Politik

Paul McCarthys blumenüberwuchertes Haus der Kunst 2005. In Zukunft soll die volle Wucht der Nazisäulen wieder unverdeckt zur Geltung kommen. (Foto: Christoph Seeberger/Haus der Kunst)

21.07.2017

Blumen zur Beschwichtigung

Am 80. Jahrestag der Einweihung beschäftigte sich das Haus der Kunst einmal mehr mit seinem Bauherrn: Adolf Hitler

München diskutiert seit Monaten über die Bäume, die das Haus der Kunst flankieren, die es, zumindest im Sommer, verdecken. Der Architekt David Chipperfield, mit der Sanierung des Gebäudes beauftragt, will die Bäume fällen und hat damit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Doch jetzt sieht alles wieder ganz anders aus. Am 80. Jahrestag der Eröffnung von Hitlers Lieblingsmuseum veranstaltete das Haus der Kunst ein Symposium, und was ist auf dem Programm-Faltblatt des Symposiums zu sehen? Ein Foto, auf dem das Haus der Kunst nicht nur von dichtem Laub eingerahmt ist, nein, aus dem satten Grünzeug schießen knallbunte, riesengroße Blüten heraus. Das Gebäude ist kaum mehr zu erahnen, man meint, einen überdimensionalen Blumenkasten vor sich zu haben.

Es handelt sich um keine Fotomontage, diesen Anblick gab es mal in echt, im Sommer 2005 war das, die Installation hieß schlicht „Flowers“, mit ihr krönte der amerikanische Künstler Paul McCarthy seine eigene Werkschau im Haus der Kunst. McCarthys poppige Überwucherung der NS-Architektur soll jetzt also wiederhergestellt werden? Chipperfield hat seine Baumfällfantasien begraben? Entwarnung? Alles wird gut?

Nicht ganz. Das Foto diente eindeutig der Beschwichtigung. Man rechnete mit Publikum, das die Kahlschlagpläne ablehnt, und damit lag man auch nicht falsch. Also kam man den Baumverteidigern rein optisch schon mal voll entgegen, und Hauptkurator Ulrich Wilmes argumentierte denn auch so: Seht her, was Hitlers „Haus der Deutschen Kunst“ in all den Jahrzehnten, seit es nur noch das „Haus der Kunst“ ist, alles an „undeutscher“ Verfremdung erfuhr, mit wie viel moderner Phantasie, mit welcher Ironie und Parodie es überzogen wurde!

McCarthy ist ja nur ein Beispiel, Wilmes erinnerte auch an Gustav Metzger (1926-2017) und seine „Strampelnden Bäume“ 2010/11: spindeldürre, hohe Baumstämme, die, kopfüber in einen Betonsockel gegossen, ihr abgeschnittenes Wurzelwerk in die Höhe reckten und so das martialische Säulenspalier auf der Nordterrasse flankierten und konterkarierten. Oder Christian Boltanski, der das Haus der Kunst 1993/94 mit Augenpaaren vollpflasterte, Ausschnitten aus Gestapofotos von Mitgliedern der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ („Résistance“, Reinstallation 2015). Oder Ai Weiweis großflächiges chinesisches Spruchband, mit dem er die gesamte Säulenfront überzog („Remembering“, 2009), oder die Bambusstangen, mit denen er die Säulen auf der Nordseite horizontal „absicherte“ und die heute noch zu sehen sind – genauso wie Mel Bochners Spruchband über der Südfassade: „The Joys of Yiddish“.

Zwei, die sich mit künstlerischen Interventionen am Haus der Kunst versuchten, waren beim Symposium anwesend: Beate Passow, die 1995 zusammen mit Andreas von Weizsäcker das Kunstwerk „Wunden der Erinnerung“ schuf, das über ganz Europa verstreut ist. Am Haus der Kunst kann man es auf der Nordterrasse entdecken, wo vor einer Säule ziemlich unauffällig eine Glasscheibe montiert ist, auf der eben das zu lesen ist: „Wunden der Erinnerung“. Dahinter ist ein Einschussloch zu sehen, das wohl aus den letzten Kriegstagen stammt.

Und Christian Philipp Müller warf 2012 ein Tarnnetz über den 175 Meter langen Koloss. Im Krieg sei das Haus der Kunst vermutlich nicht zerstört worden, berichtet Kuratorin Sabine Brantl, weil es mit Tarnnetzen und künstlichen Baumkronen auf dem Dach für die Bomberpiloten unsichtbar gemacht wurde. Der Schweizer Künstler Müller „verbarg“ den gigantischen Bau nun aber mit einem Tarnnetz, dessen Camouflagemuster erstens bunt und zweitens derart vergrößert war, dass der Effekt ins Gegenteil umschlug. Womit er für Sabine Brantl die entscheidende Frage aufwarf: „Wie sichtbar darf das Haus der Kunst sein?“

NS-Pracht sichtbar machen?

