Politik

Die Preise an der Leipziger Strombörse sinken, dennoch steigen die Energiekosten. (Foto: dapd)

29.10.2010

Die Stromlüge

Experten sehen die Schuld für die explodierenden Energiepreise bei den Versorgern

In den nächsten Wochen dürfte so manchem Stromkunden unangenehme Post ins Haus flattern: Denn viele Anbieter wollen ihre Preise schon bald wieder deutlich erhöhen. So etwa die Versorger Badenova und MVV Energie. Und auch der Energieriese RWE denkt genau wie die Stadtwerke München (SWM) über eine Preiserhöhung nach. Ein SWM-Sprecher bestätigte entsprechende Überlegungen. EON Bayern will dagegen die Entgelte „über den Jahreswechsel hinaus“ nicht erhöhen. Kein Wunder: Schließlich hat der Konzern bereits im Mai kräftig bei den Kunden zugelangt.
In schöner Regelmäßigkeit klettern bei den Stromanbietern seit Jahren die Preise in die Höhe. Als Ursache für den Anstieg machten EON und andere Konzerne schon in der Vergangenheit gerne „die höheren Kosten für die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien“ aus.
Und auch diesmal schieben die meisten Anbieter den Schwarzen Peter für mögliche Aufschläge dem Ökostrom zu. „Die SWM prüfen, inwieweit sie die erhöhten Kosten der EEG- Umlage durch Kosteneinsparung kompensieren können“, sagt etwa ein Sprecher der Münchner Stadtwerke. Und Hildegard Müller, Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, ließ jüngst verlauten, der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland habe seinen Preis. „Das sollte jeder Verbraucher wissen.“

Wettrüsten auf den Dächern


Zumindest auf den ersten Blick klingt die Argumentation der Energiekonzerne, die erneuerbaren Energien würden die Strompreise in die Höhe treiben, durchaus plausibel. Schließlich schraubten Deutschlands Hausbesitzer in den vergangenen Monaten auf ihren Dächern regelrecht um die Wette: Bis Ende August hatten die Deutschen Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von 4,9 Gigawatt installiert. Um 75 Prozent soll die Leistung der Solaranlagen 2010 im Vergleich zum Vorjahr wachsen. Und der Staat schießt viel Geld für den ins Netz eingespeisten Ökostrom zu: Die EEG-Umlage steigt nicht zuletzt wegen des Solarbooms von gut 1,5 Cent je Kilowattstunde auf 3,5 Cent an.
Dennoch ist die gestiegene Zahl von Solaranlagen und Windrädern nach Ansicht von Experten nicht schuld an den ausufernden Rechnungen. „Der Strompreis hätte in den vergangenen zwei Jahren deutlich sinken müssen, doch stattdessen ist er gestiegen“, kritisiert Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Berliner Professorin verweist auf die jüngste Entwicklung an der Strombörse in Leipzig. Dort kaufen die Versorger ihre Energie ein. „Die Preise an der Börse sind in den vergangenen zwei Jahren deutlich nach unten gegangen.“ Die Anbieter hätten die Preissenkungen allerdings nicht an den Privatkunden weitergegeben. Stattdessen verbuchten einige Konzerne – vier Fünftel der deutschen Stromerzeugung werden von vier Anbietern kontrolliert – Milliardengewinne. Selbst wenn man den Anstieg der EEG-Umlage 2011 einrechnet, dürfte der Strompreis deshalb laut Kemfert heute nicht steigen.
Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen ist nicht gut auf die Branche zu sprechen. „Der Strom könnte weit günstiger sein. Die gesunkenen Bezugspreise werden nur nicht an die Haushalte weitergegeben“, sagt dessen Energieexperte Holger Krawinkel. Das merke man auch daran, dass günstigere Anbieter für einen Durchschnittshaushalt pro Jahr mitunter um 100 Euro günstiger seien als mancher Platzhirsch. Laut dem Bund der Energieverbraucher (BdE) kann der Kunde bei einem Wechsel so sogar bis zu 200 Euro jährlich sparen. Zum Vergleich: Die Erhöhung der EEG-Umlage kostet zwischen 20 und 70 Euro pro Haushalt im Jahr.
Problematisch bei der Ökostrom-Debatte ist nach Ansicht von Ökonomin Kemfert, dass zum Teil mit „Horrorzahlen“ argumentiert werde. So sei etwa das RWI in einer Forschungsarbeit zunächst von möglichen Kosten durch die EEG-Vergütung in den nächsten drei Jahrzehnten von über 100 Milliarden Euro ausgegangen. Mittlerweile ist in der Studie zwar nur noch von 64 Milliarden Euro die Rede. „Doch das ist immer noch zu hoch“, sagt Kemfert. (Tobias Lill)

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