Politik

Einen Stundenlohn kennen die bayerischen Taxler nicht. Oft warten sie – unbezahlt – lange auf einen Gast. (Foto: dpa)

18.07.2014

Bosse werden plötzlich spendabel

Der bevorstehende Mindestlohn zeigt schon jetzt Auswirkungen: Einige Branchen bekommen noch schnell Tarifverträge

Ein Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde?, fragt der Taxifahrer ungläubig auf der spätabendlichen Fahrt von Oberschleißheim in die Münchner Innenstadt. „Es gibt Tage, da verdiene ich in neun Stunden gerade einmal 60 Euro mit Trinkgeld. Wenn am Ende des Monats 1600 Euro zusammenkommen, bin ich froh.“ Oft warte er zwei Stunden am Hauptbahnhof auf Fahrgäste. „Und die wollen dann gerade mal 1000 Meter weit.“ Als angestellter Taxifahrer wird er nach Umsatz bezahlt – rund 40 Prozent der Einnahmen gehen auf sein Konto. Gibt es keine Fahrgäste, gibt es auch kein Geld. Er staunt: „Ein Stundenlohn von 8,50 Euro – das wär’ ja was!“
Auch wenn es der Münchner Taxler kaum glauben mag: Der branchenübergreifende Mindestlohn kommt zum 1. Januar 2015. Das entsprechende Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie ist verabschiedet. Doch ob die 8,50 Euro dann auch für Taxifahrer gelten, ist noch gar nicht sicher. Denn in Branchen, in denen es einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gibt, können bis zum 1. Januar 2017 geringere Löhne bezahlt werden. Im Eiltempo will der deutsche Taxi- und Mietwagenverband BZP  nun mit Verdi noch einen Tarifvertrag aushandeln, um von der Übergangsfrist zu profitieren. Im Gegensatz zu allen anderen Bereichen könne man die Mehrkosten nicht in der notwendigen Höhe an die Kunden weitergeben, sagt BZP-Präsident Michael Müller.
Genau deshalb ist man auch bei der Gewerkschaft verhandlungsbereit. Man habe aber  bereits signalisiert, nicht nur Abstriche zu machen, sagt Verdi-Sprecher Christoph Schmitz. Im Gegenzug müsse auch über Arbeitszeitregelungen wie Zuschläge für Nacht- und Feiertagsarbeit geredet werden. „Und klar ist: Auch wenn wir der Branche vorübergehend weniger als 8,50 Euro zumuten, am Ende soll der Tariflohn über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen.“

Ganz frisch: der Tarifvertrag in Landwirtschaft und Gartenbau

Nicht nur in der Taxibranche, auch in anderen Bereichen, wo die Gewerkschafter traditionell einen schweren Stand haben, gibt es plötzlich Verhandlungsbereitschaft. „Arbeitgeber, die früher nicht im Traum daran gedacht hätten, setzen sich plötzlich mit den Gewerkschaften an einen Tisch“, berichtet Timo Günther, Sprecher des Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Bayern. Für ihn ein klarer Erfolg der Mindestlohnankündigung. Denn der Anteil der Betriebe mit Tarifbindung sinkt in Bayern stetig: von 2001 bis 2012 von 50 auf 32 Prozent. Der Anteil der von Tarifverträgen erfassten Beschäftigten ist im gleichen Zeitraum von 70 auf 57 Prozent gefallen.
„Einige neue Tarifverträge hätte es wohl nicht gegeben ohne die Diskussion um einen Mindestlohn“, sagt auch Verdi-Sprecher Schmitz. In der Leiharbeit und im Friseurhandwerk beispielsweise, wo tarifliche Übergangsregelungen bereits in Kraft sind. Ganz frisch ist der bundesweite Tarifvertrag  in der Landwirtschaft und im Gartenbau. In Bayern gilt dann ab 1. Januar 2015 ein Mindeststundenlohn von 7,40 Euro – auch für Erntehelfer. Über eine stufenweise Erhöhung beträgt er 8,60 Euro ab 2017 und soll bis zum 1. November 2017 auf 9,10 Euro steigen. Die Verhandlungen waren zäh, eine Einigung stand auf Messers Schneide. Doch am Ende spricht der Vize-Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), Harald Schaum, von einem „vernünftigen Ergebnis“. Zufrieden zeigt sich auch Burkhard Möller, Geschäftsführer des Gesamtverbandes der Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände (GLFA). Denn für die Betriebe sei die Einigung in jedem Fall günstiger, als wenn es unmittelbar zur Anwendung des Mindestlohngesetzes käme.
Auch für die Fleischwirtschaft, in der es – wie bei den Taxlern – bis vor Kurzem noch nicht mal einen Arbeitgeberverband gab, gilt ab 1. August ein Mindesttariflohn, der von 7,75  auf 8,75 Euro steigt. „Hätte nicht das Damoklesschwert Mindestlohn über den Arbeitgebern geschwebt, wäre er nicht gekommen“, sagt Freddy Adjan, bayerischer Landesbezirksvorsitzender  der zuständigen  Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).
Im Bäckerei- und im Gaststättengewerbe wird aktuell verhandelt. In Bayern gilt zwar für das Gastgewerbe ein Mindesttariflohn von über 8,50 Euro bereits jetzt. Der Haken: Der Tarifvertrag ist nicht allgemeingültig, und der bayerische Hotel- und Gaststättenverband nimmt auch Betriebe ohne Tarifbindung (OT) auf. Diese müssen ab 2015 den Mindestlohn von 8,50 Euro zahlen. Dass selbst Verbände eine OT-Mitgliedschaft anbieten – für die bayerische Metall- und Elektroindustrie gibt es sogar einen eigenen Arbeitgeberverband für OT-Mitgliedschaften –, sei „das Krebsgeschwür schlechthin“, sagt Adjan von der NGG Bayern. Gerade deshalb brauche es den gesetzlichen Mindestlohn.
Ein Arbeitgeberverband hat Tarifverhandlungen mit Verdi übrigens rundheraus abgelehnt: der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Für  Zeitungszusteller aber gilt nun eine gesetzliche Sonderregelung. Sie erhalten den Mindestlohn stufenweise. 2015 sind es 6,38, von 2017 an dann 8,50 Euro. Das ärgert Verdi-Sprecher Schmitz: „Jetzt wird die starre Haltung des BDZV auch noch mit der gesetzlichen Ausnahme belohnt“. (Angelika Kahl)

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