Politik

Währungs-Erfinder Christian Gelleri in einer Rosenheimer Apotheke. Im Jahr 2011 wurden mit dem Chiemgauer 6,5 Millionen Euro umgesetzt. (Foto: Gabi Peters)

08.06.2012

Bunte Blüten aus dem Chiemgau

Regionalgeld: In Oberbayern hat sich eine Parallelwährung erfolgreich etabliert – das findet immer mehr Nachahmer

Szene in einer Apotheke in Rosenheim: Ein Kunde kauft einen Kräutertee, geht damit zur Kasse und zückt seine Geldbörse. So weit, so normal. Doch dann zieht der Käufer mehrere bunte Scheine heraus, poppig grün, rot, blau – man könnte sie für Monopolygeld halten. Die Apothekerin nimmt die Scheine entgegen, ohne mit der Wimper zu zucken. Legt sie in die Kasse und gibt etwas Gelbes zurück. Während sich der ahnungslose Zeuge verdutzt die Augen reibt, schnappt sich der Kunde seinen Tee und geht rüber zum Bioladen, wo sich das Procedere wiederholt, ebenso in der Buchhandlung um die Ecke und im Café.

Vom Chiemgauer gehen drei Prozent an soziale Projekte

Ist den Rosenheimern der Euro ausgegangen?  „Nein, ganz im Gegenteil“, sagt Christian Gelleri und lacht. Man kann in Rosenheim durchaus noch mit dem Euro bezahlen, aber daneben gibt es noch eine Regionalwährung, den Chiemgauer. Gelleri ist Geschäftsführer der Regios eG, die das Parallelgeld-Projekt managt. Das Ziel: durch ein räumlich begrenztes Zahlungsmittel den regionalen Wirtschaftskreislauf zu stärken und dabei noch Gutes zu tun. Denn drei Prozent dessen, was die Verbraucher mit dem Chiemgauer umsetzen, fließen in gemeinnützige oder andere soziale Projekte.
Wer jetzt glaubt, es handele sich hier um das Steckenpferd einer Handvoll idealistischer Spinner, dem hält Gelleri beeindruckende Zahlen entgegen: Rund 600 Unternehmen im Dreieck Wasserburg, Rosenheim und Traunstein akzeptieren die Bezahlung mit der Komplementärwährung und haben mit ihr im vergangenen Jahr rund 6,5 Millionen Euro umgesetzt.
Eigentlich ist es in Deutschland verboten, eigenes Geld zu drucken. Aber da Regionalwährungen als eine Art Gutscheinsystem angesehen werden und Regiogeld-Konten von den Banken geführt werden, drückt die Bankenaufsicht hier ein Auge zu. Das Design der Geldscheine hat sich Gelleri selbst ausgedacht, ebenso wie den ziemlich komplexen Abwicklungsprozess mit Geldkarte für jedes Vereinsmitglied, der Möglichkeit der bargeldlosen Zahlung, eigener Buchungssoftware, eigenem Mikrokreditwesen und vielem mehr. Es ist ein erklärungsintensives Projekt, aber so überzeugend und erfolgreich, dass es inzwischen bundesweit Nachahmer findet.
Die Theorie, die dem Chiemgauer zugrunde liegt, hat der deutsche Ökonom Silvio Gesell bereits Anfang des 20. Jahrhunderts begründet: die Freiwirtschaftslehre, Marktwirtschaft ohne Kapitalismus. Der Kern: Das Geld ist „umlaufgesichert“, das heißt, es verliert an Wert, wenn es nicht ausgegeben wird. Das soll den Rubel am Rollen und den Wirtschaftskreislauf in Gang halten. Außerdem, so hoffte der Sozialreformer, werde so verhindert, dass das Geld gehortet wird und sich in der Hand einiger Weniger vervielfältigt oder gar zu Spekulationsgeschäften missbraucht wird.

