Politik

Andernorts gibt es längst Radschnellwege. In Bayern arbeitet man noch an einer Machbarkeitsstudie. (Foto: dpa)

22.07.2016

Bayern muss in die Pedale treten

Radfahrer sind im Verkehr noch immer stark benachteiligt – dabei gibt es in einigen bayerischen Kommunen gute Ideen

Freie Fahrt trotz roter Ampeln: Zumindest im US-Bundesstaat Idaho ist das für Radfahrer bereits seit 1982 Realität. Sie müssen das Rotlicht lediglich wie ein Stoppschild behandeln. In Deutschland würden sie dafür 180 Euro Strafe und einen Punkt in Flensburg kassieren. Der bayerische Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek (Grüne) plädierte dafür, Radfahrer auch in Deutschland über rote Ampeln fahren zu lassen. Er verwies auf gute Erfahrungen in Idaho und in Paris, wo Radfahrer seit 2012 ebenfalls an rund 2000 Ampeln von der Wartepflicht befreit sind. Das Ergebnis in der Praxis: weniger Unfälle und mehr Rücksichtnahme. Ein entsprechendes Pilotprojekt schwebt Janecek jetzt in München vor.

Bisher stößt die Idee allerdings auf wenig Gegenliebe. Die Gewerkschaft der Polizei in Bayern nennt das Ansinnen „völligen Unsinn“, und der bayerische Verkehrsminister lehnt es wegen einer „erheblichen Verkehrsgefährdung“ entschieden ab. „Ich bin der Meinung, dass rote Ampeln ein eindeutiges Zeichen bleiben müssen, die jedem Verkehrsteilnehmer unmissverständlich klarmachen, dass er zu warten hat und nicht weiterfahren darf“, sagt Joachim Herrmann (CSU) der BSZ. „Jede Verwässerung dieser Botschaft geht zu Lasten der Verkehrssicherheit.“ Selbst die Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Kommunen in Bayern (AGFK) gibt sich zurückhaltend. „Sinnvoll kann es allerdings sein, dem Radfahrenden durch den grünen Pfeil auch bei einer roten Ampel das Rechtsabbiegen zu ermöglichen“, erklärt deren Vorsitzender Thomas Neubauer.

Wenn auch nicht mit der Freigabe von roten Ampeln, Bayern hat sich die Förderung des Radverkehrs bereits seit Längerem auf die Fahne geschrieben. Aktuell existieren im Freistaat rund 8000 Kilometer Radwege – an jeder zweiten Bundesstraße und an 30 Prozent aller Staatsstraßen. Hinzu kommt das touristische Fernradroutennetz, bestehend aus 120 Routen mit zusammen über 9000 Kilometern Länge. Im Jahr 2015 wurden laut Verkehrsministerium 137 Kilometer neue Radwege für 39 Millionen Euro gebaut. In einem Zeitraum von vier Jahren sollen bis 2019 insgesamt 200 Millionen Euro in den nachträglichen Radwegeanbau investiert werden. Des Weiteren beteiligt sich der Freistaat mit 50 Prozent der Kosten an einer Machbarkeitsstudie in der Metropolregion Nürnberg zu einem Radschnellwegenetz – einer Art Autobahn für Radlfahrer. Ein ähnliches Projekt existiert im Großraum München. Mit Ergebnissen wird aber erst Ende des Jahres beziehungsweise Anfang nächsten Jahres gerechnet.

Grüne: „Bayern ist dabei, den Megatrend Radverkehr zu verschlafen“

Für die Grünen in Bayern ist das ein Paradebeispiel, „wie langsam staatliche Mühlen in Bayern mahlen“ – an der Ruhr ist ein 100 Kilometer langer Radschnellweg schon teilweise fertig. „Bayern ist dabei, den Megatrend Radverkehr trotz punktueller Bemühungen und freundlicher Sonntagsreden zu verschlafen“, sagt der oberbayerische Grünen-Vorsitzende Markus Büchler. Dabei gelte es gerade jetzt, die technologischen Entwicklungen, etwa von E-Bikes und Bike-Sharing, auszubauen. Zusätzlich fordert Büchler kreuzungsarme Radwege, überdachte Radabstellanlagen mit Stromanschluss, eine gute Beschilderung und einen frühmorgendlichen Winterdienst. Kurzum: Das Radl muss gleichberechtigt zu Auto und öffentlichen Verkehrsmitteln werden.

Allerdings gibt es im Freistaat bereits vorbildliche Kommunen. Ein Anhaltspunkt dafür ist der Modal Split, also der Radlverkehrsanteil am Gesamtverkehr. Dabei sticht mit 28 Prozent vor allem Erlangen hervor. Zum Vergleich: In Kopenhagen sind es rund 50 Prozent. Sieben Städte dürfen sich mit der AGFK-Auszeichnung „fahrradfreundliche Kommune“ schmücken, zum Beispiel Starnberg, Augsburg und Ismaning. Voraussetzung dafür sind in erster Linie ein Radverkehrskonzept, eine Netzplanung, eine Erhöhung des Modal Splits sowie ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen.

München ist mit 47 weiteren Kommen AGFK-Mitglied. Dort ist der Modal Split in neun Jahren um 70 Prozent auf gut 17 Prozent gewachsen. Um den Anteil weiter zu steigern, hat die Stadt vor einigen Wochen die Stelle des Beschwerdemanagements besetzt. „Dadurch soll es Bürgern in Zukunft erleichert werden, Anregungen und Beschwerden weiterzugeben“, erklärt Verwaltungsrat Thorsten Vogel vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung. Außerdem soll ab Herbst nach Berliner Vorbild in der Schellingstraße eine grüne Welle für Radlfahrer entstehen – auf Kosten der Autofahrer.

Siemens testet gerade mit Bamberger Studierenden die Smartphone-App „SiBike“, die mit Ampeln kommunizieren kann und Radlern so an jeder Ampel eine grüne Welle beschert. In Kopenhagen sollen Radfahrer mit Hilfe einer App sogar gewarnt werden, wenn sich beim Rechtsabbiegen ein Lastwagen der Ampel nähert. Das wäre auch für Bayern eine gute Idee: Immerhin jeder zweite tödliche Verkehrsunfall wird im Freistaat von Lkw-Fahrern verursacht. Allein in München gab es letztes Jahr insgesamt 232 schwerverletzte Radler. Bundesweit kommt laut Statistik pro Tag mindestens ein Fahrradfahrer im Straßenverkehr ums Leben.

In skandinavischen Ländern ist die Unfallrate trotz des hohen Radaufkommens viel geringer. In Kopenhagen nutzt die Hälfte der Menschen das Radl für den Weg in die Arbeit – hierzulande sind es bislang nur zehn Prozent, auch wenn immer mehr Angestellte umsatteln. Seit 2012 gilt das Dienstwagenprivileg auch für Fahrräder, Pedelecs und E-Bikes – das heißt, der Fiskus sponsert sie ebenfalls.

In den Niederlanden ist übrigens selbst schlechtes Wetter für Radler kein Problem: Dort gibt es in den Ampeln Regensensoren – und bei Nässe wird die Rotlichtphase für Fahrradfahrer deutlich verkürzt. (David Lohmann)

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