Politik

Die aus Eritrea stammende Meaza Yirgalem bespricht mit der Beraterin Hanna Löhner in der Arbeitsagentur Augsburg, wie es nun weitergeht. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

02.12.2015

Die Joblotsen von Zimmer 103

Pilotprojekt für Flüchtlingsförderung: Die Bundesagentur will Asylsuchende von Beginn an fördern - denn die warten oft monatelang auf ihren Asylbescheid. Warum das in Augsburg besonders gut läuft

Schüchtern betritt Meaza Yirgalem das Zimmer 103 der Augsburger Arbeitsagentur. Ihre Betreuerin Hanna Löhner hat auf dem hellgrauen Beratungstisch schon mal die Unterlagen der zierlichen Eritreerin bereitgelegt. Konzentriert folgt die 32-Jährige mit dem straff zusammengebundenen Kraushaar Löhners Worten. Die Antworten kommen der zurückhaltenden Frau trotz ihres sechsmonatigen Deutschkurses noch stockend über die Lippen. "Sprechen fällt ihr schwerer als Zuhören", sagt Löhner über die Asylbewerberin. Yirgalem, das macht ihr Löhner klar, braucht noch einen Aufbau-Sprachkurs, wenn sie in ihrer neuen Heimat eine Stelle finden will. Daneben rät die Projektmitarbeiterin zu einem sechswöchigen Betriebspraktikum. "Da können Sie zeigen, was Sie können. Und wenn Sie Glück haben, erhalten Sie vielleicht sogar eine Festanstellung",macht die Agenturmitarbeiterin der Afrikanerin Mut. Doch dazu musss ich Yirgalem erst einmal selbst über ihre berufliche Zukunft klarwerden. Laborarbeit? Oder vielleicht doch eher eine Arbeit als Erzieherin? Ihre Aussichten, in Deutschland bleiben zu können, sind gut - auch wenn sie bis heute keinen Anerkennungsbescheid in den Händen hält. Dass Yirgalem bereits vor dem Abschluss ihres Asylverfahrens von der Arbeitsagentur betreut wird, verdankt sie dem Bundesagentur-Projekt "Early Intervention". Während die meisten anderen Flüchtlinge nach ihrer Ankunft kaum mehr machen können als abzuwarten, erfährtYirgalem seit Monaten bei der Arbeitsagentur in Augsburg eine Intensivförderung. Bundesagentur-Vorstandsmitglied Raimund Becker sieht in dem Projekt einen Testballon für den Umgang mit arbeitssuchenden Flüchtlingen - nach gut eineinhalb Jahren ist daraus eine Blaupause für deren Eingliederung in den Arbeitsmarkt geworden.

Das wichtigste erst einmal: Ein Sprachkurs

Unter dem Druck, Flüchtlinge fit für den Arbeitsmarkt zu machen, sind inzwischen auch in anderen deutschen Arbeitsagenturen Frühförderprojekte für Asylsuchende angelaufen. 100 000 Asylbewerber sollen noch in diesem Jahr auf Kosten der Bundesagentur einen Sprachkurs starten - eine Förderung, die ihnen sonst erst nach ihrer Anerkennung als Flüchtling zustünde. Das am Jahresende auslaufende BA-Projekt, bei dem zuletzt neun Arbeitsagenturen eng mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und örtlichen Flüchtlingsinitiativen zusammengearbeitet haben,setzt gezielt auf Flüchtlinge mit Schul-, Berufs- oder Uni-Abschluss. Wer mitmachen wollte, sollte auch gute Chancen haben, in Deutschland dauerhaft bleiben zu können - ein Raster, in das die vor rundeineinhalb Jahren aus dem Bürgerkriegsland Eritrea geflohene Yirgalem gut passt. Denn die 32-Jährige bringt eine gute Ausbildung mit. Bis zu ihrer Flucht über das Mittelmeer im Frühjahr 2014 hatte die junge Frau vier Jahre Agrarwirtschaft mit Schwerpunkt Pflanzenschutz studiert. Die Arbeit in einem Forschungslabor ist ihr vertraut. Daneben hat sie auch schon mal für längere Zeit als Biologie-Lehrerin gearbeitet.

Voraussetzungen: Eine gute Bildung und gute Chancen auf Bewilligung des Asylantrags

Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration wurden auf die gebildete und aufgeweckte junge Frau bei der Erstregistrierung aufmerksam. Die Bundesagentur hat nach Beckers Angaben aus dem Projekt vor allem eins gelernt: "Die Flüchtlinge brauchen Zeit, die deutsche Sprache zulernen." Ferner: "Kaum einer, der zu uns kommt, hat eine formale Qualifikation, ganz zu schweigen von einem Gesellenbrief oder Ähnlichem. Trotzdem haben viele der Flüchtlinge Fähigkeiten und Talente." Um diese herauszufinden, müssten sowohl Jobcenter als auch Betriebe dazu bereit sein, unkonventionelle Wege zu gehen, meint der BA-Manager. Da gibt es etwa den jungen Iraker, der seit Jahren in der Bäckerei seines Onkels mitgearbeitet hat. Auch wenn ihm die Arbeit in der Backstube vertraut ist - Bäcker ist er deshalb nach dem deutschen Handwerksverständnis nicht. Ihm müsse man bei einem Praktikum Gelegenheit geben, zu zeigen, was er könne, sagt Becker. Bei anderen Berufen überprüfen die Joblotsen in den Arbeitsagenturen mit Fotos aus einem bestimmten Berufsfeld die Job-Erfahrung von Flüchtlingen. Betrachtetet man die reinen Zahlen, fällt die Bilanz des "Early Intervention"-Projekts dennoch zwiespältig aus. Von den rund 1000 Teilnehmern - rund 300 davon werden derzeit noch betreut - waren bis Mitte November gerade mal 67 in Arbeit. 27 absolvieren inzwischen eine Berufsausbildung. Bis zum Jahresende dürfte ihre Zahl noch steigen, so dass Becker inzwischen von einer zehnprozentigen Erfolgsquote spricht. Er räumt aber ein: "Bei deutschen Arbeitssuchenden wäre das ein schlechtes Ergebnis. Aber für Migranten sind zehn Prozent nicht schlecht."

