Politik

Bayerische Piraten auf der Isar: Sie erobern auch ländliche Gegenden. (Foto: dpa)

10.08.2012

Bayerns Hang zum Anarchischen

Nirgendwo haben die Piraten so viele Anhänger wie im konservativen Freistaat – eine Spurensuche

Das Foto auf der Homepage seiner bayerischen Irish-Folk-Band Fiddler’s Fare zeigt Klaus Kroeker so, wie er sich gerne sieht: In Trachtenjanker und Jeans mit Gitarre, dahinter das passende Alpenpanorama. Weltoffen und dennoch heimatverbunden. Doch der 43-Jährige aus dem nahe Garmisch-Partenkirchen gelegenen Bad Bayersoien ist nicht nur ein musikalischer, sondern auch ein politischer Mensch. Seit mehr als einem halben Jahr engagiert sich der Oberbayer mittlerweile bei der Piratenpartei. Er wolle „etwas bewegen“, sagt er von sich. Früher war er deshalb Mitglied der ÖDP. Doch Ende 2011 landete er an einem Stammtisch der Piraten – und wurde prompt Mitglied. „Wir brauchen eine neue Volksbewegung, um die Macht der Industrielobbyisten zu brechen“, sagt er mit fester Stimme und fügt hinzu: Die Piraten seien dafür genau die Richtigen.
Waren anfangs fast nur IT-Nerds und Bürgerrechtler Anhänger der Piraten, gelingt es der Partei seit einiger Zeit, zunehmend auch Mitglieder auf dem Land zu gewinnen. Männer wie Kroeker, die in ihren Gemeinden tief verwurzelt sind. „Wir können in Bayern auch auf dem flachen Land punkten“, behauptet Aleks Lessmann, politischer Geschäftsführer der bayerischen Piraten. Bei Kommunalwahlen im Freistaat zahlte sich die Heimatverbundheit mancher Mitglieder für die Piraten bereits aus: Knapp acht Prozent der Stimmen fuhr etwa der Kandidat der Piraten bei den Wahlen zum Landsberger Oberbürgermeister im März ein.
Längst sind die Piraten zwischen Berchtesgaden und Aschaffenburg keine Exoten mehr. Im Gegenteil: Ausgerechnet im konservativen Bayern ist die Partei so mitgliederstark wie in keinem anderen Bundesland. Mehr als jeder fünfte Freibeuter Deutschlands kommt aus dem Freistaat. Mit über 7000 Mitgliedern haben sie in Bayern sogar bereits die FDP überholt.
Zum Vergleich: Auf die Einwohnerzahl gerechnet hatten im südlichsten Bundesland zu Jahresbeginn zweimal mehr Menschen ein Parteibuch der Piraten als etwa in Nordrhein-Westfalen. Wie schlagkräftig die Netzaktivisten südlich des Mains sind, zeigten sie erst im Februar: 16 000 Demonstranten gingen in München trotz sibirischer Kälte gegen das Anti-Produktpiraterie-Abkommen ACTA auf die Straße. So viele wie in keiner anderen deutschen Stadt. Und auch bei einer Acta-Protestwelle wenige Wochen später kamen die meisten Protestierer aus dem Freistaat. „Die Piraten haben in Bayern mit ihren Aktionen eben eine noch größere Reichweite als anderswo“, sagt Bayerns Piraten-Kapitän Körner stolz. Die Chancen, das Maximilianeum zu entern, stehen gut: Die Demoskopen sehen die Freibeuter im südlichsten Bundesland in den Umfragen seit Wochen bei sechs bis neun Prozent.


