Politik

Der Plenarsaal des Landtags: Politiker sollen näher dran sein am Menschen, forderten Experten jetzt bei einer Veranstaltung im Maximilianeum. (Foto: dpa)

20.10.2017

Die Öffnung des Parlaments als Chance begreifen

In einem Akademiegespräch des Landtags gingen Experten und Parlamentarier verschiedener Länder der Frage nach, wie die Politik verloren gegangenes Vertrauen zurückerobern kann

Der keifende „Wutbürger“ bricht sich Bahn, die Rechtspopulisten mit den scheinbar einfachen Antworten haben Zulauf, die Politiker der „etablierten“ Parteien klagen über einen Vertrauensverlust in ihre Arbeit und ihre Institutionen. Worin liegen die Ursachen? Was ist zu tun? Im Rahmen der Reihe „Rolle und Zukunft der Landesparlamente“ sucht der Landtag Antworten.

Man müsse „die Blume des Vertrauens wieder zum Erblühen bringen“. Landtagsvizepräsident Reinhold Bocklet (CSU) wählt diese Metapher, um in den inzwischen vierten Abend der Reihe einzuleiten. Das ist leicht gesagt – Politiker wie Führungskräfte wissen, wie lange es dauert, Vertrauen zu gewinnen, und dass manchmal ein Satz genügt, um es auf Jahre zu verlieren. „Vertrauen ist der Anfang von allem“, zitiert Pater Anselm Bilgri in seinem Impulsreferat. Es ist ein gut 20 Jahre alter Werbespruch der Deutschen Bank. Mit dem Wort „Peanuts“ für versenkte Millionen und dem Victory-Zeichen auf der Anklagebank hatten die früheren Bankchefs Hilmar Kopper und Josef Ackermann das Vertrauen der Kunden in das Institut dann nachhaltig zerstört.

Näher am Bürger dran sein

In der Politik war der Vertrauensverlust ein eher schleichender Vorgang. Natürlich haben auch Skandale dazu beigetragen – Bayerns Landtag war mit der „Verwandten-Affäre“ nicht ganz unbeteiligt – , doch die Leiterin der Politischen Akademie Tutzing, Ursula Münch, sieht die Gründe tiefer liegen. So seien Globalisierung und Digitalisierung für viele Bürger Elitenprojekte, deren Nachteile sich bei ihnen bemerkbar machten. Es gebe eine große Skepsis gegen supranationale Entscheidungsträger wie die EU, es bestehe der Eindruck, dass Regelverstöße anderer stets geringer sanktioniert würden als eigene, und es herrsche eine ernüchternde Enttäuschung darüber, dass groß angekündigte politische Versprechen am Ende nicht umgesetzt werden – aus welchen Gründen auch immer. Das Wort „Obergrenze“ nimmt Münch nicht in den Mund, es liegt aber förmlich in der Luft.

Anselm Bilgri beleuchtet das Phänomen aus dem Blickwinkel des Theologen und Soziologen. Um Vertrauen in ein Gemeinwesen zu haben, erwarte der Mensch von dessen Vertretern Kompetenz, Integrität und Wohlwollen gegenüber den eigenen Sorgen und Wünschen. Wo diese Erwartungen enttäuscht würden, komme es zum Vertrauensverlust. Vertrauen sei aber wichtig, denn „Vertrauen reduziert die Komplexität unseres Lebens“, sagt Bilgri. Wo aber das Misstrauen in Recht, Staat und Normen wachse, wachse auch die gefühlte Überforderung der Menschen mit den schier unbegrenzten Möglichkeiten heutigen Lebens. „Protestwähler handeln aus Misstrauen“, erklärt Bilgri.

Da stimmt Ursula Münch zu: „Wo Vertrauen sinkt, steigen die Chancen der Populisten.“ Empirisch nachweisbar sei, dass das Vertrauen in Institutionen mit der räumlichen Entfernung zum Bürger abnehme. Münch verweist auf den sukzessiven Rückzug des Staates aus der Fläche mit – fachlich begründeten und sachlich notwendigen – Gebietsreformen, mit dem Schließen von Schulen und Ämtern. „Wenn sich der Staat und mit ihm die Parteien und die Politiker aus den entlegeneren Gebieten zurückziehen, dann geht mehr verloren als nur die Bürgerfreundlichkeit der Verwaltung“, mahnt Münch.Nämlich auch das Vertrauen in die Kommunalpolitik und in die für die Entwicklungen mitverantwortlichen Landesparlamente. Wer das Vertrauen in die Politik und speziell in die Landesparlamente stärken wolle, komme an den Gemeinden und dem Leben in den Gemeinden nicht vorbei. „Näher dran macht den Unterschied“, so Münch.

Bettina Vollath, Landtagspräsidentin der Steiermark, pflichtet dem bei. „Identitätsverlust führt zu Vertrauensverlust“, ist sie sich sicher. Verantwortlich dafür seien nicht nur äußere Einflüsse, sondern auch die wachsende Diskrepanz zwischen dem Leben in den Städten mit ihren vielfältigen Möglichkeiten und dem Gefühl des Abgehängtseins auf dem Land. „Theoretisch haben die Menschen heute so viele Möglichkeiten wie nie zuvor, doch tatsächlich kann nur ein kleiner Teil davon Gebrauch machen“, urteilt sie und erkennt darin Gründe für Frustration und sinkendes Vertrauen in die Politik, die nicht imstande sei, Chancengleichheit für alle herzustellen. Dabei wäre das die Grundlage für Vertrauen.

Vollaths saarländischer Kollege Klaus Meiser beklagt den Verlust von Bindungen in der Gesellschaft. Man brauche „mehr Sportverein als Mucki-Bude“, fasst er es plakativ zusammen. Politiker müssten wieder mehr Bindungen zu den Bürger herstellen. Hier sei der einzelne Abgeordnete gefordert, ergänzt der Bayer Bocklet, aber auch die Parlamente selbst. Denn parlamentarische Verfahren seien oft sperrig und schwer zu vermitteln. Bocklet verweist deshalb auf die vielen Projekte und Veranstaltungen, Bürger in den Landtag zu holen. Auch das sei eine Maßnahme zur Vertrauensbildung, wenn der Bürger sehe, in diesem Haus arbeiten ganz normale Menschen. „Die Öffnung des Raums Parlament in die Gesellschaft hinein ist eine Chance, Nähe herzustellen“, erklärt Bocklet. Mehr Nähe schaffe auch, den Ländern Kompetenzen zu sichern und ihnen verloren gegangene zurückzuholen. Insofern hätten die Landesparlamente in der Tat den Auftrag, Vertrauen in die Politik wiederzugewinnen.
(Jürgen Umlauft)

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