. Viel wichtiger sind die Leute, die sich in der Grauzone bewegen, sich mitreißen und instrumentalisieren lassen. Diese muss man über den Dialog gewinnen und ihnen klarmachen, dass sie sich von den Gewaltchaoten distanzieren müssen. Dazu muss man ihnen aber auch Angebote machen und Unterstützung anbieten. Ich zitiere immer wieder gerne diesen wunderbaren Satz eines Sozialpädagogen: „Wenn junge Menschen Probleme machen und ich das ändern will, darf ich nicht an den Problemen ansetzen, die sie uns machen. Ich muss an den Problemen ansetzen, die sie haben.“ Gelingt das, sind die paar Chaoten, mit denen man nicht reden kann, isoliert und haben keine Chance mehr, große Massen zu mobilisieren. Und auch die Polizei hat dann ein leichtes Spiel, diese Leute in die Schranken zu weisen.

BSZ: Dann sind wir mal gespannt, wie das in Bayern gelingt.
Pilz: In jedem Fall wird es ein langer, schwerer und manchmal auch leidvoller Weg – trotz aller Ungeduld von Politik und Polizei, die gerne meinen, dass sich mit nur einem Gespräch gleich alles ändern müsse. Es wird auch Rückschläge geben. In keinem Fall aber darf der Dialog deshalb abgebrochen werden. Und bitte auf Augenhöhe miteinander reden und nicht von oben herab.
(Interview: Angelika Kahl)

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