Politik

Dass Firmen ihren Mitarbeitern eine steuer- und abgabenfreie Prämie für die Kinderbetreuung zahlen können, wissen viele Unternehmen gar nicht. (Foto: DAPD)

06.07.2012

Die Anti-Herd-Prämie

Seit 2006 können Unternehmen Mitarbeitern, die ihre Kinder extern betreuen lassen, einen steuerfreien Zuschuss zahlen

Wenn ein Siemens-Angestellter ein Kind bekommt, freut er sich nicht allein über den Nachwuchs. Sondern auch über eine Gehaltserhöhung. Voraussetzung: Sie oder er arbeitet weiter und lässt das Kind in einer Krippe, bei einer Tagesmutter oder im Kindergarten betreuen. Dann erhält der Angestellte bis zur Einschulung seines Kindes 100 Euro im Monat mehr. Das Münchner DAX-Unternehmen hat das Prämiensystem zum Januar 2011 eingeführt. Anfang dieses Jahres legte Siemens noch eins drauf: Wenn Mütter oder Väter in den ersten 14 Monaten nach der Geburt – also vor Ende der regulären Elternzeit – in Teilzeit arbeiten, bekommen sie zusätzlich 500 Euro pro Monat.
Die Siemensmitarbeiter finden das gut, allein im vergangenen Jahr haben 6000 Mitarbeiter die Prämie beantragt. Siemens gab insgesamt 10 Millionen Euro aus. „Das ist zwar viel Geld, aber diese Mehrausgaben lohnen sich für uns sehr“, sagt ein Siemenssprecher. „Wenn Frauen nach der Geburt zu lange mit dem Wiedereinstieg in den Beruf warten, verlieren wir sie manchmal für immer. Außerdem macht uns das Prämienprogramm bei gut ausgebildeten Frauen attraktiv.“ Es sei die perfekte Ergänzung zu betrieblichen Betreuungseinrichtungen, zu gleitenden Arbeitszeiten und zum Homeoffice.

IHK: „Das ist ein gut gehütetes Geheimnis“

Das Zuschusssystem ist die Anti-Herd-Prämie, der Gegenentwurf zum Betreuungsgeld. Nicht Siemens hat das Instrument erfunden, sondern die schwarz-rote Bundesregierung im Jahr 2006, sie nannte es Betreuungszuschuss und verankerte es im Paragraph 3 des Einkommensteuergesetzes. Dort heißt es, der Zuschuss solle berufstätigen Eltern helfen, die eine Betreuung für ihre noch nicht schulpflichtigen Kinder benötigen. Das Extrageld ist zweckgebunden, muss vom Arbeitnehmer nicht versteuert werden und ist frei von Sozialabgaben. „Sehr viele Unternehmen wissen gar nicht, dass es diese Möglichkeit gibt“, sagt eine Sprecherin der deutschen Industrie- und Handelskammer. „Das ist wie ein gut gehütetes Geheimnis.“
Siemens ist trotzdem nicht das einzige Unternehmen, das eine solche Prämie zahlt. Das tun auch einige kleine und mittelständische Firmen in Bayern. Die Unternehmen wollen mit der Prämienzahlung wie Siemens Fachpersonal an sich binden. Bisher zahlen vor allem kleine Firmen ihren Angestellten den Betreuungszuschuss, weil sie keine betriebsinterne Kinderbetreuung anbieten können.
Unter den deutschen Dax-Unternehmen ist Siemens allein. Das könnte auch so bleiben. Adidas und BMW beispielsweise planen nicht, den Zuschuss einzuführen. Mit Betriebskindergarten und der Möglichkeit, sich die Arbeitszeiten flexibel einzuteilen, seien Adidas- und BMW-Eltern zufrieden.