Von 30 auf 3500 Vereinsmitglieder gewachsen

Auch das bunte Regionalgeld aus dem Chiemgau verliert alle drei Monate zwei Prozent seines Wertes und muss mit Wertmarken verlängert werden, die dann auf dem Geldschein kleben. Das verursacht unnötige Kosten, deshalb sind alle Teilnehmer bemüht, ihr Sondergeld vorher auszugeben. Banken und teilnehmende Unternehmen tauschen den Euro 1:1 in einen Chiemgauer. Ein Rücktausch allerdings kostet fünf Prozent. Drei Prozent gehen dann an ein zuvor festgelegtes Wunschprojekt des Kunden, darunter Musik- und Sportvereine, Schulen und Kindergärten, Kirchen und Umweltgruppen. Zwei Prozent gehen an die Genossenschaft Regios eG für Verwaltungsaufwendungen. Dazu gehört auch das Gehalt von Geschäftsführer Gelleri, der das ganze System mit seinem Engagement am Laufen hält – anfangs neben seinem Job als Lehrer, seit 2005 hauptberuflich. Seit dem vergangenen Jahr schreibt das Projekt schwarze Zahlen – neun Jahre nach seiner Gründung.
Angefangen hatte alles damit, dass Gelleri an der Waldorfschule in Prien mittels eines Schülerprojekts Geld für eine neue Sporthalle sammeln wollte. Erste Versuchsobjekte waren also die Eltern der Schüler. Und tatsächlich: Die Schule bekam ihre Sporthalle und das Projekt eine nie geahnte Eigendynamik. Aus anfänglich 30 Vereinsmitgliedern sind inzwischen 3500 geworden. Heute ist der Chiemgauer das mit Abstand erfolgreichste regionale Zahlungsmittel in Deutschland. Und die Expertise der Genossenschaft ist gefragt, inzwischen wird das Regiogeld in einer Art Franchisesystem exportiert.
Der Sterntaler im Berchtesgadener Land funktioniert ebenso nach Gelleris Erfolgsmodell wie die Umlaufwährungen in Dachau, Wolfratshausen oder am Ammersee – aber eben weit weniger erfolgreich. „Es braucht einfach eine Menge Energie, um so ein Parallelsystem aufzubauen“, betont Gelleri.
Sein Erfolgsrezept ist die Zusammenarbeit mit den Gruppen und Vereinen, die Nutznießer des Geldkreislaufs sind. Die rekrutieren in ihrem familiären oder sozialen Umfeld sowohl neue Mitglieder für den Chiemgauer e. V. als auch Unternehmen, die sich ihr soziales Engagement werbewirksam auf die Fahnen schreiben dürfen. Und: „Wenn das Ganze eine gewisse Größe erreicht hat, läuft es ganz von selber“ – diese Erfahrung hat der 38-jährige studierte Betriebswirt und Wirtschaftspädagoge in den vergangenen Jahren gemacht.

Die Region wird gestärkt, Nachhaltigkeit erzeugt

Trotzdem braucht es eine Portion Idealismus, am Chiemgauer-Geldkreislauf teilzunehmen – denn einen persönlichen Vorteil hat niemand durch den Gebrauch des Regiogeldes. Stattdessen appelliert Gelleri an das soziale Gewissen seiner Mitbürger. Sie leisten mit ihrem Einkauf nicht nur einen Beitrag zum Erhalt der heimischen Vereinskultur. „Durch den regionalen Waren- und Dienstleistungskreislauf erzeugt ein Chiemgauer ein Mehrfaches an regionaler Wertschöpfung als der Euro. Und das System dient der Nachhaltigkeit, denn Transportwege werden verkürzt, die Umwelt geschont.“
Und für den Fall, dass Deutschland tatsächlich einmal in eine ähnlich missliche finanzielle Lage gerät wie zum Beispiel Griechenland – Christian Gelleri hat schon eine neue Idee. Mit dem Chiemgauer könnte man dann wirklich alles bezahlen – Heizenergie, Nahrung und Treibstoff. Denn alle lebenserhaltenden Rohstoffe sind in der Region vorhanden. Das Konzept liegt bei Gelleri fertig in der Schublade, „man muss es nur noch umsetzen“. (Gabi Peters)

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