Politik

Wie viele Geheimnisse verträgt ein demokratischer Staat? „Sie müssen immer eine Ausnahme bleiben“, sagt Professor Wegener. (Foto: Bilderbox)

28.09.2012

"Demokratien brauchen auch Geheimnisse"

Verfassungsrechtler Bernhard Wegener über das Grundrecht der Bürger auf Information und die Abwägung zwischen Transparenz und Verschwiegenheit

Auf Geheimdienste können auch freiheitliche Gesellschaften nicht verzichten, sagt Bernhard Wegener, Professor für Öffentliches Recht an der Uni Erlangen und Direktor des Instituts für Staats- und Verwaltungsrecht. Doch sie brauchen engere Grenzen – das zeigen nicht zuletzt die Skandale bei der Aufarbeitung der NSU-Morde. Der Experte kritisiert auch, dass Bayern als eines der wenigen Länder noch ohne Informationsfreiheitsgesetz ist. Aber er prophezeit: Die CSU wird ihren Widerstand aufgeben müssen. BSZ: Herr Wegener, der NSU-Skandal weitet sich aus. Akten wurden zurückgehalten oder gar geschreddert. Wie viel Geheimniskrämerei verträgt eine Demokratie?
Bernhard Wegener: Auch in einer Demokratie gibt es Bereiche, in denen berechtigterweise Geheimhaltung stattfinden muss. Aber natürlich ist es ein Skandal, wenn Akten im unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeit von Untersuchungsausschüssen vernichtet werden. Vielleicht war das böse Absicht, vielleicht aber auch nur einfach Dilettantismus. Geheim arbeitende Behörden sind meist nicht die am besten arbeitenden Behörden. BSZ: Braucht Deutschland überhaupt noch Geheimdienste?
Wegener: Ja, allerdings in engen Grenzen, die immer wieder kritisch hinterfragt werden müssen. Geheimdienste, Verfassungsschutz und militärischer Abschirmdienst sind ein immer noch überraschend großer Komplex, den ich für überzogen und aufgebläht halte. Natürlich ist für diese Behörden eine gewisse Kultur der Geheimhaltung unvermeidbar. Aber anhand der aktuellen Aufarbeitungsarbeit der NSU-Morde sieht man ja, wie sehr es ihnen noch an einem Gefühl für die Grenzen von Geheimhaltung im demokratischen Staat fehlt. Besonders auch, was ihre Geheimhaltung gegenüber parlamentarischen Untersuchungsausschüssen angeht. BSZ: Wo sehen Sie die Grenzen?
Wegener: Man muss sich immer wieder fragen: Ist diese Geheimdiensttätigkeit tatsächlich erforderlich? Ein Beispiel: Das letzte NPD-Verbotsverfahren ist ja letztlich daran gescheitert, dass das Verfassungsgericht nicht mehr in der Lage war zu beurteilen, was Handeln der Partei war und was des Staates. Man muss doch wirklich bezweifeln, dass es sinnvoll ist, die rechte Szene derart mit V-Leuten zu durchsetzen. Man kann hier den Eindruck bekommen, die rechte Szene lebe von und mit den Geheimdiensten, die sie eigentlich doch überwachen und verfolgen sollten. BSZ: Auch in Bayern gibt es jetzt einen NSU-Ausschuss. Was der Freistaat allerdings nicht hat, ist ein Informationsfreiheitsgesetz, das die Behörden verpflichtet, Bürgern unter bestimmten Voraussetzungen Einblick in amtliche Informationen zu gewähren.
Wegener: Ja, hier hinkt Bayern deutlich hinterher. Der Bund und fast alle Länder haben bereits ein solches Gesetz. Dass es in Bayern noch fehlt, ist auch deshalb besonders schade, weil die Verwaltung ja im Wesentlichen Sache der Länder ist. Das heißt, die überwiegende Zahl der Informationen ist im Besitz der Landesbehörden. Für diese gilt das Gesetz des Bundes aber nicht. BSZ: Bislang ist solch ein Gesetz am Widerstand der CSU gescheitert. Ein Argument: Betriebsgeheimnisse müssten geschützt werden.
