Politik

Gleich zwei Abiturtermine wird es 2011 geben. (Foto ddp)

03.09.2010

Der Ansturm rückt näher

Kultus- und Wissenschaftsminister bereitet der doppelte Abiturjahrgang keine Sorgen

In knapp zwei Wochen beginnt das neue Schuljahr mit einer historisch einmaligen Herausforderung: Der doppelte Abiturjahrgang tritt an. Ein Ansturm auf Hochschulen und Ausbildungsplätze ist gewiss. Während Schüler und Eltern verunsichert sind, freut sich die Wirtschaft: Sie sieht eine Chance, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Im Schuljahr 2010/2011 werden sich 32 800 Schüler des achtjährigen, und 36 400 Schüler des neunjährigen Gymnasiums auf das Abitur vorbereiten. Das sind doppelt so viele wie sonst pro Jahr. Um dies zu stemmen, haben Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) und Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) eine Reihe von Maßnahmen angeordnet. Tenor der beiden Koalitionäre: „Wir sind gut auf den doppelten Abiturjahrgang vorbereitet.“ Abgesehen von Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw), sehen das Opposition, Eltern und Schüler überwiegend anders.


„Heubisch ist bislang vor Fahrenschon eingeknickt“


Zu den Angeboten, die dem besonderen Jahrgang den Übergang von der Schule zum Studium ebnen sollen, zählt, dass es erstmals Wiederholungsprüfungen geben wird: G9-Abiturienten, die das Abitur im ersten Anlauf nicht schaffen, können nach sechs Monaten erneut antreten. Schließlich ist es fortan nicht mehr möglich die 13. Klasse zu wiederholen.
Außerdem: „Beide Schülergruppen bearbeiten Abituraufgaben, die der Dauer ihres jeweiligen Ausbildungsgangs angemessen sind“, sagt Spaenle. Will heißen: Weil die G9-Absolventen zwei Monate früher als sonst üblich ihre Hochschulreife ablegen werden, wurde für sie der prüfungsrelevante Stoff gekürzt. Ob deshalb den letzten G9-lern dereinst vorgeworfen werden wird, ein Schmalspur-Abi in der Tasche zu haben, bleibt abzuwarten.
Wie viele des doppelten Abiturjahrgangs tatsächlich zum Sommersemester 2011 – nur ein paar Wochen nach den Abi-Prüfungen – ein Studium beginnen werden, ist fraglich. Das Wissenschaftsministerium stellt sich jedenfalls für das gesamte Jahr 2011 auf 76 000 Erstsemester ein, 2012 rechnet man mit 72 000 . Das sind 16 000 respektive 12 000 mehr als aktuell. „Bis zum Jahr 2011 werden wir 38 000 zusätzliche Studienplätze schaffen“, erklärt Heubisch. Von den 3000 zusätzlichen Personalstellen – Professoren, akademischer Mittelbau und Verwaltungspersonal – seien bislang 1600 besetzt.
Auch für diejenigen Absolventen des doppelten Abiturjahrgangs, die nicht sofort studieren möchten, wurde einiges vorbereitet: Rund 100 Propädeutika, Sprachkurse und studienvorbereitende Seminare gibt es laut Heubisch bereits.
Es lässt sich nicht sagen, ob es ihn und Spaenle wurmt, dass sie die Folgen des vom ehemaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) per Hauruck-Verfahren eingeführten achtjährigen Gymnasiums tragen müssen. „Es ist müßig zu überlegen, ob die Einführung früher oder später besser gewesen wäre“, sagt Heubisch, während Kabinettskollege Spaenle keine Miene verzieht. Momentan habe man Vorteile gegenüber anderen Bundesländern, die später dran sind: Im Jahr 2011 wird es in Niedersachsen einen doppelten Abiturjahrgang geben, 2012 und 2013 ziehen Baden-Württemberg und Hessen nach. Bis dahin habe Bayern die Chance, fehlende Lehrkräfte auf dem akademischen Arbeitsmarkt zu rekrutieren.