Die Erfolgsbilanz ist eher durchwachsen

Es sei halt ein dickes Brett, dasgebohrt werden müsse, sagt Becker und verweist auf entsprechende Studien, die zu Geduld bei der Flüchtlingsintegration raten. Der Praktikerin Löhner ist jedenfalls um die Zukunft der von ihr betreuten Asylbewerber nicht bange. Sie räumt zwar ein, dass es auch in Augsburg anfangs nur relativ wenige Vermittlungen gegeben hat. "Aber sobald die Flüchtlinge besser Deutsch können, geht die Welle los." Was die Frühförderung der Flüchtlinge wirklich gebracht habe, werde man wohl erst in einigen Monaten richtig beurteilen können, ist die engagierte Betreuerin überzeugt. Zufrieden mit der Frühförderung der Flüchtlinge in seinem Haus ist auch der Chef der Augsburger Arbeitsagentur, Reinhold Demel. Er hat dazu auch allen Grund. Von den bundesweit knapp 70 erfolgreichen Vermittlungen von arbeitsuchenden Flüchtlingen gingen bis Anfang November mehr als 30 auf das Konto der Augsburger Jobvermittler. Dass es in Augsburg so gut gelaufen ist, ist für Demel kein Zufall. Schließlich fanden die Augsburger Jobvermittler beim Start des Projekts "Early Intervention" bereits ein gut bestelltes Feld in Sachen Flüchtlingshilfe vor. Die Betreuung von Migranten hat in der Stadt Augsburg, in der 43 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben, eine lange Tradition. Schon in den 1990er Jahren entstanden hier Initiativen, die sich um ein Wohnprojekt bemühten, bei dem Migranten und Studenten zusammenleben. Die schließlich daraus entstandene Netzwerk "Tür-an-Tür" wurde zum Kristallisationspunkt für viele Migrantenprojekte inder Stadt - und ist nach Meinung von Arbeitsagentur-Chef Demel als wichtiger Kooperationspartner der Schlüssel zum Erfolg des Augsburger "Early Intervention"-Projekts.

In Augsburg läuft es besonders gut

Es ist später Vormittag. Auf Yirgalems Stuhl hat inzwischen ein 19 Jahre alter Afghane Platz genommen. Seinen Namen möchte er lieber nicht in der Zeitung lesen; er hat noch Verwandte in seiner Heimat, die er nicht gefährden will. Der junge Mann, der vor eineinhalb Jahren über Frankreich nach Deutschland kam und auf seine baldige Anerkennung als Flüchtling hofft, trägt über einem dunkelroten Pullover eine modische schwarze Lederweste. Sein Deutsch ist gut. Auch er hat dank des "Early Intervention"-Projekts vorzeitig einen Deutschkurs des Bundesamtes für Migration besuchen können. Zudem haben Löhner und ihr Team dafür gesorgt, dass der junge Afghane einen der begehrten Plätze in der Integrationsklasse einer Augsburger Berufsschule bekam. Dort ist er der Klassenbeste - mit guten Aussichten auf die Mittlere Reife. In seiner Freizeit arbeitet er ehrenamtlich als Rettungsassistent bei den örtlichen Johannitern. Er träumt von einer Ausbildung in einem medizinischen Beruf. Die Zeit für Bewerbungen auf eine Lehrstelle drängt, macht Löhner klar. Heute will sie gemeinsam mit ihrem 19-jährigen "Kunden"ein erstes Bewerbungsschreiben aufsetzen. Das, was Agentur-Chef Demel "Schlüssel zum Erfolgs" nennt, liegt nur einen Steinwurf vom modernen Verwaltungskomplex der Augsburger Jobvermittler entfernt. Im ersten Stock des verspielten Backsteingebäudes auf der anderen Seite der Wertachstraße hat Stephan Schiele sein Büro. Er leitet das Netzwerk-Projekt "Tür-an-Tür". Betrieben wurde Flüchtlingsarbeit hier schon lange bevor mit der Flüchtlingswelle der Ruf nach rascher Jobintegration erklang. "UnsereHilfe setzt da an, wo die Arbeit der Arbeitsagentur aufhört", erklärt Schiele. Die 35 hauptamtlichen und rund 80 ehrenamtlichen Mitarbeiter von "Tür-an-Tür" bieten Asylbewerbern Hilfe in fast allen Lebenslagen an - ob es um die Übersetzung eines Behördenbriefs, um Hilfe beim Ausfüllen eines amtlichen Formulars oder beim Einkaufen in einem deutschen Supermarkt oder um die Anerkennung eines ausländischenBerufs- oder Schulabschlusses geht. Für Joblotsin Löhner und ihre Kollegen stellen die Hilfen des Netzwerks eine unverzichtbare Ergänzung der Arbeitsagentur dar. Inzwischen hat sich auch bei Projektmanagern in der Nürnberger Bundesagentur-Zentrale herumgesprochen: Jobintegration gelingt nur im Verbund mit erfahrenen örtlichen Flüchtlingshilfe-Initiativen - so wie in Augsburg. (Klaus Tscharnke, dpa)

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