Politik

Ali Ertan Toprak bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem fünften Integrationsgipfel im Kanzleramt. (Foto: dpa)

30.09.2016

"Bayern macht gute Integrationsarbeit"

Ali Ertan Toprak, Präsident der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, über die Islamkonferenz, Populisten, Religionsgemeinschaften und Erdogans Einfluss auf Bayern

Die Deutsche Islamkonferenz (DIK) wurde vor zehn Jahren von Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen. Ziel: einen Dialog zwischen Staat und Muslimen in Deutschland in Gang zu bringen. Das Vorhaben ist gescheitert, meint Ali Ertan Toprak zum Jubiläum. Der Präsident der Kurdischen Gemeinschaft in Deutschland gibt die Schuld der Bundesregierung – und den islamischen Verbänden.
BSZ: Herr Toprak, Bayern wird einerseits für seine Integrationsarbeit gelobt, andererseits auch heftig kritisiert. Wie ist Ihre Sicht aus Gießen auf Bayern?
Ali Ertan Toprak: Auch wenn manche Positionen in der Öffentlichkeit auf den ersten Blick hart klingen, macht Bayern in der Praxis gute Integrationsarbeit. Das hat man auch bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise gesehen. Der Freistaat hat als erstes erkannt, dass nur eine Bündelung der Kräfte zum Erfolg führen kann. Deshalb hat Bayern eine Vereinbarung mit der Wirtschaft und der Arbeitsverwaltung geschlossen, Flüchtlinge möglichst schnell in Arbeit oder in eine Ausbildung zu bringen. Die Initiative hat sich bewährt – Bayern steht deutschlandweit an der Spitze.

BSZ: Der Islamunterricht im Freistaat ist bisher nur ein Modellversuch.
Toprak: Bayern geht einen Sonderweg. An den bayerischen Schulen gibt es keinen konfessionellen Islamunterricht mit Gebet. Das Fach wird wissenschaftlich in Kooperation mit dem Interdisziplinären Zentrum für Islamische Religionslehre der Universität Erlangen-Nürnberg unterrichtet. Ich muss die Vorgehensweise Bayerns beim Islamunterricht aber ausdrücklich loben. Der Freistaat weigert sich nämlich, mit der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion zu kooperieren.

BSZ: Einige Bundesländer kritisieren, dass ausgerechnet DITIB-Vorstand Bekir Albo(g)a als Festredner zum Jubiläum der Deutschen Islamkonferenz (DIK) eingeladen wurde.
Toprak: Die Politik lässt sich leider von islamischen Verbänden erpressen. Was ist das für ein Zeichen nach Außen, wenn unser Bundesinnenminister die Auslandsvertretung von Erdo(g)ans DITIB die Festrede halten lässt – während Nordrhein-Westfalen DITIB-Imame vom Verfassungsschutz beobachten lassen möchte. Es kann doch nicht sein, dass unsere Kanzlerin zu Recht Loyalität von Muslimen einfordert, aber sich die Bundesregierung selbst illoyal verhält. Menschen, die sich vom Herkunftsland losgelöst haben, fühlen sich von Deutschland alleingelassen, wenn die Bundesregierung ständig vor Erdogan in die Knie geht.

BSZ: Sie haben die DIK „in wesentlichen Teilen als gescheitert“ erklärt. Warum?
Toprak: Mit den Verbänden in der DIK hat es keine Annäherung an ein gemeinsames Wertesystem gegeben. In zehn Jahren hat man sich nicht von der türkischen Regierung gelöst und setzt nach wie vor auf die Abgrenzung. Das sieht man schon daran, wie sich nach der Völkermordresolution Verbände wie die DITIB verhalten haben: Sie haben die türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten angegriffen. Das zeigt: Sie sehen sich als Vertreter des türkischen Staates und nicht als deutsche Muslime.

