Politik

Plakate als Protest gegen ein „patriotisches Zentrum“ der Partei Die Rechte. Die Rechtsextremen bedrohen im Netz den Bürgermeister. (Foto: dpa)

15.05.2015

"Die Szene wird immer aggressiver"

Martin Becher, Geschäftsführer des Bayerischen Bündnisses für Toleranz, über das steigende Selbstbewusstsein von Neonazis und die neue Qualität der Gewalt

Bürgermeister werden auf Facebook bedroht, Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verübt – die Gewaltbereitschaft von Rechtsextremen hat eine neue Dimension erreicht, sagt Becher. Seine Forderung: Politik und Gesellschaft müssten endlich auf Augenhöhe agieren. In Sachen Dialog aber kennt er auch Grenzen: Die AfD-Politikerin Frauke Petry im Bayerischen Landtag sähe er jedenfalls nicht gerne. BSZ: Herr Becher, vergangene Woche gab es Razzien und Festnahmen von Mitgliedern der rechtsextremen Gruppe Oldschool Society, die Anschläge geplant haben soll. Angeführt wird sie von einem Augsburger. Kannten Sie die Gruppe?
Martin Becher: Nein, aber ich bin kein Rechercheur, der sich in verschiedenen Netzwerken tummelt. Dafür gibt es in Bayern viele aufmerksame Kolleginnen und Kollegen.

BSZ: Auf Facebook hat sie überhaupt keinen Hehl aus ihrer rassistischen Hetze gemacht. Ist so viel dreiste Offenheit nicht ungewöhnlich?
Becher: Ja, und es ist ehrlich gesagt auch ein bisschen dumm, zumal wenn man terroristische Aktionen plant. Allerdings wird die Szene tatsächlich nicht nur insgesamt aggressiver, die Aggressivität wird auch stärker nach außen getragen. Denken Sie etwa an die Partei Die Rechte, die in Stammheim bei Schweinfurt am Pfingstsonntag ihre Landeszentrale eröffnen möchte. Mitglieder bedrohen auf Facebook den Bürgermeister, veröffentlichen Adressen von Gemeinderäten und verbrennen Transparente mit der Aufschrift „Stammheim ist bunt“. Das hat schon eine neue Qualität.

BSZ: Die NPD hat – nach dem Wirbel um den Ausschluss von Asylbewerbern aus Ingolstädter Diskotheken – der Stadt angeboten, eine Schutztruppe aufzustellen, um „hellhäutige Frauen“ zu schützen. Woran liegt es, dass Rechtsextreme aktuell so selbstbewusst agieren?
Becher: Ich sehe vier Megatrends, die sich gegenseitig beeinflussen und auch verstärken. Einer ist das Phänomen Pegida und dessen Auswirkungen, zu denen auch die AfD als deren parlamentarischer Arm (speziell in Ost-Deutschland) gehört. Es wird ja immer gerne behauptet, dass sie die große schweigende Mehrheit vertreten. Ich halte das für anmaßend und übertrieben. Aber das stärkt das Selbstbewusstsein der extremen Rechten, lässt sie sich mächtiger fühlen.

BSZ: Aber waren nicht auch viele „Normalbürger“ bei den Demos?
Becher: Man muss bei Pegida genau hinsehen. In Bayern marschierten hauptsächlich extreme Rechte. In Dresden waren tatsächlich keineswegs nur Nazis dabei, vielleicht nicht einmal nur Rassisten. Hört man sich aber deren Meinungen an, muss man feststellen, dass es an grundlegender politischer Bildung fehlt. Deshalb fand ich es völlig unangebracht, dass die dortige Landeszentrale für Politische Bildung als Mit-Verursacherin des Problems nun als große Vermittlungsinstanz mit Pegida-Vertretern Gespräche geführt hat.