Allerdings scheint diese Suche recht schwierig zu sein: Es wird damit gerechnet, dass für die Hochschullehre auf Gymnasiallehrer zurückgegriffen werden muss. Vor allen Dingen für die naturwissenschaftlichen Fächer wird Azsschau nach Professoren und Dozenten gehalten.
Dabei möchte längst nicht jeder Abiturient studieren. Etliche werden sich im kommenden Jahr für eine Lehre entscheiden. Das freut die bayerische Wirtschaft, namentlich Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw). Er sieht im doppelten Abiturjahrgang eine Möglichkeit, die große Lücke in Sachen Fachkräftemangel zu schließen.
Laut Brossardt nehmen pro Jahr durchschnittlich 10 Prozent eines Abiturjahrgangs eine Ausbildung auf. „Geht man von dieser Quote aus, ist 2011 mit 3500 zusätzlichen Bewerbern aus den Gymnasien zu rechnen“, sagt er. Denkbar sei auch, dass wegen des Andrangs auf die 32 Hochschulen des Freistaats mehr Jugendliche als sonst eine Ausbildung antreten wollen. Dann sei sogar mit einer Quote von 20 Prozent zu rechnen, frohlockt er.
Wünschenswert sei, dass sich einige beispielsweise zum Mechatroniker oder Schreiner ausbilden lassen, um später etwa Maschinenbau respektive Design zu studieren. Einen Verdrängungswettbewerb der Real- und Hauptschüler durch Gymnasiasten befürchtet Brossardt indes nicht.
Das sieht Markus Reichhart, handwerkspolitischer Sprecher der Freien Wähler genauso. „Auch ein Gymnasiast muss sich am Schraubstock erstmal bewähren“, sagt der Augenoptikermeister aus Ingolstadt. Ihn beunruhigen nicht nur die Zahlen auf dem Ausbildungsmarkt: Jeder vierte Metall- und Elektrobetrieb in Bayern kann nicht alle Lehrstellen besetzen; gleichzeitig schaffen 10 Prozent der Hauptschüler ihren Abschluss nicht. Auch die Gründe für den Ausbildungsmangel findet Reichhart alarmierend: So seien potenzielle Azubis häufig nicht bereit, für ihre Ausbildung einen Umzug in Kauf zu nehmen. Anderen Bewerbern mangele es an mathematischen, sprachlichen und sozialen Kompetenzen: „Ich erwarte von einem Auszubildenden, dass er mir zur Begrüßung die Hand reicht und in die Augen schaut – aber das ist nicht immer der Fall“, hat der Selbstständige festgestellt. Hemmung des Wachstums, Wegfall von Steuern, teurere Endprodukte: Das sieht der Abgeordnete als mögliche Konsequenzen des Fachkräftemangels.
Ob der doppelte Abiturjahrgang dem einen Riegel vorschieben kann, bezweifelt Isabell Zacharias, hochschulpolitische Sprecherin der SPD. Spaenles und Heubischs Pläne bezeichnet sie als „blauäugig“. Denn: „Weder die Anzahl der Studienplätze noch die Hochschul- und Personalausstattung und schon gar nicht die soziale Infrastruktur sind auf den Ansturm der Studierenden im kommenden Jahr ausgerichtet“, sagt sie. Bislang sei Wissenschaftsminister Heubisch stets vor Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) eingeknickt. Damit spielt sie auf Heubischs Forderung an, „bei Finanzierbarkeit“ abgesehen von den 38 000 für 2011 geplanten Studienplätzen weitere 10 000 zu schaffen.
An diesem Quasi-Versprechen wollen die Grünen Heubisch ebenso messen wie an einer seiner weiteren Aussagen: „Kein Studienbewerber muss vor der Tür bleiben.“ Fraktionschefin Margarete Bause gibt zu bedenken: „Schon die letzte Prognose der Kultusministerkonferenz gehe für Bayern von höheren Studienanfängerzahlen aus, als sie der bayerischen Ausbauplanung zugrunde gelegt worden seien.(Alexandra Kournioti)

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