Politik

Kommt jetzt der große Kater? Die Briten stimmten für den Austritt aus der EU. (Foto: dpa)

24.06.2016

"Das ist kein guter Tag für Europa"

Das Horrorszenario der EU-Befürworter wird wahr: Großbritannien hat sich für den Ausstieg aus der Europäischen Union entschieden. Auch in Bayern ist das Entsetzen groß

Schock für Europa: Die Briten haben für den Austritt aus der EU gestimmt und stürzen den Staatenbund damit in die schwerste Krise seiner fast 60-jährigen Geschichte. In einem historischen Volksentscheid votierten 51,9 Prozent für den Brexit. Premierminister David Cameron, der für einen Verbleib geworben hatte, kündigte seinen Rücktritt bis spätestens Oktober an. Er versicherte zugleich, dass Regierung und Parlament den Mehrheitswillen respektieren und mit der EU den Austritt aushandeln werden. Die Wahlbeteiligung lag bei 72 Prozent, insgesamt hatten sich 46,5 Millionen Wähler für die Abstimmung registriert.

Die internationalen Finanzmärkte reagierten mit Kursstürzen. Das Pfund Sterling erreichte den tiefsten Stand seit 1985. Experten befürchten eine Wirtschaftskrise, Jobverluste und einen Währungsverfall.

Rechtsparteien in Europa jubilierten. Erste Forderungen nach Referenden in anderen EU-Staaten wurden laut. Der britische Rechtspopulist Nigel Farage, einer der populärsten Brexit-Befürworter, frohlockte: "Die EU versagt, die EU stirbt."

EU-Gipfelchef Donald Tusk rief die verbleibenden Mitgliedstaaten auf, zusammenzuhalten. "Wir sind entschlossen, unsere Einheit zu 27 zu bewahren." Es sei nicht der Augenblick für hysterische Reaktionen. Am Rande des EU-Gipfels am Dienstag und Mittwoch in Brüssel solle es bereits ein "informelles Treffen" der 27 geben - erstmals ohne Großbritannien.

Cameron hat sich verspekuliert

Cameron hatte das Referendum bereits 2013 vorgeschlagen - vor allem mit dem innenpolitischen Kalkül, EU-Kritiker in den eigenen Reihen ruhigzustellen. Diese Rechnung ging nicht auf. Zahlreiche Warnungen von Politikern aus der ganzen Welt, vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und von Wirtschaftsverbänden verhallten ungehört.

Die Bundesregierung äußerte sich enttäuscht. Kanzlerin Angela Merkel sprach von einem "Einschnitt für Europa". Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) twitterte: "Damn (Verdammt)! Ein schlechter Tag für Europa." Justizminister Heiko Maas erklärte, jetzt sei "Mut statt Depression" gefragt. Die junge Generation in Großbritannien dürfe nicht alleingelassen werden, twitterte der SPD-Politiker. Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) erklärte: "Wir brauchen ein besseres Europa, das sich mehr den Menschen zuwendet." Nach dem Brexit-Votum wird der Bundestag voraussichtlich am Dienstag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Bundespräsident Joachim Gauck sagte: "Viele gute Europäer haben heute traurige Gefühle." Jetzt gehe es darum, an der europäischen Idee festzuhalten.

Seehofer: Es braucht jetzt eine Reform der EU-Politik

Auch in Bayern ist das Entsetzen über das Votum der Briten groß. "Das ist kein guter Tag für Europa", teilte CSU-Chef Horst Seehofer mit. "Ich bedauere die Entscheidung der britischen Bevölkerung für einen EU-Austritt." Er mahnt nun an, zügig und besonnen die Modalitäten über das künftige Verhältnis der EU zu Großbritannien zu klären. "Großbritannien ist ein wichtiger Partner für Deutschland und für uns in Bayern." Und auch die EU müsse nun deutliche Signale setzen für eine Reform ihrer Politik, betonte Seehofer. Die CSU wolle eine bürgernahe Europäische Union, in der die nationale Identität und die Eigenständigkeit der Regionen und Kommunen gewahrt blieben: Einheit in Vielfalt statt Zentralismus und Gleichmacherei. Seehofer: "Wir brauchen eine EU, die sich um die großen Fragen unserer Zeit kümmert und sich nicht in kleinteiligen Fragen verzettelt."

Niebler: Trauriger Tag für die Briten und trauriger Tag für Europa!

"Das Ergebnis des EU-Referendums in Großbritannien ist dramatisch und wird bei der CSU im Europaparlament mit Sorge aufgenommen", sagte Angelika Niebler, Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Es sei sehr bedauerlich, dass sich die Demagogen und Populisten durchgesetzt haben. "Dies ist ein trauriger Tag für die Briten und ein trauriger Tag für Europa!" Niebler betont: "Für Europa heißt es jetzt: Ein Weiter-so kann und darf es nicht geben! Sonst steigt die Gefahr, dass das politische Europa zerbröselt." Die Frage, die man jetzt stellen müsse, sei: Wo brauchen wir mehr und wo brauchen wir weniger Europa?