"Eine Einladung von AfD-Politikerin Petry in den Landtag halte ich für schwierig"

BSZ: Aber ist denn Dialog nicht grundsätzlich sinnvoll? Aktuell gibt es in Bayern Streit, weil die Stiftung Maximilianeum die AfD-Politikerin Frauke Petry für eine Veranstaltung in den Landtag eingeladen hat.
Becher: Ein Auftritt im Landtag hat eine ganz andere Dimension als einer im Kneipen-Hinterzimmer. Es ist ein sensibler Ort. Für mich persönlich ziehe ich die Grenze dann, wenn jemand mit menschenfeindlichen Äußerungen auffällt. Frau Petry macht solche Äußerungen intelligenterweise zwar nicht selbst. Sie grenzt sich aber auch auf Nachfrage nicht von Menschen ab, die dies auf Kundgebungen ganz offen tun. Ich halte eine Einladung in den Landtag deshalb für schwierig.

BSZ: Sie sprachen von vier Trends.
Becher: Ja, der zweite Trend ist, dass es im extrem rechten Lager Konkurrenzkämpfe gibt – bedingt unter anderem durch das Verbot des Neonazi-Netzwerks Freies Netz Süd. Dazu kommen drittens Nachahmer-Taten im Kontext des NSU-Terrors. Hier lässt sich vielleicht auch Old School Society verorten. Aber auch Anschläge wie in Vorra, für die es kein Bekennerschreiben gibt. Und das vierte Megathema ist der Umgang mit Flüchtlingen und die Instrumentalisierung durch die extreme Rechte.

BSZ: Das Thema spielt den Extremisten in die Hände?
Becher: Ja, es ist doch erschreckend, wie die Zahl der Angriffe gegen Flüchtlingsunterkünfte gestiegen ist. Die extrem Rechten versuchen, eine vermeintliche Stimmung in Teilen der Bevölkerung aufzugreifen. Auf der Homepage der rechtsextremen Bewegung „Der dritte Weg“ findet man zum Beispiel eine mehrseitige Anleitung, wie man ein „Asylantenheim“ im Ort verhindern könnte. Klar ist das Flüchtlingsthema eine große Herausforderung. Aber es ist doch nicht das große Problem, als das es immer wieder dargestellt wird. In den 1990er-Jahren waren die Zahlen jedenfalls viel höher. Und heute haben wir sprudelnde Steuerquellen.

"Leider arbeitet auch die Politik selbst immer wieder mit Gut-Böse-Bildern"

BSZ: Aber auch viele Kommunen, die tatsächlich überfordert sind.
Becher: Das ist ja ein strukturelles Problem im Föderalismus. Da sind die Kommunen oft das schwächste Glied. Viele sind so klamm, dass sie keine freiwilligen Leistungen mehr erbringen dürfen. Von daher sind die Kosten für Flüchtlinge als gesamtstaatliche Aufgabe zu betrachten, die auch so finanziert werden müssen.

BSZ: Aber gibt es nicht auch eine große Solidarität mit den Flüchtlingen?
Becher: Ja, und das ist auch gut so. Es ist aber leider so, dass Themen nach Gut-Schlecht-Mustern schnell emotionalisieren können. Sie eignen sich immer besonders gut, um Menschen zu mobilisieren. Gerade auch Menschen, denen die Politik vielleicht zu kompliziert geworden ist – auch weil sie womöglich oft nicht gut erklärt wird. Dann geht es schnell um den „faulen Griechen“ oder gar den „frauenbesessenen Schwarzen“ wie soeben in Ingolstadt. Und leider arbeitet auch die Politik selbst immer wieder mit Gut-Böse-Bildern. Schließlich lässt sich mit einfachen, prägnanten Gegensätzen am leichtesten Aufmerksamkeit erzielen.

BSZ: Was also muss getan werden für mehr Toleranz in Bayern?
Becher: Es muss in Bayern vermehrt eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Politik und Zivilgesellschaft geben. Dazu braucht es ein landesweites Programm. Der Bund oder einzelne Kommunen wie München oder Nürnberg haben hier konzeptionell wie finanziell in letzter Zeit sehr positive Zeichen gesetzt. (Interview: Angelika Kahl) Foto: Martin Becher (54) leitet die Projektstelle gegen Rechtsextremismus und das „Bayerische Bündnis für Toleranz“, dem 56 Organisationen angehören; dpa

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