Politik

Das Narrengericht in Stockach zitiert jedes Jahr politische Prominenz vor seine Schranken. Heuer: Alexander Dobrindt. (Foto: dpa)

02.12.2016

Das kostet Autofahrer die Pkw-Maut

Deutschland und die EU-Kommission duellierten sich erbittert um die Pkw-Maut. Nun willigt Verkehrsminister Dobrindt (CSU) in Nachbesserungen ein. Prompt werden Zweifel laut

Die EU-Kommission gibt nach jahrelangem Streit grünes Licht für ein geändertes Modell der deutschen Pkw-Maut. Inländische Autobesitzer mit besonders sauberen Wagen können damit auf stärkere Steuerentlastungen von zusätzlich 100 Millionen Euro pro Jahr hoffen. Das sieht ein Kompromiss vor, den Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc am Donnerstag in Brüssel besiegelten. Geändert werden müssen auch Kurzzeittarife für Fahrer aus dem Ausland. Bulc sagte, mit diesen Zusagen gebe es keine rechtlichen Bedenken wegen Benachteiligung von Ausländern mehr. Dobrindt sagte, gemeinsames Ziel sei ein Wechsel zu einer stärkeren Nutzerfinanzierung der Straßen. Nach unterschiedliche Einschätzungen über den Weg sei man aufeinander zugegangen. Er bekräftigte: «Es wird keine Mehrbelastungen für inländische Autofahrer geben. Und zukünftig wird jeder, der unsere Autobahnen nutzt, auch einen angemessenen Beitrag an der Finanzierung leisten.» Der Koalitionspartner SPD will den Kompromiss für die nun nötigen Änderungen der bereits geltenden Maut-Gesetze zunächst genau prüfen. Von der Opposition kam Kritik. Dobrindt sagte auf Drängen der EU-Kommission zwei Änderungen zu. So sollen inländische Autobesitzer mit besonders sauberen Euro-6-Wagen insgesamt um 100 Millionen Euro jährlich mehr entlastet werden als geplant. Konkret sollen sie eine höhere Steuer-Entlastung bekommen, als sie Maut zahlen müssen. Das soll die zentrale Kritik aus Brüssel entschärfen. Die Kommission sieht es bisher als Benachteiligung von Ausländern an, dass Inländer für ihre Maut auf den Cent genau bei der Kfz-Steuer entlastet werden. Bulc machte deutlich, nun sei erreicht worden, dass Steuersenkung und Maut voneinander entkoppelt seien.

Im Schnitt 74, maximal 130 Euro

Als weiteres Entgegenkommen an die EU-Kommission sollen die Preise der Kurzzeitmaut für Ausländer stärker gespreizt werden - mit fünf statt drei Stufen nach Motorgröße und Schadstoffausstoß. Eine Zehn-Tages-Maut soll je nach Fahrzeugeigenschaften 2,50 Euro, 4 Euro, 8 Euro, 14 Euro oder 20 Euro kosten. Im geltenden Gesetz sind es 5, 10 und 15 Euro. Insgesamt sollen die Änderungen den erwarteten Maut-Ertrag von unter dem Strich 500 Millionen Euro im Jahr für Verkehrsinvestitionen nicht schmälern, sagte Dobrindt. Dazu solle auch beitragen, dass mehr ausländische Pkw nach Deutschland fahren. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den Kompromiss mit der EU-Kommission bei der umstrittenen Pkw-Maut begrüßt. Es sei gut, dass Brüssel zu der Einschätzung gekommen sei, dass die Abgabe mit den geplanten Änderungen europarechtskonform sei, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Freitag in Berlin. Sie hob für die Kanzlerin hervor, dass Minister Dobrindt eine außergerichtliche Einigung erreicht habe. SPD-Fraktionsvize Sören Bartol begrüßte, dass «jetzt wenigstens das ewige Hin und Herr vorerst ein Ende» habe. Der neue Vorschlag sei nun genau zu prüfen. «Unsere Messlatte ist, dass es keine zusätzlichen Belastungen für deutsche Autofahrer geben darf.» Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber sagte: «Es hat von beiden Seiten Bewegung bedurft, aber jetzt liegt eine europarechtskonforme Lösung vor.» Er hoffe, dass dies in Berlin auch schnell umgesetzt werde, sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP). Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im EU-Parlament, Michael Cramer (Grüne), kritisierte die Kommission. Sie habe eine 1:1-Kompensation der Mautausgaben abgelehnt, finde «irrsinnigerweise jedoch nichts dabei, wenn deutsche Fahrer jetzt durch Steuersenkungen sogar überkompensiert werden sollen». Österreichs Verkehrsminister Jörg Leichtfried (SPÖ) sprach von einem «faulen Kompromiss». Er sagte der österreichischen Nachrichtenagentur APA, dass die Diskriminierung von Fahrern aus dem Ausland jetzt «ein bisschen mehr verschleiert», aber immer noch da sei. Ob Wien eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erhebe, sei noch nicht klar. Das neue Papier müsse nun erst genau analysiert werden. Die Kommission hatte Ende September eine Klage angekündigt. Nun will sie das gegen Deutschland laufende Verfahren wegen der Verletzung von EU-Recht auf Eis legen. Wegen des Rechtsstreits hatte Dobrindt die Umsetzung der Maut bis auf weiteres gestoppt. Er rechnet mit einem möglichen Start weiterhin erst nach der Bundestagswahl 2017.

