Politik

Damit ein Heimatfilm funktioniert, reicht die Kulisse nicht. (Foto: DAPD)

25.01.2013

Der Heimatfilm darf romantisieren

38. CSU-Filmgespräch mit Marcus H. Rosenmüller, Bettina Mittendorfer und Max Wiedemann

So viele Besucher haben sich ehedem nicht einmal Pretty Woman angeschaut: 37 000 Besucher kamen ins Straubinger Kino, um über Eine ganz heiße Nummer zu lachen. Jenen Film über drei Frauen, die in ihrem Dorf im Bayerischen Wald eine Sexhotline wider die wirtschaftliche Flaute gründen. „An einem Abend sind Busse vorgefahren, die Trachtenvereine zur Vorstellung gebracht haben“, erzählte Thomas Negele, Betreiber besagten Straubinger Kinos und Präsident des Hauptverbands Deutscher Filmtheater (HDF) im Rahmen des 38. CSU-Filmgesprächs. In diesem Jahr war das Thema kein technisches oder wirtschaftliches, sondern ein fast schon filmtheoretisches: „Der neue Heimatfilm – hat David eine Chance gegen Goliath?“
Wenn es nach Negele geht, ist dies zu bejahen. Er wagte eine Gattungsdefinition: „Der neue Heimatfilm ist Ausdruck von Brauchtum und Identität.“ Aus dieser Mischung entstehe reichlich Raum für Identifikation und bestenfalls Magie. Überdies freue er sich als Kinobetreiber über Zelluloidstreifen made in Bavaria, weil er mit Besorgnis „die Verflachung durch amerikanische Produktionen“ beobachte. Außerdem kämen wegen dieses Genres Menschen zu ihm, „die sonst nicht ins Kino gehen“.
Adrian Prechtel, Kinokritiker der Münchner Abendzeitung, hat dagegen seine Probleme mit dem neuen Heimatfilm: „Ein Film braucht mehr als eine Kulisse, er braucht ein Milieu, und das gibt es in Bayern nicht mehr“, sagte er. Als Beispiel führte der Journalist die TV-Reihe Münchner Geschichten aus den 1970er Jahren an. Darin hätten die Regisseure Helmut Dietl und Herbert Vesely das kleinbürgerliche Milieu im Münchner Stadtteil Lehel porträtiert. „Heute ist das der Teil, in dem die Gentrifizierung vollzogen ist. Milieu gibt es nicht mehr“, konstatierte er. Stattdessen sei der neue Heimatfilm nostalgisch und handle von einer heimatverbundenen Gesellschaft, die es so nicht mehr gebe. „Er überzeichnet und lügt, um zu gefallen“, monierte der Kritiker.
Als sehr deutsche Sichtweise bezeichnete dagegen Produzent Max Wiedemann (Das Leben der anderen, Männerherzen) das, was Prechtel am neuen Heimatfilm auszusetzen hat. Hierzulande werde an Kinoproduktionen der Anspruch erhoben, authentisch zu sein. Das sei im Ausland weniger der Fall. Seiner Meinung nach dürfe ein Film Fiktion sein und als solche romantisieren. Wiedemann: „Überhöhen ist gestattet, um eine emotionale Botschaft zu transportieren oder um Werte zu betonen, die abhanden kommen.“
Dass es Letztere durchaus gebe und im ländlichen Bereich im besten Sinne bewahrt würden, vertrat Hubert Wildgruber, Bürgermeister von Oberaudorf im Landkreis Rosenheim. In der Gemeinde, die zuweilen als Kulisse für Filmproduktionen mit Lokalkolorit dient, herrscht laut ihrem Stadtoberhaupt folgende Haltung zwischen Tradition und Moderne vor: „Viele unserer Jugendlichen sind im Heimat- oder im Trachtenverein – und gleichzeitig in der Weltgeschichte unterwegs. Zu Recht wollen sie nicht als hinterwäldlerisch gelten.“
Ein solches Bild moderner Menschen, die sich ihrer Wurzeln bewusst sind, vermittelt Marcus H. Rosenmüller in seinen Kinofilmen. Darauf, als Repräsentant des neuen Heimatfilms schlechthin begriffen zu werden, habe er es allerdings nie angelegt: „Heimat und Rauten waren für mich kein Thema“, sagte der Absolvent der Münchner Filmhochschule. In Wer früher stirbt, ist länger tot stehe nicht der bayerische Schauplatz im Vordergrund. Das zentrale Thema seien der Tod und der Umgang mit ihm.
Für ihn, Rosenmüller, sei stets die intelligente Geschichte der Ausgangspunkt. „Und dass ich bei ihr Dialekt benutzen darf“, sagte er. Das bayerische Idiom auf der Leinwand sprechen zu dürfen, ist das, was Schauspielerin Bettina Mittendorfer an den neuen Heimatfilmen schätzt. Das hat sie in den letzten Jahren wiederholt, beispielsweise bei Eine ganz heiße Nummer getan. „Endlich kann ich zeigen, dass es mich gibt“, sagte die Mimin, die erzählte, wie sie viele Jahre von Machern hochdeutscher Produktionen ignoriert wurde.
Ein Zuhörer machte eine interessante Anmerkung: Im angelsächsischen Raum gehe man mit der Frage, ob ein Dialekt auch außerhalb der Region vom Publikum verstanden werde, lockerer um als in Deutschland: „Als Beispiel nenne ich nur die schottische Produktion Trainspotting oder die Filme von Guy Ritchie“, sagte er.
Eines wird es in Bayern wohl nicht geben: eine staatlich verordnete Quote für bayerische Filme in den Kinos. Rosenmüller hätte sie gerne und verwies auf das Beispiel Frankreichs. Medienminister Thomas Kreuzer (CSU) gab sich diesbezüglich „skeptisch“. „Im Sinne der Freiheit für Kunstschaffende wollen wir eher deregulieren als regulieren“, sagte er.
Egal, ob durch neue Heimatfilme oder andere Genres – in einem waren sich Gerhard Stockinger, Vorsitzender der CSU-Filmkommission, und sein Vize Klaus Schaefer einig: In den nächsten Jahren muss der Besucheranteil bei deutschsprachigen Produktionen wieder steigen. Im vergangenen Jahr lag er bei nur 15,4 Prozent deutschlandweit. (Alexandra Kournioti)

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