Politik

Matthias Jena, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Bayern, lehnt Ausnahmen beim Mindestlohn kategorisch ab. (Foto: dpa)

16.01.2014

"Die geforderte Ausnahme für Rentner ist eine Zumutung"

Matthias Jena, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Bayern, über Forderungen nach Ausnahmen beim Mindestlohn und systematische Lohndumping-Tricksereien.

Lange haben Sozialdemokraten und Gewerkschaften für einen flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro die Stunde gekämpft. Jetzt kommt er - die große Koalition will ihn von 2015 an schrittweise bis 2017 einführen. Doch schon werden die Rufe nach Ausnahmen laut.  Die Staatszeitung hat bei Matthias Jena, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Bayern, nachgefragt. BSZ: Herr Jena, die CSU fordert Ausnahmen für ganze Bevölkerungsgruppen, Beschäftigungsarten und Branchen vom vereinbarten Mindestlohn in Höhe von 8,50 Uhr  - unter anderem für Ehrenamtliche, Auszubildende und  Praktikanten. Was halten Sie davon?
Jena:  Die Forderung nach Ausnahmen für Ehrenamtliche ist eine Nebelkerze. Das Wesen des Ehrenamtes ist doch, dass es keine abhängige Beschäftigung ist. Einen Mindestlohn für Ehrenamtliche hat nie irgendjemand gefordert. Aber klar muss auch sein: Die Floristin und der Zeitungsausträger sind keine Ehrenamtlichen. Da dürfen keine abstrusen Konstrukte möglich sein. Denn das Ziel von Ausnahmen ist immer, Schlupflöcher zu finden, um den allgemeinen Mindestlohn zu umgehen und weiter Lohndumping zu betreiben. Es ist auch klar, dass der Mindestlohn nicht für Auszubildende gilt. Eine Ausbildung ist ebenfalls keine abhängige Beschäftigung. Auch für Schülerpraktika hat niemand einen Mindestlohn gefordert. Aber für Praktikanten mit abgeschlossener Ausbildung muss der Mindestlohn gelten. Es muss endlich Schluss sein damit, dass exzellent ausgebildete junge Leute in der Generation Praktikum volle Arbeit leisten, dafür aber schlecht bezahlt werden. BSZ: Auch Rentner, Saisonarbeiter und einzelne Berufsgruppen wie Taxifahrer oder Zeitungsausträger stehen zur Disposition.
Jena: Die geforderte Ausnahme für Rentner ist eine Zumutung. Rentner gehen arbeiten, wenn ihre Rente nicht zum Leben reicht, obwohl sie ein ganzes Berufsleben lang hart gearbeitet haben. Wenn sie neben der Rente noch für einen Hungerlohn schuften müssen, dann werden sie zum zweiten Mal betrogen. Es darf auch keine Ausnahmen für Saisonarbeiter, Minijobber oder einzelne Berufsgruppen geben. Jeder, der so eine Ausnahme fordert, will Schlupflöcher für Lohndumping graben.

"Die Höhe des Mindestlohns muss zügig nach oben angepasst werden"

BSZ: Einige Gewerkschaften fordern bereits jetzt eine Erhöhung des Stundenlohns. Unterstützen Sie diese Forderungen? 
Jena:  Die Gewerkschaften haben immer schon vertreten, dass der Mindestlohn im Laufe der Jahre nach oben angepasst werden muss. Die Inflation würde ansonsten den Mindestlohn auffressen. Jetzt müssen wir den Mindestlohn von 8,50 Euro ohne Ausnahmen installieren und dann die Höhe zügig anpassen. 2018 ist für die erste Anpassung viel zu spät. Der Mindestlohn ist nur die unterste Haltelinie. In München darf jeder gerne mehr bezahlen. Wenn der Mechanismus von Angebot und Nachfrage tatsächlich funktioniert, dann kann es zum Beispiel in München gar nicht allzu viele Jobs mit weniger als 8,50 Euro Stundenlohn geben. Denn für dieses Geld finden die Arbeitgeber kaum Beschäftigte. Deshalb brauchen wir beim Mindestlohn keine Abweichungen nach oben. Und Abweichungen nach unten darf es nicht geben, weil sie immer nur dazu dienen, weiter Lohndumping zu betreiben. BSZ: Gerade in strukturschwächeren Gebieten müssten Betriebe aber schließen, wenn sie höhere Löhne zahlen müssten und Arbeitsplätze gingen verloren,  heißt es immer wieder von Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden. Was spricht gegen eine regionale Ausdifferenzierung?
Jena: Die Argumente für eine regionale Differenzierung sind vorgeschoben. Wenn beispielsweise ein Konditorgeselle in Oberfranken bei einer 40-Stunden-Woche 8,50 Euro bekommt, dann kommen im Monat selbst mit Zuschlägen für Nacht- und Wochenendarbeit vielleicht gerade mal rund 1500 Euro brutto raus. Davon kann man auch in Oberfranken nicht in Saus und Braus leben. Und der Konditor, der das seinem Gesellen nicht bezahlen kann oder will, ist entweder ein Geizhals oder ein schlechter Geschäftsmann. Der Mindestlohn muss möglichst einfach und ohne Ausnahmen gestaltet werden, damit er seine Wirkung entfaltet und Lohndumping tatsächlich effektiv eindämmt. BSZ: Bereits jetzt werden Tariflöhne systematisch durch Tricksereien unterlaufen. Ist das beim gesetzlichen Mindestlohn nicht auch zu befürchten?
Jena: Arbeitgeber betreiben zunehmend Tarifflucht. So lange ein Tarifvertrag nicht 50 Prozent der Beschäftigten erfasst, kann er nicht für allgemeinverbindlich erklärt werden und gilt somit nur für die Betriebe, die dem Arbeitgeberverband angehören. Wir brauchen einen Mindestlohn also auch für Branchen mit guten Tarifverträgen, die aber nicht für alle Beschäftigten gelten. Außerdem muss es einfacher möglich sein, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Auch dafür gibt es gute Ansätze im Koalitionsvertrag. Eine weitere Lohndumping-Trickserei sind Werkverträge. Es muss sichergestellt werden, dass Betriebs- und Personalräte mehr Informations- und Mitspracherechte erhalten, um eine Kontrollfunktion gegen Lohndumping einnehmen zu können. Außerdem muss mehr und effektiver kontrolliert werden. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit muss nicht nur den Lohn kontrollieren sondern auch die Arbeitszeit, damit nicht für manche Arbeitgeber die Stunde plötzlich 80 Minuten lang ist. Wir brauchen also ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um Lohndumping und Mehrklassen-Gesellschaften in den Betrieben zu verhindern. Der Mindestlohn löst nicht alle Probleme. Aber wenn er ohne Ausnahmen eingeführt wird und auch für Werkverträge gilt, verhindert er das Schlimmste.
(Interview: Angelika Kahl) Lesen Sie in der gedruckten Ausgabe der Bayerischen Staatszeitung vom 17. Januar 2014 einen Hintergrundbericht über den aktuellen Streit über Ausnahmen vom Mindestlohn.  

Kommentare (1)

  1. Karl am 16.01.2014
    Bodenlose Unverschämdheit!
    Lohndumping für Mittelose und mit denen,
    man es machen kann, weil sie defakto "wehrlos" sind.
    Und die Schlupflöcher wollen nur die AG u.a.
    für Raumpflegekräfte.
Die Frage der Woche

Ist das geplante Demokratiefördergesetz sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.