Geht es nach Chipperfield, dessen Kahlschlagpläne sowohl von Okwui Enwezor, dem Leiter des Hauses, als auch von Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) unterstützt werden, wird der Bau demnächst wieder in seiner ganzen NS-Pracht sichtbar sein – in der grenzenlosen Überwältigungsästhetik von 1937. Die CSU-Mehrheitsfraktion im Landtag zeigte sich bei einer Anhörung im Januar regelrecht begeistert, während die Opposition ziemlich entsetzt war. Spaenle dazu in seinem Grußwort an das Symposium: Chipperfield werde „unterstellt“, damit „über die Historizität des Gebäudes hinwegzugehen – das Gegenteil ist der Fall.“ Und Enwezor verwies auf die Archiv Galerie, einen 2014 eingerichteten permanenten Ausstellungsraum zur Geschichte des Hauses. Was die Bäume an der Prinzregentenstraße angeht, hatte Enwezor bereits im Januar gesagt: „Diese Tarnung muss entfernt werden.“

Für Hauptkurator Wilmes ist es überhaupt keine Frage, dass die NS-Ideologie in den 70 Jahren seit der Befreiung „aus dem Haus getrieben“ wurde. Und Beate Passow gibt ihm recht: „Das Haus der Kunst ist von seiner Geschichte bereinigt, das ist sehr gut geglückt.“ Aus dem „Tempel für Kitsch und Heroik“ ist also ein geläutertes modernes Ausstellungshaus geworden, in dem genau die „entartete“ Kunst zuhause ist, gegen die Hitler bei seiner Eröffnungsrede am 18. Juli 1937 geiferte.

Doch verkraftet das Haus der Kunst deswegen auch die „Sichtbarmachung der NS-Architektur“? Iris Lauterbach vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte beantwortete diese Frage mit einem klaren Nein: „Das würde dem Haus der Kunst gar nicht gut tun, das würde seinen Aktivitäten schaden.“ Und als Wilmes bezüglich der Bäume die Frage stellt: „Was machen wir eigentlich im Winter?“ Ohne Laub lassen die Linden die gigantische Säulenreihe natürlich zum Vorschein kommen. Lauterbach antwortet schlagfertig: „Da freuen wir uns auf den Sommer!“

Noch weniger Verständnis zeigt Lauterbach für Chipperfields Ansinnen, von der Nordseite des Hauses der Kunst „Blickachsen“ zum Englischen Garten freizuschlagen. Zu dem Zweck möchte der Architekt ein ganzes Areal von Bäumen fällen, sodass der Kaffeetrinker auf der Nordterrasse den Monopterus sehen kann. Lauterbach, die sich intensiv mit Friedrich Ludwig von Sckell beschäftigt hat, der den Englischen Garten in den Jahren nach 1789 anlegte, versichert, das sei keineswegs im Sinne des Erfinders: „Solche ‚Sichtachsen’ würden den Englischen Garten empfindlich beschädigen, von Sckell würde dadurch herabgewürdigt.“ (Florian Sendtner)

Kommentare (1)

  1. Hans am 24.07.2017
    Würde fast sagen, kaum etwas wird mehr überschätzt als die Wirkung der zeitgenössischen Kunst. Auf keinen Fall kann man ihr eine Säuberungsfunktion zusprechen. Das bräuchte frisches, klares, unzweideutiges Sprechen und Handeln, was hier meist aus Schwäche oder Absicht fehlt. Nichts wird einfach ausgebügelt aus der Geschichte. Es rückt weiter weg und verblasst nur langsam. Was vor 80 Jahren war ist noch wirksam allein schon wegen der gescheiterten Entnazifizierung. Und noch nicht einmal der Erste Weltkrieg ist "verdaut". Meine Meinung zur Renovierung: Ohne Chipperfield und nur das machen, was unbedingt notwendig ist und den Rest so lassen und das Haus mit entschiedener Absicht weiter nur teilweise benutzen und muffeln lassen als eine Form der Distanzierung. keinesfalls die Fassade säubern und alles schön machen für eingebildete Kunstliebhaber an der Stelle. Keine feine Hitler-vergessende Terrasse etc. Es gibt im wohlgenährten, gedankenlosen München weder die ausreichende "Debatte" fürs Abreissen, noch für einen größeren anderen Plan. Diesem heutigen München steht wegen seiner demokratischen Flachheit nur das Weiterwursteln zu.
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