"Ich war so lange bei den Grünen, bis ich schwarz gesehen habe"

BSZ: Sie waren von 2006 bis 2012 selbst Mitglied der DIK. War am Anfang alles besser?
Toprak: Ja. Zuerst waren viele säkulare und liberale Stimmen vertreten. Doch die islamischen Verbände haben sich gesträubt, dass bestimmte Personen an der DIK teilnehmen. Sie haben das Innenministerium regelrecht erpresst – mit Erfolg. Die Vielfalt der Muslime wird dadurch jetzt nicht mehr abgebildet. Sie vertreten mit 15 Prozent nur die Minderheit der Muslime im Land. Ich kann nicht verstehen, dass die Zukunft der Muslime nur mit erzreaktionären Verbänden verhandelt wird, die aus dem Ausland gelenkt werden.

BSZ: Wurde die DIK von dem Erfinder Wolfgang Schäuble und seinen Nachfolgern auch zu sehr für Gefahrenabwehr statt für einen Dialog zur Integration genutzt?
Toprak: Auch die kritischen Sicherheitsthemen gehören dazu. Die Islamverbände haben aber all die kritischen Themen wie Salafismus, Frauenrechte oder die Radikalisierung von Jugendlichen aus der DIK verbannt. Das geht nicht! Wenn diese Probleme nicht diskutiert werden, stärken wir damit erst recht die Rechtspopulisten und die radikalen Ränder. Das hat Pegida und AfD erst möglich gemacht.

BSZ: Aber es gab doch bei der DIK auch Fortschritte, etwa im Bereich der islamischen Wohlfahrtspflege?
Toprak: Ich kann keinen Durchbruch sehen. Natürlich wurde der Kontakt zu den Verbänden intensiviert und Projekte von der Jugend bis zu den Imamen vorangebracht. Aber die DIK hat in erster Linie die national-islamistischen Verbände salonfähig gemacht. Dabei haben diese reaktionären Verbände die Muslime seit Beginn immer zu Opfern stilisiert. Ich möchte, dass sich Muslime in dieser Gesellschaft als selbstverantwortliche Staatsbürger und nicht als Opfer fühlen. Wenn man sie zu Opfern macht, werden sich die Muslime von dieser Gesellschaft entfremden.

BSZ: Was muss passieren, damit die muslimischen Verbände mit einer Stimme sprechen?
Toprak: Der Staat sollte vor allem die Vielfalt der Muslime wahrnehmen und säkulare und liberale Kräfte unterstützen und motivieren, wie zum Beispiel das Muslimische Forum Deutschland oder den neu initiierten Rat der säkularen Muslime. Diese sollten dann als Gegengewicht in die Strukturen der Islamkonferenz mit einbezogen werden.

BSZ: Die rechtliche Anerkennung von islamischen Religionsgemeinschaften ist Ländersache. Warum handhabt das jedes Land anders?
Toprak: Die Kriterien für Religionsgemeinschaften sind eindeutig, manche weigern sich aber, sie zu erfüllen. Parteien links der Mitte haben gedacht, dass, wenn sie konservative islamische Verbände als Partner akzeptieren, sich diese Verbände angenommen fühlen und integrieren werden. Jetzt sind viele Bundesländer dabei, ihre naive Politik wieder rückgängig zu machen. Die Alevitische Gemeinde zum Beispiel hat ihre Satzung und Struktur geändert und sich damit auch rechtlich integriert. Jetzt ist sie zu Recht zur einzig anerkannten Religionsgemeinschaft aus dem islamischen Kulturkreis geworden.

BSZ: „Wer mit zwanzig kein Revolutionär war, hat kein Herz. Wer es mit dreißig noch ist, hat keinen Verstand“, sagen manche. Trifft das auch auf Sie zu? Sie sind von den Grünen zur CDU gewechselt.
Toprak: Ich war so lange bei den Grünen, bis ich schwarz gesehen habe, weil ich mit der Islam-, Integrations- und Türkeipolitik nicht einverstanden war. Immerhin wachen die Grünen jetzt wieder langsam auf. 2014 hat mich die CDU angesprochen, ob ich Lust habe, in der Zukunftskommission mitzuarbeiten. Da dachte ich mir, wenn ich schon am Parteiprogramm mitgestalten darf, kann ich auch direkt eintreten. (Interview: David Lohmann)

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