Die Opfer der Anschläge in Paris waren noch nicht gezählt, da forderte Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) bereits, dass Deutschland sich die Möglichkeit vorbehalten solle, Grenzen zu schließen. Ministerpräsident Horst Seehofer war wenig begeistert von Söders Vorstoß. Gleichwohl verlangt Bayerns Regierung schärfere Grenzkontrollen. Bisheriger Stand: Statt wie bisher nur ausgewählte Grenzübergänge an der deutsch-österreichischen Grenze zu bewachen, sollen wieder sämtliche Übergangsstellen kontrolliert werden. Falls die Bundespolizei nicht genügend Personal habe, müsse die bayerische Polizei die Kontrollen übernehmen, so Seehofer nach einer Sondersitzung des Kabinetts. Außerdem solle die Schleierfahndung hinter der bayerischen Grenze „maximiert“ werden.
Als vor 30 Jahren Deutschland, Frankreich und die Benelux-Länder in Luxemburg das erste Schengener Abkommen unterzeichneten, verpflichteten sie die teilnehmenden Staaten, die stationären Grenzkontrollen an den Binnengrenzen abzuschaffen und gleichzeitig, die Außengrenzen zu Drittstaaten nach einem einheitlichen Standard zu kontrollieren. Heute umfasst die Schengen-Zone 26 Staaten. Vorübergehende Ausnahmen sind nur bei Großereignissen wie Gipfeltreffen und seit 2013 wegen der Flüchtlingskrise erlaubt – das nutzt Deutschland seit dem 13. September 2015 für seine Kontrollen an der österreichischen Grenze. 1995 änderte der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) das Polizeiaufgabengesetz. Seitdem dürfen Polizeibeamte bei der Schleierfahndung in einem 30 Kilometer breiten Grenzstreifen ohne besonderen Verdacht oder Anlass Personen kontrollieren.
Bürokratie statt Grenzschutz
„Becksteins Konzept hat sich zwar bewährt“, versicherte jetzt der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft (DPolG) Hermann Benker bei der Diskussion „Neue Schlagbäume statt Schengen?“ der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. „Trotzdem können wir die Grenzkontrollen nicht durch Schleierfahndung kompensieren.“ Erstens gebe es bis heute nicht den damals zugesagten Digitalfunk für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Und zweitens seien die europäischen Außengrenzen zum Beispiel wegen der Küstenlandschaft in Italien nicht kontrollierbar. In Südosteuropa sind die geografischen Gegebenheiten laut Benker zwar besser, aber dort erschwere Korruption die Grenzüberwachung. Selbst an der deutsch-österreichischen Grenze hält der bayerische DPolG-Chef eine lückenlose Grenzüberwachung für „utopisch“ – allein schon wegen des Grenzverlaufs im Hochgebirge. Wenn Seehofer zusätzlich die Schleierfahndung verstärken wolle, fehle das Personal natürlich andernorts: „Darüber müssen sich alle klar sein.“
„Wir haben uns zu lange darauf verlassen, dass andere die Außengrenzen sichern“, ergänzte der Landtagsabgeordnete und CSU-Sprecher für Polizeifragen, Manfred Ländner. Jetzt spitze sich die Situation zu. Er warnt: „Das Scheitern der Europäischen Union ist eng mit dem Scheitern von Schengen verknüpft.“ Das sei der Grund, der die „glühende Europäerin“ Angela Merkel (CDU) motiviere. „Für viele Politiker ist Europa die Krönung ihrer Lebensleistung.“
Katharina Schulze, innenpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, kann sich mit ihren 30 Jahren Grenzkontrollen überhaupt nicht mehr vorstellen. „Natürlich braucht es auch Sicherheit, um sich frei zu fühlen“, erklärte sie. Doch selbst wenn die Grenzen überwacht worden wären, hätte dadurch der Anschlag in Frankreich ihrer Meinung nach nicht verhindert werden können. Statt den Blick auf die Einreise zu richten, fordert die Abgeordnete, die Prävention und vor allem die Ausreise im Auge zu behalten. Als Beispiel nennt Schulze die Abschiebung des Kemptener Islamisten Erhan A., der sich inzwischen nach eigenen Worten dem „Islamischen Staat“ in Syrien angeschlossen hat. Um die Polizei zu entlasten, müssten jetzt Ressourcen umgeschichtet und wo möglich private Sicherheitsbehörden eingesetzt werden.
Rumplärrende Kommunen
DPolG-Chef Benker machte auf ein Hauptärgernis im Arbeitsalltag der Polizisten aufmerksam: die nächtlichen Begleitfahrten von Schwertransportern. Ein weiteres Ärgernis sei die vorgeschriebene, aber letzten Endes nutzlose Bürokratie im Fall illegaler Einreisen: „Jeder, der illegal nach Deutschland einreist, begeht offiziell eine Straftat.“ Da das Vergehen aber bei der Anerkennung eines Asylgrunds aufgehoben wird, schreiben die Beamten die Strafanzeigen für den Papierkorb. Dabei würden, so Benker, die Kollegen statt im Büro auf der Straße benötigt. Er bedauerte deshalb, dass Justizminister Winfried Bausback (CSU) weiterhin auf Strafanzeigen poche – obwohl innerhalb der Bundespolizei eine andere Regelung gelte.
Einig waren sich alle Diskussionsteilnehmer, Flüchtlinge nicht als potenzielle Terroristen zu sehen und sie zur Vermeidung von Parallelgesellschaften wie in Frankreich besser zu integrieren. „Ich mag es nicht, wenn Kommunen deswegen rumplärren“, klagte CSU-Mann Ländner mit Blick auf die Herausforderungen bei der Unterbringung. Ab einer gewissen Anzahl von Flüchtlingen, wie sie etwa die Grenzregionen bewältigen müssten, habe er zwar Verständnis. „Aber Landräte und Bürgermeister haben auch diese Probleme zu lösen – sie verdienen schließlich genug“, ergänzte er. Nichtsdestotrotz seien die von den Schleppern mit falschen Versprechen angelockten Flüchtlinge eine „ungeheure Herausforderung“. „Dieses Problem muss aber nicht in Deutschland, sondern in Europa gelöst werden.“
Die grüne Vize-Chefin Schulze wünschte sich, dass die EU-Mitgliedsstaaten mehr Geld in die Bekämpfung der Fluchtursachen investieren, Waffenlieferungen stoppen und Saudi-Arabien als unmittelbare Anrainer der Kriegsgebiete stärker in die Pflicht nehmen. „Das, was in Paris passiert ist“, mahnte sie, „passiert in Aleppo jeden Tag.“ (David Lohmann)
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