Politik

Werbung für Prostitution wie hier in München – das würde die CSU gerne verbieten. (Foto: dpa)

18.07.2014

Das größte Bordell Europas

CSU und Grüne beschäftigt die Zwangsprostitution – sie liegen bei ihren Forderungen gar nicht so weit auseinander

Anja hatte gerade das Abitur in der Tasche und jobbte in einer Spielothek – dann verliebte sie sich in Marek. Der junge Mann versprach, sie aus Polen herauszuholen. Sie sollte in einer Münchner Bar als Bedienung arbeiten. Doch Marek entpuppte sich als gewalttätiger und skrupelloser Menschenhändler, der die junge Frau zur Prostitution zwang.
Anja konnten die Mitarbeiterinnen der bayerischen Fachberatung Jadwiga, die Opfer von Menschenhandel unterstützen, helfen. Die Beraterinnen begegnen immer wieder Frauen, die verraten und belogen wurden – häufig von einem geliebten Menschen, dem sie vertrauten. Allein im Jahr 2013 haben 159 Frauen bei Jadwiga in München, Hof oder Nürnberg Hilfe gesucht. 84 davon waren von sexueller Ausbeutung betroffen. Doch das ist nur ein Bruchteil der Zwangsprostituierten in Bayern. Das Dunkelfeld des Menschenhandels ist riesig.
Gesichertes Zahlenmaterial existiert aber noch nicht einmal für den Bereich legale Prostitution, denn eine Meldepflicht gibt es nicht. Legal ist die Prostitution in Deutschland seit 2002. Die damalige rot-grüne Regierung hatte die Sexarbeit legalisiert, um den Prostituierten Zugang zur Sozial- und Krankenversicherung zu verschaffen.  In diesem Zuge wurde auch die Förderung von Prostitution und Zuhälterei entkriminalisiert. Allerdings: Laut der Bundesagentur für Arbeit gab es Ende 2013 gerade einmal 44 sozialversicherte Sexarbeiter, darunter vier Männer. Für Kritiker des Gesetzes ein Anzeichen dafür, dass es versagt hat.
Und Kritiker des  Gesetzes, das in deren Augen auch Einfallstor für Zwangsprostitution ist, sind heute überall zu finden: bei der Polizei, den Gewerkschaften, Hilfsorganisationen und auch Parteien jeder Couleur. Ganz vorne mit dabei: die Frauen-Union (FU) in Bayern. FU-Vize-Vorsitzende Barbara Lanzinger hat diese Woche einige Kritiker an einen Tisch gebracht. Das Ziel: Druck machen auf Berlin. „Deutschland gilt als das größte Bordell Europas und ist eine Hochburg für Menschenhändler“, heißt es in der FU-Kampagne. „Deshalb brauchen wir so schnell wie möglich eine Gesetzesnovellierung“, sagt Lanzinger. Im Koalitionsvertrag steht das Ziel einer umfassenden Überarbeitung des Prostitutionsgesetzes. Doch dass die beiden SPD-geführten Ressorts Familie und Justiz noch immer keine gesetzgeberischen Vorschläge eingebracht haben, geht Lanzinger mächtig gegen den Strich. „Das halten wir für wichtiger als die Einführung einer Frauenquote.“ Denn jedes Opfer sei ein Opfer zu viel.
Nicht nur in der CSU beschäftigt man sich aktuell verstärkt mit dem Thema Zwangsprostitution und Menschenhandel. Die Landtags-Grünen haben  diese Woche einen ganzen Tag lang mit Betroffenen-, Interessen- und Behördenvertretern diskutiert. Ein Gast auf beiden Veranstaltungen war der Augsburger Kriminalhauptkommissar Helmut Sporer, der seit über 20 Jahren in diesem Bereich ermittelt. Er sagt: „Der Markt hat sich auch aufgrund des ominösen Prostitutionsgesetzes brutal verändert.“ Verdachtsunabhängige Kontrollen sind nicht mehr möglich. Ebenfalls neu seit 2002: Preise, Praktiken und Kleidung dürfen den Prostituierten vorgeschrieben werden. „Früher wurde man deshalb wegen Zuhälterei verurteilt, jetzt ist es erlaubt“, empört sich Sporer.
Wo fängt Zwang an, wo hört der freie Wille auf? Die selbstbestimmte Prostituierte, die arbeitet, um sich ein angenehmeres Leben zu ermöglichen, sei nicht der Regelfall, heißt es unisono auf beiden Veranstaltungen.  Genau diese aber hatten die Gesetzgeber von 2002 im Blick. In der Realität  sind die Prostituierten extrem jung. Bis zu 90 Prozent von ihnen kommen aus dem Ausland, die meisten aus Südosteuropa. Das dürftige Zahlenmaterial basiert allein auf regionalen Statistiken aufgrund von Polizeikontrollen. Demnach gab es 2013 in Augsburg 1100, in Nürnberg 1500 und in München 3000 Prostituierte. 2000 hatte die Münchner Polizei noch rund 1200 Prostituierte in der Landeshauptstadt gezählt. Damals waren  einige Grenzen zu heutigen EU-Ländern noch nicht offen. CSU-Frau Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, war bereits mehrfach in südosteuropäischen Ländern, um dort die Aufklärungsarbeit zu unterstützen. Dort musste sie schon den Vorwurf hören: „Ihr mit euren rechtlichen Regelungen seid schuld, dass unsere Frauen zu euch verschleppt werden.“