Wegener: Seit 20 Jahren hört man dieses Argument, aber wirklich überzeugend war es noch nie. Jedes Informationsfreiheitsgesetz in Deutschland hat Ausnahmeklauseln, mit denen die Rechte Dritter geschützt werden. Das ist Standard. Eine Rolle aber spielt, dass in Bayern die Verwaltung nicht nur sehr gut arbeitet, sondern auch sehr stark ist und sich deshalb bislang erfolgreich gegen ein solches Gesetz wehren konnte. Aber ich bin überzeugt: Auf Dauer wird dieser Sonderzustand keinen Bestand haben. BSZ: Auch immer wieder gerne ins Feld geführt: der bürokratische Aufwand. Besteht die Gefahr, dass die gesamte Verwaltung lahmgelegt würde?
Wegener: Auch das ist ein altes Argument. Jedes Mal war der Aufwand viel geringer, als zuvor vermutet worden war. Es ist eine kuriose Vorstellung vom Bürger als Querulanten, der nichts anderes zu tun hat, als mit pausenlos gestellten Anträgen die Behörden lahmzulegen. Das kommt faktisch kaum vor. Und wenn doch, gibt es Mechanismen gegen einzelne Querulanten, beispielsweise die Erhebung von Gebühren. Auch eine eigene offensive Informationspolitik verringert die Anzahl von Informationsanträgen. BSZ: Innenminister Herrmann hält dagegen, in Bayern hätten die Bürger bereits ohne ein solches Gesetz weitreichende Informationsrechte.
Wegener: Der Bürger hat einen Anspruch darauf, selbst zu entscheiden, welche Informationen ihn interessieren. Ich persönlich gehe sogar noch weiter, indem ich sage, es ist ein durch das Grundgesetz verfassungsrechtlich verbürgtes Recht. Individuelle Informationsansprüche nicht anzuerkennen, ist ein obrigkeitsstaatliches Denken – wie es längst der Vergangenheit angehören sollte. Denn letztlich heißt das ja: Wir entscheiden, was den Bürger zu interessieren hat. BSZ: Was macht Sie so optimistisch, dass auch Bayern bald ein Informationsfreiheitsgesetz bekommen könnte?
Wegener: Ich glaube, dass sich für die CSU ihr Umgang mit der Informationsfreiheit rächen wird. Bislang glaubte sie als mehrheitsverwöhnte Partei, auf solche Erwartungen der Öffentlichkeit weniger Rücksicht nehmen zu müssen. Letztlich entscheidet sich das aber über Wahlen. Nicht ohne Grund hat die CSU ihre absolute Mehrheit verloren. BSZ: Die Piraten fordern eine totale Transparenz. Ist das sinnvoll?
Wegener: Das ist vor allem naiv. Es gibt keine Gesellschaft, die eine totale Transparenz staatlichen Handelns kennt. Selbst die Schweden nicht, die für ihre Transparenz berühmt sind. Allerdings bringt diese Forderung zum Ausdruck, dass man nach möglichst umfassender Transparenz strebt. Und wir sollten sie tatsächlich immer da einfordern, wo sie erträglich ist. BSZ: Welche Geheimnisse braucht eine Demokratie?
Wegener: Zum einen ist es gerade ein Kennzeichen von demokratischen und freiheitlichen Gesellschaften, dass private Geheimnisse respektiert werden. Totalitäre Staaten versuchen immer die Geheimnisse des Privaten zu durchbrechen. Aber natürlich gibt es auch einen Bedarf an staatlichen Geheimhaltungen – einen Restbedarf möchte ich das nennen. Diplomatie und Sicherheitspolitik kommen ohne sie nicht aus. Denken Sie zum Beispiel an die Strafverfolgung. Es wäre doch wenig sinnvoll, einen flüchtigen Verbrecher von seiner bevorstehenden Verhaftung in Kenntnis zu setzen. Allerdings muss in einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft die Geheimhaltung immer eine Ausnahme bleiben, die begründet werden muss. (Interview: Angelika Kahl)

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