Politik

Ländliche Kommunen können bei Jugendlichen mit Jugendzentren, Bandproberäumen oder Clubs punkten. (Foto: dpa)

03.07.2015

Disco statt betreutes Wohnen

Damit Jugendliche auf dem Land bleiben, müssen sich Kommunen noch viel mehr anstrengen

Die Katholische Landjugendbewegung (KLJB) schlägt Alarm: Durch den demografischen Wandel wird es in den nächsten Jahren immer weniger junge Menschen auf dem Land geben. Nach Angaben des statistischen Landesamts wird die Zahl der unter 20-Jährigen bis 2022 tatsächlich um 4,7 Prozent und bis 2032 sogar um 6,7 Prozent abnehmen. Die KLJB fordert daher von der Politik, nicht nur in Pflege und altersgerechtes Wohnen zu investieren. „Junge Menschen werden mehr denn je zum entscheidenden Faktor der Zukunft von Gesellschaft und Kommunen in ländlichen Räumen“, sagt der Landesvorsitzende Andreas Deutinger der Staatszeitung. Damit Jugendliche nicht zur Abwanderung gedrängt werden, müssten ihre Bedürfnisse und Interessen endlich ernst genommen werden.

Zwar ist das Problem bereits auf allen Ebenen der Politik angekommen. Im unterfränkischen Knetzgau beispielsweise versuchte Bürgermeister Stefan Paulus (CWG/SPD) mit einer Bürgerbefragung die Familienbedürfnisse, Freizeitangebote und Strukturen für Jugendliche zu verbessern. Der Landrat des oberfränkischen Landkreises Hof, Oliver Bär (CSU), investierte in die Gründerszene, eine moderne Infrastruktur und in die anwendungsorientierte Forschung.

Der Vorsitzende der Enquetekommission des Landtags „Gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Bayern“, Berthold Rüth (CSU), hebt die Initiative „Bildungsregionen in Bayern“ hervor, die auch für Jugendliche auf dem Land ein vielfältiges Schulangebot sicherstellen soll. Und wer den aktuellen Heimatbericht von Heimatminister Markus Söder (CSU) durchliest, findet dort Programme für Highspeedinternet, Wohnraumförderung und Kinderbetreuung für junge Familien. Nur: Das Wort „Jugendlicher“ findet sich auf keiner der 36 Seiten.

„Doch schnelles Internet genügt den jungen Leuten nicht“, mahnt KLJB-Landesvorsitzender Deutinger. Auch soziale und kulturelle Faktoren seien wichtig. Dazu gehörten Veranstaltungen, Ehrenämter, Sportmöglichkeiten und Treffpunkte wie Jugendzentren mit Medienausstattung, Proberäume, Cafés oder Clubs. Vor allem aber müssten Jugendliche stärker in die Gemeindepolitik mit einbezogen werden. Das Problem: „Bayern hat als einziges Bundesland kein Rederecht für Jugendliche bei Versammlungen“, erklärt Deutinger.

Er fordert deshalb neben einem Landesprogramm zur Weiterentwicklung der Jugendarbeit eine Überarbeitung der Kommunalverfassungsgesetze. Zwar lassen im Freistaat auf Anregung des Kreisjugendrings seit einigen Jahren Gemeindeordnungen Jugendparlamente zu. Doch Experten beklagen immer wieder die im Gegensatz zu anderen Bundesländern nicht jugendgerechte Ausgestaltung, unzureichende Finanzierung und mangelnde Kompetenzen.

Kein Mitspracherecht für Jugendliche in Bayern

Meistens hängt die Umsetzung der Jugendbeteiligung allein vom Wohlwollen des Bürgermeisters oder vom Engagement des Jugendbeauftragten ab. „Kommunen sollten nicht das Potenzial kreativer, innovativer und quergedachter Lösungsvorschläge verschenken, das in Jugendlichen steckt“, betont Deutinger. Wenn sich junge Menschen ins Gemeinwesen einbringen können, würde das die Bindung zur Heimatgemeinde festigen – und die Jungen nach dem Studium in der Stadt wieder zurück aufs Land kommen.

Mehr Teilhabemöglichkeiten für Jugendliche verlangt auch der bayerische Gemeindetag. „Durch die Einbindung lässt sich auch der Politikverdrossenheit entgegenwirken“, unterstreicht der Referatsdirektor für Bildung und Soziales, Gerhard Dix. Die erste Frage müsse aber trotzdem immer sein: Welche Jobs gibt es – sonst würden auch die besten Maßnahmen nichts nützen. „Wo die Infrastruktur wegfällt, kommen keine jungen Leute mehr.“

Das glaubt auch Enquetekommissionsmitglied Alexander Muthmann (Freie Wähler). Zwar dürften auch kulturelle Angebote und Möglichkeiten der Freizeitgestaltung nicht außer Acht gelassen werden. „In erster Linie müssen aber in den ländlichen Regionen qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden – vom Akademiker bis hin zum Facharbeiter“, ist er überzeugt. Dazu nötig seien flexible Kinderbetreuung, wohnortnahe Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und gute medizinische Versorgung.

Der Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, Holger Magel, warnt aber davor, die üblichen von Wirtschaft und Politik geforderten „harten“ Infrastrukturen überzubewerten. Für Jugendliche seien eben auch soziale, kulturelle, imagebildende und partizipative Faktoren maßgeblich. „Die Akademie ist diesem Phänomen im Vorjahr nachgegangen und hat festgestellt, dass der Sektor ’Moderne Ländliche Kultur’ immer noch stark unterschätzt wird.“

Das könnte ein Grund sein, warum regionale Hochschulstandorte, ein flächendeckendes Angebot an Ausbildungsplätzen und teils unterdurchschnittliche Arbeitslosenquoten den Abwanderungstrend bislang nicht aufhalten konnten. „Offenbar reichen zusätzliche Gewerbegebiete, eine Autobahnauffahrt und Zugang zu schnellem Internet nicht aus, um junge Menschen zu motivieren, in der Region zu bleiben beziehungsweise dorthin zurückzukehren“, glaubt Markus Ganserer (Grüne), der ebenfalls in der Enquetekommission sitzt.

Die Jugendlichen erwarten Jugendclubs, ein stimmiges Freizeitangebot und einen funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr, meint Enquetekommissionsvize Christoph Rabenstein (SPD). „Sonst machen sie sich über kurz oder lang vom Acker.“

Worin sich alle Experten einig sind: Es muss schnell etwas passieren. „Der demografische Wandel ist bereits heute erlebbare Realität“, mahnt KLJB-Vorsitzender Deutinger. Die positiven Zahlen des Heimatministeriums nennt er „geschickt hingerechnet“, beispielsweise indem ganze Regionen statt einzelner Gemeinden analysiert wurden. „Es gibt eine sichtbare Bevölkerungsabnahme auf dem Land“, bestätigt auch Dix vom Gemeindetag. Selbst wenn die „Hochglanzprospekte“ der Staatsregierung etwas anderes versprächen: „Ich trau’ meinen Augen.“ (David Lohmann)

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