Prostitution ganz verbieten?

Die Augsburger Sozialpädagogin Soni Unterreithmeier, die beim Verein Solwodi Zwangsprostituierte betreut, klagt in der CSU-Runde: „Die meist sehr jungen Frauen sind völlig schutz- und rechtlos.“ Fehlende Aufenthaltsgenehmigungen verstärkten den Druck. Ein neues Problemfeld: Bayerns Erstaufnahmelager und Asylbewerberunterkünfte. Dort würden zunehmend Frauen mit falschen Versprechungen für die Sexarbeit rekrutiert, wird auf der Veranstaltung der Grünen berichtet.
Die Prostitution einfach ganz verbieten – wäre das nicht die einfachste Lösung? Sabine Constabel, die seit 23 Jahren am Stuttgarter Gesundheitsamt Prostituierte berät, glaubt, so ließe sich auch das Bewusstsein in der Gesellschaft verändern: „Es ist nicht lebensnotwendig, sich eine Frau zur sexuellen Benutzung zu kaufen.“ Julia von Koch von der Beratungsstelle Jadwiga  befürchtet dagegen, dass Frauen in der Illegalität ihren Tätern noch stärker ausgeliefert seien. Constabel kontert: „Der Freier macht schon heute legal mit ihnen, was er will. Die jungen Frauen werden zu Sexualpraktiken gezwungen, von denen sie gar nicht wussten, dass es sie gibt.“
Auch am CSU-Tisch kommt das Thema Prostitutions-Verbot auf. Ein Komplettverbot fordert aber selbst FU-Frau Lanzinger nicht. Darüber ist sie sich mit Verena Osgyan, frauenpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, einig, ebenso wie über eine Wiedereinführung von Gesundheitstests. Über die CSU-Forderungen,   Freier von Zwangsprostituierten zu bestrafen und Prostitution unter 21 Jahren zu verbieten, wird in der Grünen-Fraktion noch diskutiert. Osgyan plädiert für eine Regelung der Prostitution über eine Gewerbeordnung und einer damit einhergehenden Meldepflicht – das wird auch von der Landtags-SPD favorisiert.
Was am Ende im Entwurf der Bundesministerien stehen wird, ist ungewiss. Nur eines ist sicher: Lanzinger muss Geduld aufbringen. Vorschläge will das Familienministerium erst Ende des Jahres vorlegen. (Angelika Kahl)

Kommentare (1)

  1. Super Horsti am 22.07.2014
    Prostitution verbieten? Eine heile Welt quasi per gesetzlicher Verordnung. Das wird wohl schwer umzusetzen sein. Prostitution und Zwangsprostitution ist fast dasselbe, entweder ich wende rohe Gewalt an oder ich nutze die Verzweiflung und Notlage der Dame zur Befriedigung meiner Bedürfnisse schamlos aus, wo ist der Unterschied?

    Es ist grobes Unrecht, was den Damen angetan wird, darüber brauchen wir gar nicht reden. Es ist nur die Frage ob man es mit einem Verbot belegen und sanktionieren soll wie in Schweden?

    Nehmen wir einmal an, es gäbe ein Prostitutionsverbot. Dann könnten ja Männer, die keine Frau oder Freundin haben oder auf der Stanz nicht erfolgreich sind keinen Geschlechtsverkehr mehr haben. Dicke Männer oder unsympathische Männer oder anderweitig nicht dem Schönheitsideal der Frauen entsprechende Männer könnten vielleicht sogar nie in ihrem Leben Sex haben.

    Dauerhaft völlig abstinent zu leben das schaffen vielleicht katholische Pfarrer aber nur sehr wenige Schäfchen.
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