Politik

Dass Kinder sich in der Schule prügeln, ist Alltag. Gewalt gegen Lehrer erstaunt. Vor allem, wenn sie von Eltern ausgeht. (Foto: dpa)

18.11.2016

Brave Schüler, höfliche Eltern: Das war mal

Immer mehr Lehrer werden Opfer von Gewalt – die kann von Schülern ausgehen, aber auch von deren Vätern und Müttern. Was tun?

Stoßen, treten, beleidigen: Dass es auf dem Pausenhof von Schulen manchmal hart hergeht, weiß man. Doch dass auch Lehrkräfte Opfer von Gewalt sind, ist noch immer ein Tabu. Jetzt hat der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband die zunehmenden Attacken publik gemacht und die Politik um Hilfe gebeten. Nach den Polizisten klagen nun auch die bayerischen Lehrer über zunehmende Gewalt gegen sich. Die Zahlen scheinen das zu bestätigen. Nach einer vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) in Auftrag gegebenen Umfrage hat rund ein Fünftel der knapp 100 000 Lehrkräfte im Freistaat schon einmal physische oder psychische Gewalt im Schulalltag erfahren, etwa die Hälfte aller Lehrer weiß von Fällen im Kollegenkreis. Konkret gaben 18 Prozent der 500 repräsentativ ausgewählten Lehrkräfte an, mindestens einmal selbst psychische Gewalt in Form von Bedrohung, Diffamierung oder Beleidigung erfahren zu haben. Vier Prozent erklärten, körperlicher Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein, weitere drei Prozent wurden Opfer von „Cybermobbing“ im Internet. Psychische Gewalt ging demnach am häufigsten von Eltern aus. 59 Prozent der betroffenen Lehrer gaben an, von Eltern verbal oder schriftlich angegangen worden zu sein, 52 Prozent von Schülern, 21 Prozent von Vorgesetzten und 12 Prozent von Kollegen. Die große Mehrheit der Betroffenen hat sich mit Anzeigen oder Beschwerden dagegen gewehrt, ein knappes Viertel ließ die Fälle aber auf sich beruhen, zumeist um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Psychische Gewalt und Cybermobbing gegen Lehrer ist laut Umfrage über alle Schularten relativ gleich verteilt, körperliche Gewalt wie Stoßen, Treten, Schlagen oder an den Haaren ziehen kommt an Mittelschulen überproportional häufig vor.

Ein wütender Vater filmte heimlich den Unterricht

Beim BLLV sammeln sie die eingehenden Fälle. Rechtsreferentin Christina Bädeker berichtet zum Beispiel von einem Schulrektor, der von einem Schüler wegen Körperverletzung im Amt angezeigt wurde. Die Beschuldigung stellte sich nach polizeilichen Ermittlungen als erfunden heraus. Der Schüler gab an, er habe dem von ihm gehassten Rektor schaden wollen. In einem Internet-Blog wurde ein namentlich genannter Lehrer detailliert der sexuellen Handlungen an Schülern bezichtigt. Als er zufällig davon erfuhr, erstattete er Anzeige. Auch hier stellten sich die Beschuldigungen als falsch heraus.
Besonders krass: Ein Vater stieg mit einer Leiter aufs Dach einer Schule und filmte über mehrere Tage hinweg heimlich durch ein Oberlicht den Unterricht einer Lehrerin. Als die Sache aufflog, erklärte er, er habe Material sammeln wollen, um der Lehrerin mit dem Gang an die Öffentlichkeit drohen zu können; sie benachteilige nämlich seine Tochter.

Zudem stellt der BLLV den Trend fest, dass Eltern nicht mehr direkt mit den Lehrern kommunizieren, sondern über Anwälte. Oft geht es dabei um den Übertritt ans Gymnasium. Gedroht werde mit rechtlichen Schritten, sollte es mit dem Übertritt nicht klappen. Oft lägen den Schreiben Kostenrechnungen über dazu erstellte Gutachten bei.

Für BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann legt die Studie offen, dass die gesamtgesellschaftliche Entwicklung hin zu gewalttätig eskalierenden Konflikten und rückläufiger Anerkennung von Autoritäten „nicht an den Schultüren haltmacht“. Gewalt gegen Lehrer müsse deshalb aus der Tabu-Zone geholt werden. „Gekränkt, geschlagen und in der Ehre verletzt zu werden, gehört nicht zum Lehrerberuf“, betont Fleischmann. Erschreckend findet sie, dass Aggression überwiegend von Eltern ausgehe. „Diese begehen damit nicht nur Unrecht, sie sind auch ganz schlechte Vorbilder“, so Fleischmann. Natürlich gebe es in der Erziehungspartnerschaft von Schulen und Eltern immer wieder Konflikte, doch dürften diese nicht gewaltsam gelöst werden. Als eine Ursache für das wachsende Konfliktpotenzial sieht Fleischmann die „hochgesteckten Bildungsziele“, für die die Politik jedoch nicht die nötigen Ressourcen bereitstelle.

Lehrer fordern: Die Politik muss mehr tun

In jedem Fall dürfe die zunehmende Gewalt gegen Lehrkräfte nicht hingenommen werden. Gute Bildung könne nur in einer angstfreien Atmosphäre gelingen. Fleischmann fordert vor allem das Kultusministerium auf, den Lehrkräften mehr Unterstützung zu gewähren. In der Umfrage gaben nur 22 Prozent der befragten Lehrkräfte an, die Politik nehme sich des Themas ausreichend an. Viele Lehrer fühlten sich von den Schulbehörden alleingelassen, nur selten stelle sich der Dienstherr im konkreten Fall an die Seite der Lehrkraft. „Das Kultusministerium muss sich daran messen lassen, ob die Zahlen in fünf Jahren niedriger sind als heute“, sagt Fleischmann mit Blick auf die Umfrageergebnisse. Nötig seien ein offener Umgang mit Gewaltfällen, der Aufbau von Hilfsstrukturen für die Lehrkräfte, eine intensivere Lehrerfortbildung im Bereich Gewaltprävention und Schulungen für den Umgang mit Formen psychischer Gewalt. Zudem brauche es Strategien gegen das neue Phänomen des Cybermobbing. „Die Folgen sind hier noch gar nicht absehbar“, warnt Fleischmann.

Im Kultusministerium heißt es dazu, es gebe bereits ein breit gefächertes Präventions- und Beratungsangebot. Verwiesen wird zudem auf eine Vielzahl von Instrumentarien, die von pädagogischen Maßnahmen über Ordnungsmaßnahmen bis hin zur Anzeige bei Polizei und Staatsanwaltschaft reichten. Allerdings müssten die betroffenen Lehrkräfte auch den Willen haben, entsprechende Vorgänge zu melden und anzuzeigen. „Ein Zuschauen und Zudecken ist nicht angebracht, Handeln ist geboten“, heißt es in einer Mitteilung des Ministeriums. Schwere Beleidigungen und Cybermobbing seien als Straftaten anzeigepflichtig. Psychische und physische Gewalt gegen Lehrkräfte wie auch gegen Schülerinnen und Schüler dürfe nicht geduldet werden. Zumindest darin sind sich Ministerium und Lehrerverband einig. (Jürgen Umlauft)

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