Das sind mal ungewöhnliche Fronten: Die Münchner Grünen und die Regierung von Oberbayern auf der einen Seite, die schwarz-rote Mehrheit im Münchner Rathaus auf der anderen. Grund für den Zoff: das Projekt „autofreie Altstadt“. Die Vollversammlung des Münchner Stadtrats hat dem Ansinnen am Mittwoch mit den Stimmen von CSU und SPD eine deutliche Absage erteilt.
Dennoch könnte in wenigen Jahren das Gebiet innerhalb des Altstadtrings für Privatautos gesperrt sein. Denn das letzte Wort hat in diesem Fall der Freistaat. Aktuell ist die 6. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für die Landeshauptstadt in Arbeit. Und die CSU-Regierung bleibt hart: Die autofreie Altstadt soll darin als Maßnahme enthalten sein. Die EU schreibt solche Pläne für alle Gebiete vor, in denen Immissionsgrenzwerte von Luftschadstoffen überschritten werden. Konkrete Maßnahmen erstellen Regierungen und Kommunen dann gemeinsam.
Vor allem bei den Stickstoffdioxiden – das sind starke Reizgase, die auf Atemwege und Schleimhäute gehen und zu 70 Prozent vom Verkehr verursacht werden – überschreitet München noch immer alle Grenzwerte. Der Handlungsdruck ist groß. Denn seit einem Urteil des Verwaltungsgerichts München drohen dem Freistaat zudem Zwangsgelder, setzt er die Schadstoffreduzierung nicht durch.
Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr, Ausbau der Fahrradmobilität und Förderung von Elektromobilität – das sind die Maßnahmen, die der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) favorisiert. Projekte, die Florian Roth, Vorsitzender der Stadtrats-Grünen nicht weit genug gehen: Das alles sei zu langfristig und zu unkonkret gedacht. Der Kfz-Verkehr muss aus der Altstadt verbannt werden, ist auch seine Forderung. Anwohner- und Lieferfahrten wären ausgenommen. Auch Menschen mit Behinderungen müssten nicht auf das eigene Fahrzeug verzichten, ebenso wenig Hotelgäste. „Ein Etikettenschwindel“ sei die Bezeichnung „autofrei“ also ohnehin, meint Alexander Reissl, Fraktionsvorsitzender der Stadtrats-SPD.
Am Ende zu Tode beruhigt?
Immerhin: Die SPD will nun mit einer offiziellen Anfrage klären, ob ein Fahrverbot in der Altstadt überhaupt einen Effekt hätte. Denn die höchsten Stickstoffdioxid-Werte werden an der Landshuter Allee gemessen: 81 Mikrogramm pro Kubikmeter. Am Stachus sind es 65. Erlaubt sind 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. OB Reiter zur BSZ: „Bevor weitere Schritte überlegt werden, sollten die Fakten auf dem Tisch liegen.“
„Es ist doch klar, dass so das Problem der Luftverschmutzung nicht gelöst wird“, poltert Bernd Ohlmann, Geschäftsführer des Handelsverbands Bayern. „Sollte die Altstadt autofrei werden, können wir gleich die Planierraupen bestellen. Man kann eine Innenstadt auch zu Tode beruhigen.“ Für ihn steht fest: Geschäfte und Dienstleister in der Innenstadt würden deutliche Einbußen verzeichnen. „Das ist Unsinn“, kontert der Grüne Roth. „Die Innenstadt wird lebenswerter. Touristen und Einheimische werden ohne Verkehr und zugeparkte Wege auch in den Nebenstraßen flanieren – und davon profitieren auch kleinere Händler jenseits der großen Ketten.“ Andreas Schuster von der Umweltorganisation Green City ergänzt: „Als in den 1970er-Jahren die Fußgängerzone in München diskutiert wurde, haben Einzelhändler ähnliche Szenarien heraufbeschworen. Eingetreten sind sie nicht.“
Eine Prognose, ob mit einer autofreien Altstadt die Schadstoffgrenzen tatsächlich eingehalten werden könnten, wagen allerdings selbst die Befürworter der Idee nicht. Die Regierung von Oberbayern und das Umweltministerium, die noch auf „eine einvernehmliche Lösung aller Beteiligten“ hoffen, geben dazu sicherheitshalber gar keine Auskunft. Das bayerische Landesamt für Umwelt bleibt gekonnt vage: „Für München ist das aktuell eine rein theoretische Frage“, sagt eine Sprecherin. Und: „Die Reduzierung des Verkehrsaufkommens kann grundsätzlich eine geeignete Maßnahme sein.“
In Nürnberg wurde Anfang der 1990er-Jahre die Altstadt zumindest für den Durchgangsverkehr gesperrt – ein rot-grünes Projekt. Über ein Schleifensystem erreicht man bestimmte Orte in der Altstadt, über dieselbe Schleife führt der Weg wieder hinaus. Der Rathausplatz ist komplett gesperrt. Heute fahren im Tagesschnitt ein Viertel weniger Autos in die Altstadt – trotz gestiegener Zahl an Fahrzeughaltern. „Die Schadstoffbelastung hat sich sogar halbiert“, so Peter Pluschke, Umweltreferent der Stadt. Das habe zwar auch mit der Einführung des Katalysators zu tun, aber die Luftverbesserung lasse sich vor allem auf die neue Verkehrsführung zurückführen, bescheinigt eine EU-Studie.
Allerdings: Nürnberg reißt ebenfalls die Stickstoffdioxid-Grenzwerte. Autos aus der Altstadt komplett verbannen will man dort aber nicht. Auch in anderen Städten ist die autofreie Innenstadt kein Thema. „Das kommt vielleicht noch“, meint Michael Rill, Fraktionsgeschäftsführer der Grünen im Augsburger Stadtrat. „Aber so weit sind wir längst nicht, bei uns ist die Umweltzone noch nicht einmal auf Stufe 3 verschärft.“
Ein Trend: Ausweitung der Fußgängerzonen
Ein Trend aber lässt sich fast allerorten beobachten: die Ausweitung der Fußgängerzonen. Seit Dezember 2013 ist der Augsburger Königsplatz autofrei. In Würzburg kommen 8000 Quadratmeter Fußgängerzone bis Ende 2017 hinzu. An der Eichhornstraße wird bereits gebaut. Auch in München sind neue Abschnitte in Planung: der komplette Marienplatz und die Sendlingerstraße. Eine Ausweitung der Fußgängerzone über den Stachus bis zum Haupteingang des Hauptbahnhofes ist im Gespräch.
In Regensburg steht demnächst ebenfalls die Fortschreibung des Luftreinhalteplans an. „Aber über den Streit in München wundere ich mich sehr“, meint Margit Kunc, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Regensburger Stadtrat. „Bei uns ist es genau umgekehrt – es ist die Regierung der Oberpfalz, die uns immer wieder Vorhaben verhagelt. Deshalb haben wir noch nicht einmal eine Umweltzone. Obwohl die Plaketten bereits gedruckt waren.“ (Angelika Kahl)
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