INFO: Worauf müssen sich Autofahrer bei der Pkw-Maut einstellen?

STRASSENNETZ: Inländer sollen für das knapp 13 000 Kilometer lange Autobahnnetz und das 39 000 Kilometer lange Netz der Bundesstraßen Maut zahlen. Pkw-Fahrer aus dem Ausland nur auf den Autobahnen.

MAUTPREISE FÜR INLÄNDER: Alle inländischen Autobesitzer müssen eine Jahresmaut zahlen, die vom Konto abgebucht wird. Sie richtet sich nach Größe und Umweltfreundlichkeit des Autos. Im Schnitt kostet sie 74 Euro, maximal 130 Euro. Benziner sind günstiger als Diesel.

MAUTPREISE FÜR FAHRER AUS DEM AUSLAND: Für Ausländer gibt es neben der genauso berechneten Jahresmaut auch zwei mögliche Kurzzeittarife: Eine Zehn-Tages-Maut für 2,50, 4, 8, 14 oder 20 Euro sowie eine Zwei-Monats-Maut für 7, 11, 18, 30 oder 40 Euro.

AUSGLEICH FÜR INLÄNDER: Inländer sollen für Mautzahlungen durch eine geringere Kfz-Steuer wieder entlastet werden - auf den Cent genau. Bei besonders schadstoffarmen Autos (Euro 6) soll die Steuer nun sogar stärker sinken als es dem zu zahlenden Mautbetrag entspricht.

BESONDERE FAHRZEUGE: Mautpflichtig sind auch Wohnmobile. Motorräder, Elektroautos, Wagen von Behinderten und Krankenwagen sind mautfrei.

KONTROLLEN: Statt an Klebe-Vignetten sollen Mautzahler über das Nummernschild ihres Autos zu erkennen sein. Kontrolliert werden soll dies in Stichproben durch einen elektronischen Kennzeichen-Abgleich. Daten sollen nur hierfür erfasst und schnell wieder gelöscht werden.

STRAFEN: Wer keine Maut zahlt und erwischt wird, muss eine Geldbuße zahlen. Genaue Summen sind noch nicht festgelegt. Geldbußen sollen auch im Ausland eingetrieben werden.

RÜCKZAHLUNGEN: Inländer, die nachweisen wollen und können, dass sie in einem Jahr nicht auf Autobahnen und Bundesstraßen gefahren sind, können die Maut zurückfordern. Nachweis könnte ein Fahrtenbuch sein.

INKRAFTTRETEN: Wann die Regelungen greifen, ist vorerst offen. Zuerst müssen die bereits geltenden Gesetze geändert werden. Sicher ist: Starten kann die Maut erst nach der Bundestagswahl im Herbst 2017. (dpa)

Kommentare (2)

  1. voa zua am 05.12.2016
    Eigentlich bin ich ein Befürworter der Maut.
    Ich will Gleichberechtigung - und das bedeutet, dass der Österreicher, Italiener oder Holländer bei uns genau so zur Kasse gebeten werden wie wir umgekehrt...

    Aber 2,50 € !!!!!!! Was ist denn das bitte - Schwachsinn.

    Da kostet die Brühe definitiv mehr als die Fische.

    Und vor allem - im Falle von nicht gezahlter Maut auch von Ausländern im Ausland die Geldbuße eintreiben *lautes Gelächter* - funktioniert ja jetzt schon nicht bei Geschwindigkeitsverstößen, etc...

    Es bleibt dabei: Über Italien lacht die Sonne, über Deutschland ganz Europa
  2. Guide55 am 04.12.2016
    Die deutschen Grünen sind die wohl einzige politische Vereinigung der Welt, die sich darüber empört, dass die eigene Bevölkerung einen Vorteil erlangt...
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