Politik

Anhänger des Diktators vor der libyschenBotschaft. Foto: DPA

04.03.2011

Des Diktators goldene Uhr

In Bayern gibt es nicht nur Gaddafi-Kritiker – Der Deutsch-Libysche Arbeitskreis verehrt den Staatschef nach wie vor

In dem Apartment von Gert Gartz in Oberhaching hängt in einem kleinen Holzrahmen ein Bild von Muammar al-Gaddafi. Von einem seiner libyschen Gäste erhielt Gartz eine goldene Uhr, die den Langzeitpräsidenten des Wüstenstaats auf dem Ziffernblatt zeigt. „Die Uhr habe ich immer mit Stolz getragen“, erzählt er.
1999 gründete Gert Gartz den Deutsch-Libyschen Arbeitskreis in München. Seitdem will er Brücken bauen zwischen Deutschland und Libyen. Heute ist der Rentner erschüttert. Denn von dem Regime in Libyen ist er überzeugt: „Ich bin ein Verehrer von Muammar al-Gaddafi. Er hat gegen die Apartheit gewettert, Bayern wirtschaftlich unterstützt und Libyen zu einem stabilen Staat gemacht“, sagt Gartz. Dass der Diktator nun auf sein eigenes Volk schießen lässt, will er nicht wahrhaben.
Doch Gartz suchte in den vergangenen Tagen auch den Dialog mit libyschen Regimegegnern. „In Bayern ist das kaum möglich, denn der Protest gegen Gaddafi hält sich hier in Grenzen“, sagt Gartz. Deshalb reiste er nach Berlin, das Zentrum des deutschen Aufstandes gegen Gaddafi. Seine goldene Uhr hat Gartz zuhause in der Schmuckschatulle gelassen.
In Berlin traf Gartz auf Mustafa Altorki. Er ist deutscher Staatsbürger und liebt seine neue Heimat. Trotzdem hätte er in den letzten Jahren gerne seine Familie besucht, die im Nordosten Libyens in der Hafenstadt Bengasi lebt. Doch wäre Altorki nach Libyen zurückgekehrt, wäre das sein Todesurteil gewesen.


Flucht aus der Feuerhölle


Nach der Schule zog Altorki aus Libyen zum Studium nach Griechenland und tat sich dort mit Gaddafi-kritischen Studenten zusammen. Seine Kommilitonen seien nach dem Studium zurück nach Libyen gegangen. „Zwölf von ihnen haben Gaddafis Truppen erhängt. Ich habe die Hinrichtung meiner Freunde im libyschen Staatsfernsehen gesehen. Es war furchtbar“, sagt er
Altorki demonstriert in diesen Tagen in Berlin. Es ist nicht nur der Tod seiner Freunde, der ihn verärgert: „Das Land hat Erdöl und könnte reich sein. Aber die Krankenhäuser, die Straßen und Gebäude sind heute noch immer auf dem gleichen Stand wie vor 20 Jahren, als ich Libyen verlassen habe. Gaddafi wirtschaftet nur in seine eigene Tasche“, klagt er.
In besonderen Kontakt steht Altorki seit Wochen mit seiner Familie in Libyen: Sie lebt im Osten des Landes. Den haben die Rebellen zwar unter ihre Kontrolle gebracht. „Aber alle dort haben Angst, dass Gaddafi mit Raketen von Tripolis auf die Städte im Osten schießt.“ Für Altorki sind die Proteste erst überstanden, wenn Gaddafi gestürzt ist.
Bruno Baumann kennt solche Ängste. Der Münchner war bis vor zehn Tagen selbst in Libyen und leitete dort ein Seminar für deutsche Manager. In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar hörte er in Tripolis erste Schüsse. Am nächsten Tag wurde er Zeuge einer Demonstration von Regierungsanhängern. „Mehr als 200 von Gaddafi bezahlte Menschen haben sich vor den Kameras in Szene gesetzt. Sie sollten suggerieren, dass Tausende für ihn auf die Straße gehen“, sagt Baumann. Die Kundgebung sei eine von Gaddafis ersten Antworten auf Protest gewesen.
Baumann weiß genau, worum es der Bevölkerung des nordafrikanischen Wüstenstaats geht: „Die Libyer sind dagegen, dass Gaddafi das Land wie ein Unternehmen führt und Menschen besticht. Die Libyer wollten eine Veränderung, aber nicht sofort“, sagt er. Nach dem Empfinden der Libyer seien die Aufstände anfangs von Gastarbeitern ausgegangen.
Doch die Stimmung im Volk kippte: „Als die Libyer die Rede von Gaddafis Sohn hörten und erfuhren, dass Söldner aus dem Ausland Libyer töteten, verbreitete sich der Widerstand“, sagt er. Der Nordafrikaexperte erzählt von Menschenschlangen an Supermärkten und Tankstellen: „Viele wollten raus, aber niemand wusste, was wirklich los war, weil weder Handy, Telefon noch Internet funktionierten.“ Mit seinem Satellitentelefon, das unabhängig vom Handynetz arbeitet, konnte Baumann telefonieren.


Schüsse auf Diplomaten?


Schließlich erreichte er mit seiner Reisegruppe den Flughafen in Tripolis. Bei der Flucht traf er auf Menschen, die in der Hauptstadt mitten in den Konflikt gerieten: „Ein österreichischer Botschaftsmitarbeiter erzählte, dass Söldner des Gaddafi-Regimes auf ihn und seine Kollegen geschossen hatten“, sagt Baumann.
Auch die Szenen am Flughafen wird der Reiseführer nicht vergessen: „Wir durften nach Deutschland, aber vielen Ausländern wurde die Ausreise verwehrt.“ Auch sei die Angst groß gewesen, dass die Infrastruktur auf dem Flughafen zusammenbricht und die Flüge gestrichen werden.
Baumann und seine Gruppe hatten Glück: Noch am 22. Februar wurden sie von einer Lufthansa-Maschine nach Frankfurt ausgeflogen.Der Abenteurer ist froh, nun wieder sicher in Deutschland zu sein und wünscht sich, dass auch in Libyen bald Sicherheit einkehrt.
Der Berliner Mustafa Altorki träumt schon von Freiheit in seiner Heimat: „Ich würde gerne eine zweite, libysche Staatsbürgerschaft annehmen. Unser Land könnte wirtschaftlich erfolgreich werden. Das Blut des Aufstandes wird nicht umsonst geflossen sein.“ Und fügt eine Redewendung aus dem Koran hinzu, die man im Nahen Osten immer wieder hört: „In scha’ Allah“ – So Gott will.
Gert Gartz ist auch nach seinem Gespräch mit Mustafa Altorki skeptisch: „Ich stehe mit vollem Herzen hinter Gaddafi, bis bewiesen ist, dass dieser Mann für die Gräueltaten im Land verantwortlich ist.“ Damit sei er zumindest besser als die meisten Politiker, die gestern noch ein Freund von Gaddafi waren und dem Oberhaupt heute den Rücken zukehren. (Felix Scheidl)

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