„Wir sind ein Ventil für die Überregulierung“


Doch warum sind die Piraten ausgerechnet im konservativen Bayern so stark? Körner glaubt zu wissen, wem er für das Mitgliederwunder danken muss: „Das ist nicht zuletzt das Verdienst der Christsozialen.“ In den 1980er- und 1990er-Jahren hatte die CSU-Staatsregierung den Ausbau der Elektro-, IT- und Medienindustrien in Bayern massiv vorangetrieben. „Das später von Stoiber ausgerufene Motto ,Laptop und Lederhose’ hat uns den Weg bereitet. Wir fahren jetzt die Früchte dieser Arbeit ein“, ist er überzeugt. Denn der Anteil derer, die in der Informationstechnologie arbeiten, sei in Bayern besonders hoch. „Unter diesen Menschen haben wir nun einmal besonders viele Anhänger“, analysiert der Softwareentwickler.
Tatsächlich sind etwa in München und Mittelfranken – zwei Hochburgen der Piraten – besonders viele Softwareschmieden beheimatet. Doch der wachsende Zuspruch für die Partei auf dem Land lässt sich damit nicht erklären. Werner Weidenfeld, Politikprofessor an der Münchner LMU, geht davon aus, dass die Piraten in Bayern vor allem von der jahrzehntelangen Alleinherrschaft der CSU profitieren: „Wenn eine Partei so lange an der Regierung ist, fördert dies generell Strömungen, die für etwas anderes stehen“, ist der Forscher überzeugt. Hier zahle es sich für die Piraten aus, dass sie ihre Programmatik bisher recht vage halten würden. Das sieht der Steuermann der bayerischen Piraten Lessmann ähnlich: „Viele Menschen haben die Nase voll von der CSU-Herrschaft.“
Ein weiterer Aspekt für den Boom der bayerischen Piraten ist laut Körner die bayerische „Law and Order“-Politik. Nirgendwo in Deutschland sei etwa die Polizeipräsenz so hoch. Zudem gebe es im Freistaat besonders viele Verbote. Deshalb seien die Piraten „ein Ventil für die Überregulierung“.
Und dann ist da noch die spezielle Historie des südlichsten Bundeslandes: „Die Bayern hatten immer schon einen Hang zum Anarchischen“, weiß Lessmann. Und das Verhältnis der Bevölkerung zu den Mächtigen sei stets ein kritisches gewesen. Lessmann selbst verbrachte seine Kindheit in Spanien. „Doch ich habe diese ,Mia san mia‘-Mentalität mittlerweile lieben gelernt.“
An der Parteibasis betont man ebenfalls gerne den rebellischen Geist der Piraten. „Der Bayer steht auf, wenn ihm die politische Führung nicht passt“, schwärmt etwa der Bad Bayersoier Kroeker. Bestes Beispiel hierfür sei der Schmied von Kochel. Dieser soll der Legende nach Anfang des 18. Jahrhunderts einen Aufstand bayerischer Bauern gegen die verhassten Habsburger Besatzer angeführt haben. Die verbriefte Befreiungsschlacht vor den Toren Münchens endete freilich erfolglos in einem blutigen Gemetzel. Auch das letzte mitunter anarchistische Experiment in Bayern war von kurzer Dauer. Die kurz nach dem Ersten Weltkrieg gegründete Räterepublik, welcher der Flächenstaat seinen Titel Freistaat verdankt, fand ein jähes Ende im Kugelhagel preußischer Truppen.
Eine derart martialische Niederlage müssen Bayerns Piraten freilich nicht fürchten. Das Ziel für die Landtagswahl gibt Lessmann mit „bis zu neun Prozent“ aus. Doch zuvor muss die Partei dringend ihre Finanzen sanieren. Etwa die Hälfte der bayerischen Mitglieder ist mit ihren Beiträgen im Rückstand.
Wie klamm die Piraten sind, zeigt ein Blick in die bayerische Parteizentrale: Die Räumlichkeiten der Freibeuter liegen mitten im Münchner Arbeiterviertel Milbertshofen, zwischen zahlreichen Mietskasernen. „Weil es billig ist“, sagt Körner, der es sich auf einer Bierbank gemütlich gemacht hat. Denn ein eigenes Büro hat im bettelarmen Kollektiv der Piraten nicht einmal der Vorsitzende.
(Tobias Lill)

Kommentare (1)

  1. WIP am 11.08.2012
    Warum ignoriert OB UDE "Verjährungs-Wertberichtigungsverluste in einer mehrstelligen Millionenhöhe" bevor er in Urlaub auf Mykonos geht? Als öffentlicher Bediensteter hat er eine "Haushalts-Vermögenschutz-Pflicht" und ist auch centgenau schadensersatzpflichtig!?!
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