Ferber: Raus heißt raus! Es darf kein Rosinenpicken geben!

"Cameron hat mit dem Feuer gespielt und sich nicht nur die Finger verbrannt, sondern einen Flächenbrand ausgelöst", sagte der EU-Abgeordnete Markus Ferber. "Fakt ist, raus heißt raus", so Schwabens CSU-Chef. Er fordert, dass es bei den anstehenden Verhandlungen mit Großbritannien über den Austritt aus der Europäischen Union kein "Rosinenpicken" geben dürfe. "Wer raus will, der muss ganz raus und fängt bei Null wieder an."

Rinderspacher: Das Europa-Bashing Seehofers muss aufhören

Auch der SPD-Landtagsfraktionsvorsitzende Markus Rinderspacher zeigt sich bestürzt über den Austritt Großbritanniens aus der EU. Er fordert angesichts dessen ein grundlegendes Umdenken in der Europapolitik der Bayerischen Staatsregierung, der er einen anti-europäischen Kurs vorwirft. Seehofer habe noch vor einem halben Jahr David Cameron bei der CSU-Klausurtagung den roten Teppich ausgerollt. Anstatt Cameron wegen dessen europakritischen "Zündeleien" ins Gewissen zu reden, habe er sich diese Haltung zu eigen gemacht und ihn für die Drohgebärden gegen die EU "über den grünen Klee" gelobt. Rinderspacher: "Der Freistaat Bayern hat ein vitales Interesse, dass Europa nicht auseinanderfällt und die europäische Idee verteidigt wird." Das Europa-Bashing Seehofers müsse deshalb endlich aufhören.

Aiwanger: Keine Drohkulisse und Abstrafaktion Richtung Großbritannien

"Europa muss jetzt die Herzen der Menschen zurückgewinnen, um den europäischen Gedanken zu retten", betonte dagegen Hubert Aiwanger, Vorsitzender der Freien Wähler. Er fordert ein Ende der "Politik von oben". Als Beispiel nennt er die geplanten Freihandelsabkommen: "TTIP und CETA müssen gestoppt werden!" Außerdem müsse die EU den Kommunen mehr Freiraum lassen. Aiwanger rät darüber hinaus zur Gelassenheit: "Jetzt keine Panik, Flächenbrand verhindern, keine Drohkulisse und Abstrafaktion Richtung Großbritannien, sondern Referendum selbstkritisch so hinnehmen und Europa reformieren zu einem Europa der Bürger und Regionen!"

Hallitzky: Kleinstaaterei ist keine Antwort auf die Probleme unserer Welt

Eike Hallitzky, Landesvorsitzender der Grünen in Bayern warnt: "Wir wollten den Brexit nicht, weil Kleinstaaterei und wiederaufflammende Nationalismen keine Antworten sind auf die großen vernetzten Probleme unserer Welt – denken wir nur an den Klimaschutz." Um auch im Freistaat eine immer stärkere Polarisierung der Gesellschaft zu verhindern, fordert er die bayerische Landespolitik auf, weniger "Bavaria first" zu propagieren. "Aufgabe bayerischer Politiker und besonders der Bildungspolitik ist es mehr denn je, Welthaltungen für die offene Gesellschaft und Demokratieerziehung zu vermitteln, damit unsere Bürgerinnen und Bürger stark werden, um nicht dem Sirenenruf einfacher Scheinlösungen zu folgen."

Hasselfeldt: Jetzt kühlen Kopf bewahren!

"Das ist ein schwerer Schlag für Europa und für Großbritannien. Leider hat Emotionalität gegen Rationalität gewonnen", sagte Gerda Hasselfeldt, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. "Oberstes Gebot ist jetzt, einen kühlen Kopf zu bewahren. Ich warne vor Schnellschüssen und Aktionismus." Die Entscheidung in Großbritannien müsse weiterer Antrieb sein, die EU zu verbessern. "Das ist zwingend notwendig. Renationalisierung ist in Anbetracht der Herausforderungen auf unserem Kontinent und in der Welt nicht der richtige Weg."

Michelbach: Das allerletzte wäre jetzt ein Brüsseler Rosenkrieg

Der stellvertretende Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag und Chef der CSU-Mittelstands-Union, Hans Michelbach, fordert, tiefgreifende Reformen in der Europäischen Union. "Das Votum der Briten ist ein Warnsignal." Brüssel habe sich von den Menschen immer weiter entfremdet. Statt weiterer Vertiefung sei eine klare Abgrenzung zwischen nationalen und Brüsseler Zuständigkeiten nötig. Außerdem sollte man in Brüssel jetzt wenigstens so viel Anstand haben, dass die Austrittsverträge in einem konstruktiven Klima verhandelt werden. "Das allerletzte, was Europa jetzt braucht, ist ein Brüsseler Rosenkrieg", so Mittelbach. Denn die EU und Großbritannien bräuchten einander weiterhin.(BSZ/dpa) Mehr zum Brexit:

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