Politik

Seehofer gibt gern den gütigen Landesvater, kann aber blitzschnell auf Attacke umschwenken. (Foto: ddp)

30.07.2010

Die Zubeiß-Strategie

Schwarz-Gelb hat es auch in Bayern geschafft, vorhandene Erfolge durch Streit zu überdecken

Vergangenen Dienstag spielte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer mal wieder seine Lieblingsrolle: den Landesvater, der den Menschen das Alles-wird-gut-Gefühl vermittelt. Das bayerische Kabinett war nach Garmisch-Partenkirchen gereist, um das Problem, der Olympia-Flächen zu erkunden. Die Lage ist verfahren, weil viele Bauern sich weigern, die nötigen Grundstücke zu verpachten. Nur die Ruhe, signalisierte Seehofer, er sei „sehr, sehr zuversichtlich“, dass es zur einer Einigung komme, man werde mit „Vernunft“ und einem „klaren Kompass“ die Probleme lösen.
Tatsächlich werden die Probleme wohl eher mit viel Geld gelöst. Seehofer jedenfalls stellte den Garmischern neue Tunnels, den Ausbau von Bundesstraßen und Bahnstrecken sowie weitere Wohltaten in Aussicht, deren Finanzierung – der Bund muss mitzahlen – noch keineswegs gesichert ist.
Es war die vorletzte Kabinettssitzung vor der Sommerpause. Den Eindruck, man habe das Olympia-Projekt versemmelt, will man um jeden Preis vermeiden. Enormer Aggressionslevel
Dabei ist es ja nicht so, dass Schwarz-Gelb in Bayern in den zurückliegenden Monaten nichts zustande gebracht hätte. Vor allem in der Bildungspolitik setzte die Koalition Akzente: Sie hat Kooperationsschulen eingeführt, die Haupt- und Realschüler unter einem Dach unterrichten, sie hat Gelenkklassen mit zusätzlicher Förderung an weiterführenden Schulen etabliert oder den Ausbau von Ganztagsangeboten forciert. Die Asylpolitik wurde liberaler. Gemeinsam schuf man eine Dienstrechtsreform für Beamte, die FDP-Fraktionschef Thomas Hacker „die modernste in Deutschland“ nennt.
Gleichwohl ist das Bild der bayerischen Koalition in der Öffentlichkeit verheerend. Denn der Aggressionslevel ist regelmäßig indirekt proportional zur offiziellen „Wir-haben-uns-lieb“-Ansage. Getrieben vom Ehrgeiz, für seine Partei die absolute Mehrheit zurückzuerobern, keilt Seehofer seit dem Koalitionsstart vor knapp zwei Jahren gegen die Liberalen. Staunend registrieren diese, wie hurtig der Regierungschef die Rollen wechseln und vom Besänftiger zum Beißer mutieren kann. Unter geht in dem Kriegsgeschrei, dass CSU und FDP im Landtag meist kollegial zusammenarbeiten.
Ob sie das auch in der nächsten Legislaturperiode tun, bleibt abzuwarten. Dass Seehofer kürzlich ausgerechnet dem SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher zu einer, wie er glaubte, gelungenen Sottise über die bayerische Liberalen-Vorsitzende Leutheusser-Schnarrenberger gratulierte, werten manche schon als Vorboten einer möglichen großen Koalition nach der Landtagswahl 2013. Doch bis dahin ist es noch lang.
Bis zum Herbst müssen CSU und FDP erstmal die bisher größte Herausforderung ihrer kurzen Ehe bewältigen: den Doppelhaushalt 2011/12. Beide Koalitionäre haben dabei ausnahmsweise mal das gleiche Problem. Sie müssen erklären, warum ihre früheren Beteuerungen, der ausgeglichene Haushalt habe Priorität, Makulatur sind. Die FDP hatte in ihrem Landtagswahlprogramm sogar die Tilgung von Altschulden gefordert. Daran, dass der Freistaat bald neue Schulden machen muss, zweifelt indes kein Haushaltspolitiker. Nur offen sagen will es im Moment noch keiner.
Vor zwei Wochen hatte Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) dem Kabinett eröffnet, das strukturelle Defizit für die Jahre 2011/12 betrage 9 Milliarden Euro; bereinigt um die obligaten Zusatzwünsche der Ressorts sind es noch immer 6 Milliarden. Die Steuerschätzung im November wird Prognosen zufolge um bis zu 400 Millionen Euro günstiger ausfallen als geplant, so dass 2011 ein Loch von gut 2,5 Milliarden Euro klafft.
Und noch ein weiteres Problem verbindet die Koalitionäre in Bayern: die sinkenden Umfragewerte. Auf Bundesebene sind FDP wie Union eingebrochen; wäre am Sonntag Bundestagswahl, läge Rot-Grün vor Schwarz-Gelb.
Doch statt zusammenzustehen, wählte zumindest die CSU auch diese Woche wieder die Zubeiß-Strategie: Noch während die schwarz-gelben Minister den Olympia-Bauern in Garmisch ihre Aufwartung machten, verschickte Seehofers Staatskanzlei eine Pressemeldung, die FDP-Chef Guido Westerwelle auf Linie bringen soll. Es geht um Fragen des Türkei-Beitritts zur EU. Die Meldung, wandten Seehofers Fachbeamte ein, sei sachlich nicht in Ordnung. Egal, ward ihnen beschieden: Schickt sie trotzdem raus! (Waltraud Taschner)

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