Bayerns FDD ist begeistert, im Gegensatz zur SPD

Der bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) ist begeistert, dass Siemens seinen Angestellten den Betreuungszuschuss zahlt. „Man kann es nur begrüßen, wenn Unternehmen auf die sehr reale Welt junger Familien zugehen.“ Das hätte Zeil auch gern selbst getan. „Ich hätte zum Beispiel gern mit der CSU über die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung gesprochen.“
Doch eine Diskussion über solche Maßnahmen ist mit der CSU nicht möglich. Die Partei kennt nur das Betreuungsgeld, das Eltern Geld zahlt, die ihre Kinder nicht in eine staatlich geförderte Betreuungseinrichtung geben, und das als Herdprämie verschrien ist.
Nicht nur der liberale Wirtschaftsminister freut sich, dass mit Siemens ein großes bayerisches Unternehmen den Betreuungszuschuss nutzt – und das Betreungsgeld ad absurdum führt. „Siemens setzt damit die richtigen Signale für deutsche Unternehmen“, sagt etwa Claudia Jung, familienpolitische Sprecherin der Freien Wähler im Landtag. „Unternehmen, die auf diese Weise Familienfreundlichkeit realisieren, machen es Berlin und dem Herrn Seehofer vor: Niemand will und braucht das Betreuungsgeld, weil es schlicht und ergreifend die falschen Anreize und Signale setzt.“ Stattdessen brauche man flexible Arbeitszeitmodelle und Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Kinderbetreuung unterstützen – von einer adhoc-Betreuung im Notfall über Zuschüsse bis hin zu Betriebskrippen und -kindergärten.
Das sieht auch die SPD-Fraktion so. Doch Simone Strohmayr, SPD-Mitglied des Bildungsausschusses im bayerischen Landtag, hält nicht nur das Betreuungsgeld, sondern auch den Zuschuss für den falschen Ansatz: „Derartige Prämien sind falsche Anreize, die den Druck auf die Eltern letztendlich erhöhen. Wo bleibt da die viel gepriesene Wahlfreiheit der Eltern?“ Vielmehr müsse der Staat für bessere Betreuungsangebote sorgen, fordert Strohmayr.
Auch die Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) lehnt das Zuschussmodell ab. Sie sieht sich sogar in der Pflicht, auf die Risiken hinzuweisen: „Arbeitgeber, die junge Eltern mit Geld ködern, damit sie das Interesse des Arbeitgebers vor die Belange ihres Säuglings stellen, zeigen eine erschreckende Ignoranz gegenüber jungen Familien und ihren Bedürfnissen und signalisieren damit auch ihre geringe Wertschätzung für gelebte Elternleistung.“ Gerade in den ersten 14 Monaten sei die Prämie ein fataler Anreiz zu Lasten der Kinder, weil sie Eltern in einer hochsensiblen Entwicklungsphase von ihren Kindern fernhalte. (Veronica Frenzel)

Kommentare (1)

  1. Staatsanzeiger für Baden-Württemberg am 10.07.2012
    Bei uns, der Staatsanzeiger für Baden-Württemberg GmbH mit Sitz in Stuttgart, einem kleinen mittelständischen Medienunternehmen mit derzeit knapp 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, erhalten Eltern ebenfalls einen steuerfreien Kindergartenzuschuss. Die Geschäftsführung kam schon im Jahr 2006, also lange vor Siemens, auf die Idee, Eltern stärker an das Unternehmen zu binden und die Rückkehr aus der Elternzeit finanziell zu unterstützen, eine Initiative, die der Betriebsrat ausdrücklich begrüßt hatte. Seither erhalten Eltern bis zu 100 € pro Monat als steuerfreien Kindergartenzuschuss für die Betreuung ihrer Kleinen in einer Kindertagesstätte, bei einer Tagesmutter oder im Kindergarten. Dieses Angebot hat sich bewährt: Bisher sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach der Elternzeit wieder ins Unternehmen zurückgekehrt. Das Know-How bleibt im Unternehmen erhalten und die Zufriedenheit der Mitarbeiter steigt durch die Zusatzleistung merklich. Doch neben dem finanziellen Aspekt ist den Eltern natürlich auch die zeitliche Vereinbarung von Beruf und Familie wichtig. Flexible Gleitzeitregelungen, individuelle Teilzeitvereinbarungen und die Möglichkeit zum Home-Office kommen den Eltern hier entgegen. Wir haben mit allen unseren Angeboten sehr gute Erfahrungen gemacht und werden auch zukünftig unsere Eltern im Unternehmen bei der Rückkehr ins Berufsleben unterstützen.
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