Politik

Der 88-jährige Flossenbürg-Überlebende Eugenij Burmantow im Hofbräukeller in München (Foto: Sendtner)

27.07.2012

Der alte Mann im Biergarten

Begegnungen von Flossenbürg-Überlebenden mit der Politik

1979 fand der erste bayerische Ministerpräsident den Weg nach Flossenbürg: Franz Josef Strauß. Dass dort das zweite bayerische Konzentrationslager (neben Dachau) war, ist heute noch vielfach unbekannt. Strauß hatte nicht die geringste Lust, dorthin zu fahren. Es war Sandro Pertini, der Strauß dazu nötigte: Der damalige italienische Präsident war auf Staatsbesuch in Deutschland und bat Strauß, ihn nach Flossenbürg zu begleiten. Pertinis Bruder war dort – wie 30 000 andere – ermordet worden.
Viktor Juschtschenko hatte es da nicht ganz so einfach. Der ukrainische Staatspräsident musste Ministerpräsident Stoiber jahrelang anbetteln, bevor sich dieser 2007 herbeiließ, gemeinsam mit ihm Flossenbürg aufzusuchen. Juschtschenkos Vater war dorthin verschleppt worden.
Insofern ist es schon fast historisch zu nennen, dass Horst Seehofer jetzt, kaum dass er vier Jahre bayerischer Ministerpräsident ist, die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg mit seiner Anwesenheit beehrte – ohne dass er dazu gezwungen hätte werden müssen. Vor den letzten Überlebenden hielt Seehofer eine staatsmännische Rede, versicherte: „Das ist ein sehr ergreifender Moment für mich“, und sprach Jack Terry, dem Sprecher der Überlebenden, seine „größte Hochachtung“ und seinen „tief empfundenen Dank“ aus.
Und Seehofer lässt sich tatsächlich dazu hinreißen, abweichend vom Redemanuskript zwei Sätze zur Mordserie des NSU zu verlieren: „Ich kann mich nur dafür entschuldigen, dass die Behörden nicht in der Lage waren, diese Verbrechen zu verhindern.“ Es sind genau jene Worte, die ihm beim Politischen Aschermittwoch im Februar partout nicht einfallen wollten. Damals hatte tags darauf die offizielle Trauerfeier der Bundesregierung für die Mordopfer stattgefunden, und Seehofer als Bundesratspräsident war nach dem Rücktritt von Wulff kommissarisch der erste Mann im Staat. Und natürlich vergaß er nicht, das vor seinen 4000 Anhängern zu erwähnen. Wer indes auch nur eine Silbe zum jahrelang unentdeckt gebliebenen Neonaziterror erwartet hatte, wurde enttäuscht. Jetzt endlich, in Flossenbürg, holte Seehofer das nach.
Zwei Tage später ist eine kleine Gruppe von Flossenbürg-Überlebenden auf Einladung des Landtags in München, nimmt im Plenarsaal Platz, absolviert eine Führung durchs Maximilianeum. Halb interessiert, halb belustigt lassen sich die alten Leute erklären, dass all die Gemälde „der Staats- und der Kriegskunst gewidmet“ sind. Ein alter Israeli, den die Ölschinken an der Wand eher kaltlassen, erzählt, dass er am 23. April 1945 bei Stamsried auf dem Todesmarsch von den Amis befreit wurde.
Anschließend geht es in den Hofbräukeller. Ein wunderschöner Biergartentag. Und Eugenij Burmantow erzählt in wenigen Worten seine Leidensgeschichte: mit 16 aus Weißrussland nach Deutschland deportiert, dort geflohen, zwölf Tage lang nachts Richtung tschechische Grenze gelaufen, am Tag sich versteckt, dann bei Regensburg von der Gestapo verhaftet, ins KZ Flossenbürg verschleppt, von dort weiter ins KZ Sachsenhausen, drei Jahre in deutschen Konzentrationslagern überlebt.
Und jetzt sitzt er hier im Biergarten, mit seinen 88 Jahren und seinen gletscherblauen Augen, die Hitlerdeutschland trotz aller Anstrengungen nicht auszulöschen vermochte. (Florian Sendtner)

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